Zwischen Sadomaso und Kreuzigung: der Württembergische Kunstverein zeigt Arbeiten von Sergio Zevallos – einem Pionier lateinamerikanischer Körperkunst. Bei der Presse-Vorbesichtigung sorgte ein ehemaliger Weggefährte des Künstlers für einen Eklat.

Stuttgart - Sein Körper ist eine Waffe. Keine, die tötet und verstümmelt, wohl aber eine, die betroffen macht, die das harte Erdreich erstarrter Konventionen aufwühlt und deren explosiver Widerschein ein ganzes gesellschaftliches Zwangs- und Lügensystem zur Kenntlichkeit entstellt. Mit dem gebürtigen Peruaner Sergio Zevallos bringt die neue Schau des Württembergischen Kunstvereins (WKV) einen Pionier der lateinamerikanischen Körperkunst in Erinnerung.

 

„Die Ausstellung enthält Darstellungen von Gewalt und Sexualität“ – der (juristisch wahrscheinlich erforderliche) Warnhinweis am Eingang zum Vierecksaal trifft zu, und auch wieder nicht. So radikal Zevallos’ Bilder sein mögen, reißerisch sind sie nicht. Trotz der Zeichenteppiche aus erigierten Gliedern und penetrierten Leibesöffnungen, trotz der Fotografien von menstruierenden Heiligen oder masturbierenden Transvestiten.

Offensive Entblößungen

Zu sehen sind Arbeiten auf Papier, Performancedokumentationen sowie eine installativ erweiterte Dia-Show, mehrheitlich aus den Achtzigerjahren, als Zevallos der Künstlergruppe Chaclacayo angehörte. In Europas Kunstzentren war man da schon abgehärtet durch die offensiven Entblößungen der Wiener Aktionisten in den 60ern oder die provokanten Interventionen feministischer Kunst in den 70ern, doch bezogen auf den Kontext seiner Entstehung leistet der Peruaner ähnlich Innovatives und vielleicht noch Mutigeres als seine europäischen Kollegen.

Denn die Achtziger waren ein unruhiges, auch unsicheres Jahrzehnt im Andenstaat. Nach dem Ende der Militärdiktatur saß die neue demokratische Regierung noch nicht fest im Sattel. Alte Seilschaften aus Generälen, Klerus und Großgrundbesitz verteidigten im Hintergrund ihre Macht, während am linken Rand die maoistischen Guerillaeinheiten des Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) für Terror gesorgt haben.

Streit bei der Presse-Vorbesichtigung

Durch seine Homosexualität, seine Kunstkonzepte und seine politischen Ansichten zum Außenseiter gestempelt, gründete Zevallos 1982 mit seinem Freund Raul Avellaneda und seinem deutschstämmigen Professor Helmut J. Psotta die Grupo Chaclacayo. Aufgrund diverser Repressalien floh das Kollektiv später nach Deutschland und ging hier auseinander. Offenbar im Streit, wie deutlich wurde, als Avellaneda unangekündigt zur Presse-Vorbesichtigung im WKV erschien und für einen Eklat sorgte, indem er seinen ehemaligen Weggefährten sowie die Hausherren Hans D. Christ und Iris Dressler scharf angriff. Die Werke als Einzelschau zu zeigen, ignoriere völlig das künstlerische Einheitsprinzip von Chaclacayo.

Dressler hielt dem ungebetenen Gast entgegen, dass man gerne der gesamten Gruppe eine Retrospektive ausgerichtet hätte, jedoch sei dies nicht am WKV, sondern am Widerstand Psottas (der mittlerweile verstorben ist) gescheitert. So habe man sich für Arbeiten allein von Zevallos entschieden. Diese entstanden zwar während der gemeinsamen Phase des Trios, seien aber im urheberrechtlichen Sinne als Solo-Projekte zu bewerten.

Im Zeichen des geschlechtlichen Rollentauschs

Und zumindest aus der Perspektive des Betrachters ist das kein Nachteil. Ob Collage, Fotoinszenierung oder Zeichnung – in überbordender Persiflier- und Verwandlungslust münzt Zevallos Einflüsse aus christlicher Tradition, indigener Volkskunst und europäischer Moderne zu Bildwelten um, in denen Perus katholisch dominierte, schwulenfeindliche Kultur den Zerrspiegel ihrer eigenen Bigotterie erblickt. Vom hermaphroditischen Indianerkönig bis zur Braut mit Schwanz spielt dieses Körpertheater ganz im Zeichen des geschlechtlichen Rollentauschs. Doch auch die Nonne mit Nosferatu-Händen spricht Bände. Noch ein halbes Jahrtausend, nachdem Spaniens Eroberer den letzten Inka auf den Scheiterhaufen schickten, ist das Land in den Klauen der Kleriker.

Am Beispiel der Heiligen Rosa von Lima, die, obschon Mestizin, in der offiziellen Ikonografie zur Weißen wurde, enthüllt Zevallos die historische Allianz von Kirche und Kolonialmacht. Vor allem aber offenbart er Sexualität als das von der Staatsreligion verdrängte und verschwiegene Andere. Bald verschmelzen Sadomaso-Praktik und Kreuzigung, bald treten Skelettfiguren wie aus dem Heiligenreliquiar an die Bahren frisch Verstorbener: überlieferte Rituale einer Macht, die sich selbst und ihre Gewalt verschleiert, der Zevallos aber nicht auf den Leim der süßlich-kitschigen Andachtsbildchen geht.

Fantastische Mythen

In all ihrem blasphemischen Aufbegehren, ihrer Obsession für Ausflüsse und Abfälle findet diese Kunst über die Niederungen zum erhebenden Gefühl der Schönheit zurück. Einer Schönheit, die das europäische Erbe abgeschüttelt hat. Mit den Leguangottheiten, die aus dem dichten Bunt halb fleischlicher, halb pflanzlicher Ornamentstrukturen herauslugen, blitzt etwas auf, was tief aus dem Regenwald zu kommen scheint. Vielleicht doch das Fantastische alter Mythen, die, wie im Magischen Realismus der Literatur Lateinamerikas, als Gegenspieler einer hartherzigen Zeit beschworen werden? Jedenfalls eine sehenswerte Ausstellung.

Bis 11. Januar, Di bis So 11 bis 18 , Mi bis 20 Uhr.