Heite kümmern sich Ehrenamtliche vor allem aus dem kirchlichen Umfeld um Flüchtlinge, vor 70 Jahren stießen Vertriebene auf wenig Sympathie. Wohnungen waren rar, es mangelte an allem, was zum täglichen Leben notwendig ist.

Weinstadt - Es dampft und brodelt in der Küche des evangelischen Gemeindehauses in Weinstadt-Großheppach. An den Arbeitsplatten drängen sich mehrere junge Männer, schälen und schneiden Kartoffeln klein oder zerteilen Hühnchen. Gemeinsam bereiten sie die Speisen zu, die später beim gemeinsamen Fest, zu dem der Weinstädter Freundeskreis Asyl geladen hat, im Saal des Gemeindehauses serviert werden. Gekocht wird international.

 

Hinter einem der großen Töpfe auf dem Herd in der Mitte des Raumes steht Abdifatah Omar Avale und bereitet Suppe nach einem alten Rezept seiner Familie zu, wie er sagt. „Das ist Suugo“, erklärt der Somalier, der seit vergangenem April im Großheppacher Asylbewerberheim lebt. Die Zutaten dafür hat er in den vorangegangen Tagen zusammen mit Mitbewohnern aus dem Heim und einer Sprachlehrerin selbst eingekauft: Kartoffeln, Karotten, Hühnchen, Knoblauch, Oberginen und roten Paprika, zählt er auf und freut sich sichtlich, dass er sich alle deutschen Namen der Nahrungsmittel hat merken können.

Wichtig ist vor allem die menschliche Unterstützung

Ihm gegenüber steht Jyad Saber und rührt ebenfalls emsig in einem Kochtopf. Der Syrer macht die Nachspeise. Ihm zur Hand geht Rolf Fuchs, ein Mitarbeiter der Bernd Kußmaul GmbH. Die Firma für Projektmanagement sponsort das Fest der Asylbewerber. „Wir wollten nicht nur Geld rüberschieben, sondern die Leute auch besser kennenlernen können und helfen, sie zu integrieren“, erklärt Simone Kußmaul, die Marketingleiterin der Firma. Der Freundeskreis Asyl habe daraufhin vorgeschlagen, gemeinsam ein Fest auszurichten. Nun bereitet sie mit ihrem Team Hackfleischküchle, Kartoffelpüree und Karottengemüse als deutschen Beitrag zum Festessen zu.

„Wichtig ist nicht die materielle sondern die menschliche Unterstützung“, sagt Thomas Stürmer vom Kreisdiakonieverband Rems-Murr. Der für das Gemeinwesen im Verband zuständige Pfarrer steht den Ehrenamtlichen der Freundeskreise, die derzeit allerorten wie Pilze aus dem Boden schießen, mit Rat zur Seite. Neben Weinstadt gebe es bereits in rund zehn weiteren Kommunen im Kreis Freundeskreise, an denen evangelische Kirchengemeinden beteiligt sind. Zudem seien einige noch in der Gründungsphase.

Ehrenamtliche Helfer der Kirchen sind im Einsatz

Auch von katholischer Seite kommt Unterstützung. 10 000 Euro habe das Katholische Dekanat Rems-Murr extra eingestellt, um derartige Projekte zu fördern, berichtet der Dekanatsreferent Uli Häufele: „Wir versuchen zu initiieren, zu ermutigen und unsere Gemeinden finanziell zu unterstützen.“ In Fellbach, Leutenbach, Schwaikheim, Backnang und Korb sind die Appelle des Dekanats bereits auf offene Ohren getroffen. Vielfach stießen aber auch Kommunen die Gründung von Flüchtlingshilfskreisen an, in denen sich auch nicht-kirchlich engagierte Bürger beteiligten, ergänzt Häufele.

Das Ziel ist überall dasselbe: Ansprechpartner wolle man sein, erklärt Thomas Stürmer, für sämtliche alltäglichen Belange: angefangen von der Begleitung bei Behördengängen über Hausaufgabenhilfe für Kinder bis hin zu Sprachkursen. Aber vor allem auch eine gemeinsame Freizeitgestaltung sei wichtig – so wie bei der Kochaktion in Weinstadt.

Flüchtlingshilfe vor 70 Jahren hieß Problembewältigung

Freizeitgestaltung – dieser Begriff taucht bei der Flüchtlingshilfe früherer Tage schlicht nicht auf. Da ging es viel mehr darum, das „Problem“ zu bewältigen. So heißt es in einem Kreistagsprotokoll vom 13. September 1946: „Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die Aufnahme der Vertriebenen von den Siegerstaaten als Strafe auferlegt worden ist. . . Bei der amerikanischen Regierung gibt es hier kein ,Unmöglich’.“ Angesichts der laut Protokoll 26 000 bereits dem Kreis Waiblingen von der Militärregierung zugewiesenen Vertriebenen und Flüchtlingen, zu denen nochmals 13 000 dazu kommen sollten, galt es dabei vor allem auf eine Frage Antworten zu finden: Wo sollen all diese Menschen unterkommen? Zumal diese nicht nur zahlenmäßig weit mehr waren als heutige Flüchtlinge – zum Vergleich: für dieses Jahr erwartet das Landratsamt rund 2000 neue Asylbewerber –, sondern auch nicht in ein Land in Wohlstand kamen, sondern in ein vom Krieg zerstörtes, in dem Wohnraum ohnehin schon ein knappes Gut war.

Daher wurde auch im Kreis Waiblingen nach dem am 8. März 1946 erlassenen Kontrollratsgesetz zur Erfassung und Verteilung vorhandenen Wohnraums verfahren. Danach wurden sieben Quadratmeter Wohnraum pro Person als ausreichend angesehen, darüber hinaus reichende Flächen durften beschlagnahmt werden, um Flüchtlinge unterzubringen.

Zwangseinquartierungen sorgen für Missstimmung

Dass den so Einquartierten mitunter alles andere als Sympathie entgegenschlug, davon zeugt beispielsweise ein nicht genauer datiertes Schreiben eines Bürgermeisters an das Landratsamt, das im Kreisarchiv vorliegt. Darin heißt es: „Dass die Befürchtungen der einzuweisenden Mieter zu Recht bestehen, geht aus den Angaben, der bisher dort wohnenden Frau hervor, die bei einer Vorsprache auf dem Wohnungsamt bei Schilderung ihrer Wohnverhältnisse in einen Weinkrampf verfiel und bat, sie aus dieser Hölle herauszuholen.“ Weitere Wohnungssuchende sollen „von der Eigentümerin und ihren beiden erwachsenen Kindern in der unverschämtesten Form behandelt und abgewiesen“ worden sein. Die Belegung der erfassten Wohnung stoße daher „auf allergrößte Schwierigkeiten“.

Dementsprechend gab es immer wieder Hilfsaufrufe an die Bevölkerung, für die ankommenden Fremden Kleider und Hausrat zu spenden und ihnen freundlich zu begegnen. So heißt es in einem Appell des Ministerpräsidenten von Württemberg-Baden, Reinhold Maier, vom 27. März 1946 etwa: „In der Not der Niederlage gilt es sich zu bewähren und den Flüchtlingen freundlichen Sinns und hilfsbereit entgegenzukommen.“ Darüber hinaus gründeten sich Flüchtlingsausschüsse, wie beispielsweise in der Gemeinde Oberurbach. Über die Aufgaben dieses Zusammenschlusses aus Gemeinderäten und Flüchtlingsvertretern steht in dem Beratungsprotokoll vom 23. Mai 1946: „Die Aufnahme der Flüchtlinge sei in vielen Fällen noch nicht der Menschlichkeit und herrschenden Not entsprechend. Eine weitere Aufgabe sei die Überwachung der Verhältnisse zwischen Flüchtlingen und Aufnehmenden durch gelegentliche Besuche.“

Vertriebenenverbände entstehen aus Hilfsverbänden

Doch die Vertriebenen und Flüchtlinge wussten sich auch selbst zu helfen. Von Herbst 1947 an gründeten sie eigene Hilfsverbände, die sich um die Beschaffung von Wohnraum, Hausrat und Arbeitsplätzen ebenso kümmerten wie um Familienzusammenführungen, Kinderbetreuung und die Versorgung älterer Menschen. Am 17. Juli 1948 fand die offizielle Gründung des Hilfsverbandes der Neubürger im Kreis Waiblingen statt. Unter dem Wahlspruch „Wir treten an die Öffentlichkeit als durch Not zusammengeschweißter Block“ stellte man Forderungen an die württembergisch-badische Staatsregierung. So nahmen die Vertriebenenverbände zunehmend auch politisch Einfluss und schlossen sich schließlich im Oktober 1957 zum Bund der Vertriebenen zusammen.