Der Wandel der afroamerikanischen Identität spiegelt sich in gesellschaftspolitischen Debatten und Kunstformen wie Literatur, Kino oder Popmusik wider. In dieser Folge: Toni Morrison und die Autoren des schwarzen Amerikas.

Stuttgart - Selbst heute noch, im aktuellen Wahlkampf, versuchen einige Konservative in den USA, die Sklaverei schönzureden.Etwa als Reaktion auf Michelle Obamas Hinweis, sie lebe in einem Haus, an dem schwarze Sklavenhände mitgebaut hätten. Die Sklaverei, lautet die Standardbeschwichtigung, sei ein System der Fürsorge gewesen. Wahr daran ist, dass die Pflanzer im Süden einigen Spielraum im Umgang mit den ihnen ausgelieferten Menschen hatten. Ausgeblendet wird, dass es auch die nüchterne Mord-durch-Arbeit-Empfehlung gab, man solle seine Sklaven so zu Tode schuften, dass der Bestand alle elf Jahre komplett erneuert sei, das bringe die ideale Gewinn-Verlust-Balance.

 

Die weißen Herren hatten große Macht, aber schrankenlos war sie nicht. Quer durch die Südstaaten untersagten Gesetze etwa, Sklaven das Lesen und Schreiben beizubringen. Natürlich wurde auch dabei mit zweierlei Maß gemessen. In North Carolina musste ein Weißer für dieses Vergehen ein- bis zweihundert Dollar Strafe zahlen. Ein Schwarzer, der versuchte, einem anderen Schwarzen Lesen oder Schreiben beizubringen, war dagegen mit neununddreißig Peitschenhieben zu bestrafen.

Der Kampf ums Lesen und Schreiben

Als die Südstaaten 1865 den Bürgerkrieg verloren, ergab sich eine dramatische Situation. Theoretisch waren die ehemaligen Sklaven nun frei und hätten in einer Phase des Übergangs in ein politisches Vakuum stoßen und Rechte, Rechtsschutz und Teilhabe für sich mit definieren können. Praktisch war das unmöglich, denn die allermeisten waren Analphabeten, die man mit eben dieser Begründung – Unfähigkeit zur Teilhabe am schriftbasierten bürgerlichen Leben – in die Entrechtung drängte.

Aus dem Norden strömten allerlei Kriegsgewinnler in den geschlagenen Süden, um dort Profit zu machen. Aber wenn im Süden bis heute abfällig oder hasserfüllt von den „Carpetbaggers“ die Rede ist, von den Einsackern, dann sind auch Mitglieder philanthropischer Gesellschaften und diverser Kirchen gemeint, die kamen, um möglichst vielen Schwarzen eilends Lesen und Schreiben beizubringen.

Als Toni Morrison 1993 den Literaturnobelpreis gewann, war das nicht nur eine weitere Ehrung für die vitale amerikanische Literatur, auch nicht bloß die Aufbesserung der miesen Frauenquote des Preises mit einer würdigen Gewinnerin. Es war die endgültige Niederlage der Rassisten auf dem Feld der Literatur.

Das böse alte Bild vom halben Tier

Nach dem Bürgerkrieg sollten die Ex-Sklaven im Süden nach dem Willen ihrer Ex-Eigner ja nicht nur darum illiterat gehalten werden, um sie um ihr Wahlrecht prellen zu können. Die Nichtteilhabe an der Schrift, gar an der Literatur, sollte das bösartige alte Bild vom Schwarzen als intellektuell minderwertigem, zivilisationsunfähigem Halbwesen zwischen Mensch und Tier perpetuieren.

Schwarze, die von sich erzählten, Schwarze, die eine weiße Welt im Spiegel ihrer Erfahrungen, Ansichten und Ansprüche reflektierten – das kam Rassisten zu Recht als etwas vor, das ihren Ideen von weißem Wert und schwarzem Unwert den Boden entziehen würde, um so mehr, als ja auch noch jede Menge armer Weißer ebenfalls Analphabeten waren. Man könnte allerdings argumentieren, dass der Literaturnobelpreis für Toni Morrison, die Autorin großer Romane wie „Solomons Lied“ (1977), „Menschenkind“ (1987) und „Jazz“ (1992), keine letzte Runde im literarischen Kampf darstellte, sondern bloß ein letztes, unüberhörbares Signal für diejenigen, die alle vorigen Signale überhört hatten.

Schwarze Renaissance in Harlem

Denn erstaunlich früh, erstaunlich potent und erstaunlich vielstimmig hat sich eine afroamerikanische Literatur herausgebildet, die man ohne Einrechnung irgendeines Benachteiligtenbonus zur Weltliteratur zählen darf. Als nach dem Ersten Weltkrieg in Harlem, dem damaligen kulturellen Zentrum Afroamerikas, die so genannte „Harlem Renaissance“ aufblühte, die liberale US-Amerikaner und kosmopolitische Europäer verzückte, da erzählten nicht nur der Jazz und die bildende Kunst von Stolz, Raffinement, Eigenheit, Traditionsbewusstsein und Zukunftsanspruch der Sklavenkinder und Sklavenenkel. Eine große Literatur trat hervor, auch wenn ihre Vertreter – Langston Hughes, Claude McKay, Zora Neale Hurston etwa – von heutigen europäischen Lesern erst noch wiederzuentdecken wären.

Macht schwarzes Englisch lächerlich?

Vom Fleck weg hatte die afroamerikanische Literatur einen klaren Auftrag. Sie rang den weißen Bildern des schwarzen Amerika, auch patriarchalisch-wohlmeinendenden, die Deutungshoheit über das Schwarzsein ab, also dem 1852 veröffentlichten Longseller „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe oder den schwarze Folklore verarbeitenden Onkel-Remus-Geschichten von Joel Chandler Harris.

Aber damit endeten die Gemeinsamkeiten der afroamerikanischen Autoren schnell. Sie standen ja nicht nur vor der Frage, ob sie sich gezielt an weiße Leser zu richten hatten, die nun einmal die Buchkäufer stellten, ob sie eine dünne schwarze Mittelschicht adressieren oder gar Literatur für die noch gar nicht lesenden Massen entwerfen sollten. Die Autoren standen auch vor der grundsätzliche Frage, welche Sprache sie nutzen sollten. Sollten sie die gängigen schwarzen Abweichungen von weißer Grammatik und weißer Begrifflichkeit übernehmen? Sollten sie ihre schwarzen Figuren, vor allem die ländlichen, gar in deren Dialekten und Soziolekten sprechen lassen, über die sich Weiße seit je lustig machten? Oder sollten sie das weiße Englisch der Sklavenhalter als anzustrebende Norm behandeln?

Zwischen Volkssprache und Jahrmarkt

Zora Neale Hurston (1891-1960) formte sehr sinnlich die Sprachänderungen ihrer Provinzler nach und wird für diese Leistung heute als eine der großen Bewahrerinnen schwarzer Volkssprache gepriesen. Ihr Kollege Richard Wright (1908-1960), mit „Native Son“ (1940) und „Black Boy“ der wichtigste afroamerikanische Autor der Vierziger und frühen Fünfziger, hat sie dafür heftig angegriffen. Sie degradiere, befand er, ihre Figuren zu eben jenen Karikaturen, die schwarz angemalte Weiße einst auf die Jahrmarktsbühne gebracht hätten.

Die Grundsatzdebatte hält bis heute an. Sie wird nun um die Frage geführt, ob afroamerikanische Englischvarianten nicht längst eine eigenen Regeln folgende Sprache bilden, von Befürwortern dieser Theorie Ebonics genannt.

Iceberg Slim und der Rap

Mit Richard Wright, Ralph Ellison, James Baldwin, Alice Walker, Maya Angelou und Toni Morrison haben es zwar eine ganze Reihe afroamerikanischer Autoren geschafft, in Europa wahrgenommen zu werden. Die Bandbreite schwarzer Literatur ist damit noch nicht ausgemessen, doch auch übersetzte Werke wie die von John Edgar Wideman und Ishmael Reed werden hierzulande nur wenig wahrgenommen.

Dass auch in der Genreliteratur Hochklassiges von Afroamerikanern stammt, die Krimis von Chester Himes und Walter Mosley etwa oder die Science Fiction von Samuel R. Delany und Olivia Butler, scheint den Zugang zu afroamerikanischer Literatur nicht lockender zu machen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die in Europa äußerst beliebte Gangsta-Mythologie und Sprache der Rapper ihren Vorläufer in den reißerischen Ghetto-Pimp-Romanen des Ex-Zuhälters Iceberg Slim (1918-1992) hat.

Das sei eben, ist immer wieder als Erklärung zu hören, eine fremde Welt, die hiesige Leser nicht so betreffe. Aber ist es nicht gerade ein großer Reiz guter Literatur, möchte man da fragen, dass sie uns andere Aspekte der Welt durch andere Augen und Worte erfahrbar macht?