Während der WM 2006 pilgerten viele Fußballfans regelrecht nach Botnang, um in der Bäckerei Klinsmann Leckereien wie Amerikaner in Trikot-Form zu kaufen. Beliebt ist der Stuttgarter Bezirk aber nicht nur zu WM-Zeiten.

Stuttgart - Eine gewisse Bekanntheit, auch über die Stadtgrenzen Stuttgarts hinaus, erlangte Botnang 2006, dem Jahr des Sommermärchens. Dem Jahr, in dem Deutschland als Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft glänzte und der Bundestrainer nicht Jogi Löw, sondern Jürgen Klinsmann hieß. Klinsmann war es denn auch, der dem Bezirk zwischen Kräherwald und Feuerbacher Tal vor mehr als zehn Jahren zahlreiche neue Gäste bescherte. Oder vielmehr: sein Name war es.

 

Klinsmann – so heißt eine Bäckerei in Botnang. Und tatsächlich ist der Inhaber nicht einfach nur ein Namensvetter des ehemaligen Bundestrainers. Es ist Jürgens älterer Bruder Horst, der mit seiner Frau Barbara den Laden betreibt. Zur Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land boten die beiden ihren Kunden Amerikaner in Trikot-Form an und, nach dem Spiel gegen Brasilien, Quarkteile mit den Zuckerguss-Zahlen „7:1“, dem Endergebnis. „Die gingen hammermäßig weg“, erinnert sich Barbara Klinsmann im Pausenraum der Bäckerei. „Die Fans sind quasi hergepilgert.“

Barbara Klinsmann würde nirgendwo anders lieber wohnen

Inzwischen habe sich der Fußball-Hype gelegt, sagt die 55-Jährige, ihr Schwager Jürgen sei ja auch schon lange nicht mehr Bundestrainer. Statt süßen Stückchen mit Fußball-Muster liegen im Verkaufstresen nun wieder Flachswickel, Butter-Brezeln und Dinkel-Kürbis-Brötchen. Die Kundschaft reist nicht mehr von weit her an, sondern kommt hauptsächlich aus dem Ort – Senioren im Ruhestand sowie jüngere Mütter und Väter in Elternzeit. Eine junge Laufkundschaft gebe es kaum, sagt Barbara Klinsmann: „Die jungen Leute arbeiten vorwiegend nicht in Botnang.“ Der rund 13.000 Einwohner starke Stadtbezirk bietet zwar eine gute Anbindung nach Stuttgart, aber selbst nur wenige Arbeitsplätze.

Barbara Klinsmann würde dennoch nirgendwo anders lieber wohnen. „Wir haben zwar nicht so einen malerischen Stadtkern wie in Zuffenhausen, aber ich mag den dörflichen Charakter von Botnang und ich mag die Leute“, sagt sie. „Durch das Geschäft kenne ich fast jeden, der hier wohnt.“

Zum Klinsmann-Cup, dem jährlichen Turnier des ASV Botnang für die Fußball-Junioren, bringt die Bäckerei Klinsmann Brötchen, „auch den Kleintierzuchtverein haben wir schon beliefert“, sagt Barbara Klinsmann. Botnang, meint sie, lebe von den vielen Vereinen: „Jeder hat im Sommer sein Fest und beim Feuerwehrfest, im Herbst, kommen alle zusammen.“

„Das kleine Abbild Stuttgarts“

Botnang – ein Bezirk nur für die Einwohner? Dieses Schicksal teilt Botnang wohl mit den meisten Stadtbezirken Stuttgarts. Wer als Besucher dorthin kommt, möchte meist nicht den Ortskern ansehen – den Marktplatz, die Auferstehungskirche, die drei ortsprägenden Straßen Eltinger Straße, Furtwänglerstraße und Himmerreichstraße. Er kommt, um weiterzugehen, zu den Ausflugszielen in der Nähe: Birkenkopf, Bärenschlössle, Schloss Solitude.

Von der Stadtbahn-Endhaltestelle kann man alle drei gut zu Fuß erreichen, wie eine Tafel mit Wanderwegen am hinteren Ende der Haltestelle, Richtung Wald, zeigt. In Jeans und blauem Hemd steht Botnangs Bezirksvorsteher Wolfgang Stierle an einem bewölkten Vormittag neben der Tafel. Er deutet auf einen der eingezeichneten Wanderwege. „In einer guten Stunde ist man am Schloss Solitude, das ist ein schöner Spaziergang“, sagt er. „Wer nicht so weit laufen möchte: Das Kneipp-Becken im Wald ist in zehn Minuten erreichbar. Von da aus kann man zum Schwarz- und Rotwildgehege laufen, und weiter bis zum Bärenschlössle.“ Auch zum Birkenkopf, dem 511 Meter hohen „Monte Scherbelino“, brauche man nicht lang. „Nirgendwo hat man eine schönere Sicht auf Stuttgart“, schwärmt Stierle. „Außer vielleicht auf dem Fernsehturm.“

Stierle ist in Botnang aufgewachsen, hat später noch viele Jahre in dem Stadtbezirk gewohnt. Botnang selbst, das ist für den 51-Jährigen „das kleine Abbild Stuttgarts“, wegen seiner Kessellage. Einen Vorteil gegenüber der Großstadt hat der Bezirk drei Kilometer westlich des Stadtkerns jedoch: Während sich die Stuttgarter im Sommer oft mit drückender Hitze quälen, strömt in Botnang ständig frische Luft von den ringsum liegenden Waldhängen ins Ortsinnere. Mit ein Grund dafür, dass der Bezirk längst zu einem „teuren Pflaster“ geworden ist, wie selbst Wolfgang Stierle unumwunden zugibt: „15 Minuten braucht man mit der Bahn in die Stadt, 15 Minuten zu Fuß in den Wald. Hier hat man alles – wenn man es sich leisten kann.“

Demnächst soll sich noch mehr verändern

18 Jahre hat Stierle nun die Geschicke Botnangs mit beeinflusst: Seit Mai 1999 ist er Bezirksvorsteher. Im Oktober dieses Jahres wechselt er nach Maichingen, als Ortsvorsteher. Seinem Nachfolger hinterlässt er ein bestelltes Feld: Wer Botnang dieser Tage besucht, findet sich inmitten einer Baustelle wieder. Im Zentrum des Orts, rechts und links der Straßenbahntrasse, hämmern und wühlen Bauarbeiter. Dort entsteht der neue Marktplatz. Er soll Botnang weiter aufwerten. Das Ergebnis kann man bereits erahnen. Rund eine Million Euro wurden investiert; das Geld stammt von der Stadt.

„Außerdem haben wir es endlich geschafft, in das Stadtsanierungsprogramm aufgenommen zu werden“, sagt Stierle. Über das Programm bekommen sowohl die Stadt als auch private Eigentümer in den umliegenden Bereichen Fördergelder vom Land für weitere Baumaßnahmen.

An der Endhaltestelle ist vom Baulärm kaum etwas zu hören. Dort, wo die Wagen der Stadtbahnlinien U2 und U9 zum Halten kommen, lag einst eine breite Talaue, an der Sommerhalden- und Buberlesbach zusammenliefen. Vor einigen Jahrhunderten standen an dieser Stelle Bäume. Heute sind nur noch die äußeren Grenzen Botnangs bewaldet, verlaufen Sommerhalden- und Buberlesbach streckenweise unterirdisch. Ein Kreisverkehr liegt direkt hinter der Endhaltestelle, die Wohnhäuser türmen sich bis an die Kesselränder. „Botnang ist eine Rodungsinsel“, sagt Stierle. „Unsere Vorfahren haben ihren Wohnsitz dem Wald abgetrotzt.“

„Zwischen 1965 und 1985 hat sich der Bezirk enorm verändert“

Der Bauboom begann allerdings erst vor etwa fünfzig Jahren. In den 60er Jahren entstanden die ersten Hochhausgebiete im Bezirk. Anstelle von zwei- bis dreistöckigen Landhäusern ragten immer mehr Wohntürme aus den ehemaligen Wald- und Gartenflächen. Botnang wuchs in die Höhe, was nicht bei allen Bewohnern gut ankam. „Zwischen 1965 und 1985 hat sich der Stadtbezirk enorm verändert“, sagt Stierle. „Anfangs war man hier sehr dagegen, aus optischen Gründen.“ Inzwischen, meint er, wissen insbesondere die älteren Botnanger die Hochhäuser zu schätzen: Wegen der Aufzüge, der Hausmeister, der unverstellten Aussicht. Statistisch gesehen ist Botnang der älteste Bezirk Stuttgarts.

Botnangs vorteilhafte Lage war es denn auch, die den einstigen Weiler nach und nach zum Dorf wachsen ließen. 1075 wurde Botnang erstmals urkundlich erwähnt. 1477 hatte der Ort rund 50 Einwohner. Ab dem Mittelalter stieg die Bewohnerzahl kontinuierlich an, als sich immer mehr Bleicherinnen und Wäscherinnen niederließen: Im nahegelegenen Stuttgart war das Waschen in Häusern und an Brunnen nach der Feuerordnung verboten.

Ein Rundgang durch den alten Ortskern

Als Botnang am 1. April 1922 in die Stadt eingemeindet wurde, lebten rund 4500 Einwohner in dem Ort. Schon zu jener Zeit pendelten sie zum Arbeiten nach Stuttgart: Die Linie 18 verkehrte seit dem 31. Januar 1914 zwischen Schloßplatz und Botnang. Die erste Endhaltestelle lag an der Kreuzung von Beethovenstraße, Alte Stuttgarter Straße und Hummelbergstraße. 80 Jahre später, 1994, wurde die aktuelle Endhaltestelle in Betrieb genommen; nach dem Ausbau der Strecke und der Einweihung des 550 Meter langen Brigitte-Tunnels. Die Botnanger waren glücklich über den schnelleren Anschluss in die Stadt, doch unglücklich über die seit 1977 gleichbleibende Strecke. Damals schlug die Stadtbahnführung eine Schneise quer durch den Ort. Sie schuf ein Links der Trasse und ein Rechts der Trasse.

Rechts der Trasse liegt etwa die „Nuova Casa Pompa“ – ein rotes Backsteingebäude, das optisch eher nach Hamburg als nach Stuttgart passen würde. „Die Casa Pompa war Botnangs erstes Pumpenhaus, hier begann 1902 die moderne Wasserversorgung für Botnang“, sagt Stierle auf dem Weg von der Haltestelle ins Ortsinnere. Mit schnellen Schritten passiert er eine enge Gasse, die in die Eltinger Straße mündet. „Jetzt sind wir im alten Teil Botnangs“, sagt er, blickt auf die hergerichteten Fachwerkhäuser.

„Das schönste Haus im Ort“

Etwa in der Mitte der Straße, in direkter Nachbarschaft zur Bäckerei Klinsmann, zeigt Stierle auf das ehemalige Gasthaus Traube: „Das war Botnangs erstes Schulhaus. Der Schulmeister unterrichtete in der Stube.“ Nur wenige Meter weiter, an der Kreuzung zur Furtwänglerstraße, reckt sich der Turm der Auferstehungskirche auf einem kleinen Hügel über die Dächer der umliegenden Häuser. Im zweiten Weltkrieg ging eine Brandbombe auf sie nieder, das Kirchenschiff brannte völlig aus.

„Wie durch ein Wunder blieb die Wera Pflege von den Flammen verschont“, sagt Stierle. Gerade einmal 200 Meter trennen die Kirche von dem ehemaligen Kindergarten in der Furtwänglerstraße. Die Herzogin Wera von Württemberg stiftete das Haus mit den markanten Dachgiebeln 1874, um den Bauernkindern der Umgebung einen Ausbildungsort zu geben. Auch für Stierle war dies die erste Ausbildungsstätte. „Die Wera Pflege ist ein Kleinod“, sagt er. „Das schönste Haus im Ort. An ihm sieht man es wieder: Die Eltinger Straße, die Furtwänglerstraße, die Himmerreichstraße – das ist der Ortskern. Das, was Botnang ausmacht.“