In einer Serie blicken wir über verschiedene Gartenzäune. Heute: die Streuobstwiesen am Rohrer Weg. Den teilweise bis zu 100 Jahre alten Bäumen hat das Wetter in diesem Jahr zu schaffen gemacht.

Böblingen: Leonie Schüler (lem)

Möhringen - Wer zwischen den Streuobstwiesen im Landschaftsschutzgebiet Glemswald spazieren geht, könnte fast vergessen, mitten in einer Großstadt zu sein. Ein angenehmer Lufthauch weht dort, hier und da summt eine Biene, und das saftige Grün der Wiesen strahlt Ruhe aus. „Das Gebiet ist ganz wertvoll für die Naherholung. Man sieht hier zum Beispiel oft Angestellte aus dem Gewerbegebiet in der Mittagspause spazieren gehen“, sagt Ursula Minges, die stellvertretende Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Rohrer Weg. „Häufig ist es hier drei bis vier Grad kühler als zwischen den Häusern.“

 

Der Verein wurde 2002 gegründet, mit dem Ziel, die Bebauung des Gebiets zwischen Sindelbach, Udamstraße, Rohrer Straße und Stadtbahn zu verhindern. Heute, da die Pläne längst vom Tisch sind, ist die Pflege der Streuobstwiesen in den Vordergrund gerückt. Etwa 800 Bäume stehen auf dem elf Hektar großen Bereich; einige von ihnen sind mehr als 100 Jahre alt. Der Großteil sind hochstämmige Apfel- und Birnbäume, doch auch Walnuss-, Mirabellen-, Kirsch-, Zwetschgen-, Pflaumen- und Quittenbäume stehen verstreut auf der Wiese. Also ganz wie der Name sagt: eine Streu-obst-wiese. „Die Vielfalt ist enorm“, sagt Rüdiger Reinboth, der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft.

Obstwiesen zur Selbstversorgung

Vier Grundstücke – etwa drei Hektar – hat der Verein selbst gepachtet, die restlichen Flächen gehören überwiegend Privatleuten, teilweise auch der Stadt. Ruth Frank, eines der rund 30 Vereinsmitglieder, erzählt von den Anfängen der Streuobstwiesen: „Vor über 100 Jahren wurde es politisch angeordnet, dass um die Ortschaften herum Bäume gepflanzt werden müssen.“ Diese sollten der Selbstversorgung der Einwohner dienen. Das Obst wurde gegessen oder getrocknet, zu Most gepresst oder auch an die Städte verkauft. „Baden-Württemberg hat heute noch den größten Streuobstwiesenbestand Europas“, sagt Minges.

Ein Problem ist laut Rüdiger Reinboth, dass einige der hundert Jahre alten Bäume allmählich kaputt gehen. „Deshalb sind Initiativen wie wir wichtig, die das Nachpflanzen fördern.“ Zweimal im Jahr spendet die Schutzgemeinschaft dort, wo die Besitzer es erlauben, junge Bäumchen und pflanzt sie in ausreichendem Abstand von acht bis zehn Metern neben die alten Bäume. Gemäß der Tradition von Streuobstwiesen werden vor allem Hochstämme und alte Sorten gepflanzt. Die lokalen Bauern helfen – wo gewünscht – beim Mähen und dürfen das Gras für ihre Kühe nutzen. „Die Wiesenbesitzer sind zum Teil sehr alt und können ihr Grundstück nicht mehr so gut pflegen“, erklärt Reinboth.

Apfelaktionen mit Kindern

Ist Erntezeit, organisiert die Schutzgemeinschaft zusammen mit dem Förderkreis Stuttgarter Apfelsaft Aktionen für Kindergärten und Schulen. „Die Kinder dürfen dann die Äpfel selber auflesen, schneiden und pressen“, sagt Ursula Minges. Auf diese Weise versucht der Verein, auch der nächsten Generation die Bedeutung der Streuobstwiesen als Kulturlandschaft näher zu bringen. Eine weitere Aktion, die jedes Jahr organisiert wird, ist ein botanisch-ornithologischer Spaziergang mit dem Naturschutzbund (Nabu). Darüber hinaus wird zweimal im Jahr erklärt, wie Obstbäume richtig zurückgeschnitten werden. Jeweils im Februar und im Juli sollen sogenannte Erziehungsschnitte durchgeführt werden. „Dadurch bleibt der Baum jung, sonst vergreist er“, sagt Ruth Frank, und Rüdiger Reinboth ergänzt: „Man kann einen Baum kaputt schneiden, wenn man es falsch macht.“

Trotz korrekter Baumschnitte hängt in diesem Jahr nicht viel Obst an den Bäumen. „So wenig Obst habe ich noch nie erlebt“, sagt Ruth Frank und schüttelt den Kopf. Nur fünf Quitten hingen an ihrem Baum, keine Walnüsse, und auch von der Kirschernte kam sie mit leerem Körbchen nach Hause.

Das Problem war, dass nach dem warmen März, als alles aufblühte, noch einmal eine Frostwelle im April kam und viele Blüten erfroren. „Man sagt, es erfriert nie alles, aber dieses Jahr ist wirklich nicht viel übrig“, sagt die Wiesenbesitzerin. Ihre Vereinskollegin Ursula Minges denkt schon einen Schritt weiter: „Kein Wunder, wenn dieses Jahr die Vögel eine Hungersnot erleben.“