Natürlich ist es mitnichten einfach nur pittoresk, wenn asiatische Fischer auch nach dem Tsunami ihre windschiefen Hütten direkt am Meer bauen. Natürlich ist es mitnichten charmant, wenn mittelamerikanische Gemäuer schimmeln. Und selbstverständlich zeugt es nicht von überbordender Freundschaft oder spontaner Herzlichkeit, wenn sich sechs Afrikaner zum Fahrer in einen ausrangierten VW-Golf zwängen, um von A nach B zu gelangen. Aber der Märchenreisende neigt dazu, die Symptome der von ihm mitverschuldeten Armut als Ausweis von Authentizität zu begreifen. Wo sich die Perversion globaler Ungerechtigkeit in Zahnlücken und zerschlissenen T-Shirts aus der Altkleidersammlung manifestiert, juchzt der deutsche Büromensch auf Reisen: „Ui, wie originell! Ui, wie frei!“

 

Der Märchenreisende ist darauf gestimmt, Stunden lang davon zu schwärmen, welch opulente und wohlschmeckende Mahlzeiten er sich für acht Euro inklusive aller Getränke in Weitfortistan täglich einverleibt hat. Aber er ist nicht in der Lage zu erkennen, dass sich der Taxifahrer, der ihn regelmäßig kutschierte, diese Mahlzeiten nie wird leisten können, weil es sich dabei um das Zehntel seines gesamten Monatslohnes handelt.

Brasilianische Hotels bieten thailändisches Bambusdesign

Einer unserer liebsten Märchenonkel, der Wiener Großpoet André Heller, hat einmal in einer Vorlesung gefordert: „Solange in Indien noch irgendetwas anders ist als in Karlsruhe, muss man sich das ansehen!“ Natürlich hatte er recht damit, aber sein Aufruf ist mittlerweile auch schon ein Jahrzehnt alt. Und seitdem hat das Internet – jener große Gleichmacher, der sich einfach weigert, seine Potenziale als großer Gleichsteller zu nutzen – die Unterschiede, die Heller zur Betrachtung empfiehlt, auf groteske Weise eingeebnet. Mittlerweile warten brasilianische Hotels gerne mit thailändischem Bambusdesign auf, während in Bangkok fröhlich kubanische Musik gedudelt wird. Im Senegal lässt sich in libanesischen Restaurants ausgezeichnet Italienisch speisen, und überall auf der Welt laufen junge Männer gerne in weiten Jeans aus China herum, die dem coolen Beinkleid US-amerikanischer Gangsterrapper nachempfunden sind. Die Märchenwelt ist so allgegenwärtig, dass die banalste Form ihrer Zerstörung gar nicht ins Gewicht fällt.

Und das Ende der Geschichte? Beruflich stark engagiertes Fernbeziehungs-Pärchen reist zum Tropenstrand. Dort stellen die Berlinerin und der Münchener fest, dass sie länger als 48 Stunden nichts miteinander anfangen können. Das finden sie unerträglich. Dann finden sie einander unerträglich. Dann finden sie das Land unerträglich. Und siehe da: Das Märchen zerbirst.

Am anderen Märchenende der Welt, in der Karibik, kostet eine Nacht in einem besseren Strandhotel just so viel, wie das Zimmermädchen im Monat verdient. Angesichts des skandalösen Wohlstandsgefälles zwischen Besuchern und Besuchten hat der Fernreisende ungefähr drei Möglichkeiten zu reagieren: Er wird zum Revolutionär. Oder er wird zum Zyniker. Oder er bleibt im Märchenland. Eine unlängst an einem karibischen Hotelstrand durchgeführte Untersuchung legt nahe, dass die allermeisten Reisenden die dritte Variante, also das Märchenland bevorzugen: An jenem Hotelstrand starrten an einem sonnigen Vormittag zwischen 11.20 Uhr und 11.25 Uhr rund 90 Prozent der Anwesenden in ein Buch oder auf einen E-Book-Reader. Zwei Prozent der Anwesenden starrten in die Luft. Der Rest unterhielt sich mit seiner Reisebegleitung.

Bemerkenswert erscheint, dass Menschen, die zehn Flugstunden von ihrer Berliner Arbeitsstelle entfernt sind, sich mit Sonnencreme aus dem DM-Markt einschmieren und Romane lesen, deren Hauptfiguren durch Berlin irren und von tropischen Stränden träumen. Nicht wenige Fernreisende sind zudem gerne bereit, den Folklore-Kulissenschiebern der einschlägigen Industrie mit Lust aufzusitzen. Und den Rest besorgt der mit modernen Siebenmeilenstiefeln ausgestattete Nutznießer der Globalisierung bei Bedarf selbst.

Im Urlaub ist Armut pittoresk und authentisch

Natürlich ist es mitnichten einfach nur pittoresk, wenn asiatische Fischer auch nach dem Tsunami ihre windschiefen Hütten direkt am Meer bauen. Natürlich ist es mitnichten charmant, wenn mittelamerikanische Gemäuer schimmeln. Und selbstverständlich zeugt es nicht von überbordender Freundschaft oder spontaner Herzlichkeit, wenn sich sechs Afrikaner zum Fahrer in einen ausrangierten VW-Golf zwängen, um von A nach B zu gelangen. Aber der Märchenreisende neigt dazu, die Symptome der von ihm mitverschuldeten Armut als Ausweis von Authentizität zu begreifen. Wo sich die Perversion globaler Ungerechtigkeit in Zahnlücken und zerschlissenen T-Shirts aus der Altkleidersammlung manifestiert, juchzt der deutsche Büromensch auf Reisen: „Ui, wie originell! Ui, wie frei!“

Der Märchenreisende ist darauf gestimmt, Stunden lang davon zu schwärmen, welch opulente und wohlschmeckende Mahlzeiten er sich für acht Euro inklusive aller Getränke in Weitfortistan täglich einverleibt hat. Aber er ist nicht in der Lage zu erkennen, dass sich der Taxifahrer, der ihn regelmäßig kutschierte, diese Mahlzeiten nie wird leisten können, weil es sich dabei um das Zehntel seines gesamten Monatslohnes handelt.

Brasilianische Hotels bieten thailändisches Bambusdesign

Einer unserer liebsten Märchenonkel, der Wiener Großpoet André Heller, hat einmal in einer Vorlesung gefordert: „Solange in Indien noch irgendetwas anders ist als in Karlsruhe, muss man sich das ansehen!“ Natürlich hatte er recht damit, aber sein Aufruf ist mittlerweile auch schon ein Jahrzehnt alt. Und seitdem hat das Internet – jener große Gleichmacher, der sich einfach weigert, seine Potenziale als großer Gleichsteller zu nutzen – die Unterschiede, die Heller zur Betrachtung empfiehlt, auf groteske Weise eingeebnet. Mittlerweile warten brasilianische Hotels gerne mit thailändischem Bambusdesign auf, während in Bangkok fröhlich kubanische Musik gedudelt wird. Im Senegal lässt sich in libanesischen Restaurants ausgezeichnet Italienisch speisen, und überall auf der Welt laufen junge Männer gerne in weiten Jeans aus China herum, die dem coolen Beinkleid US-amerikanischer Gangsterrapper nachempfunden sind. Die Märchenwelt ist so allgegenwärtig, dass die banalste Form ihrer Zerstörung gar nicht ins Gewicht fällt.

Und das Ende der Geschichte? Beruflich stark engagiertes Fernbeziehungs-Pärchen reist zum Tropenstrand. Dort stellen die Berlinerin und der Münchener fest, dass sie länger als 48 Stunden nichts miteinander anfangen können. Das finden sie unerträglich. Dann finden sie einander unerträglich. Dann finden sie das Land unerträglich. Und siehe da: Das Märchen zerbirst.