Was tun, wenn man geschieden ist: In einer Selbsthilfegruppe in Stuttgart treffen sich Betroffene und sprechen über ihre Situation. Wir haben sie besucht.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Das Leben geht weiter“, „Du findest auch noch deinen Deckel“ oder „Ein Neuanfang ist doch immer auch eine Chance“ – solche gut gemeinten Sprüche müssen sich Menschen, die sich gerade getrennt haben, häufig von ihrem Umfeld anhören. „Das ist alles gut gemeint, aber mir hat das nicht gereicht“, erzählt Manfred Krüger (Name geändert). „Ich wollte mich mit Menschen unterhalten, die in derselben Situation sind wie ich.“

 

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Nach fast 30 Jahren Ehe haben seine Frau und er sich scheiden lassen. „Voller Emotionen“ sei er damals gewesen. Und er wusste nicht, wohin mit all den negativen Gefühlen. Im Internet hat er irgendwann nach Selbsthilfegruppen gesucht. Fündig wurde Krüger bei der Stuttgarter Selbsthilfekontaktstelle KISS in der Tübinger Straße 15. Ob Asthma, Arthrose, Depressionen oder eben frisch Getrennte – für jedes Leiden und fast jede Lebenssituation gibt es dort eine Gruppe. Mehr als 500 sind es insgesamt.

Jede Wochen ein Treffen

Krüger initiierte vor Jahren wöchentliche Treffen für Menschen, die sich frisch getrennt haben oder sich gerade scheiden lassen – und fühlte sich zum ersten Mal wieder aufgehoben.

Im letzten Jahr erlebte diese Gruppe einen ungeheuren Zulauf. „Das habe ich so auch noch nicht erlebt“, sagt Krüger. Inzwischen musste er die Gruppe, die er heute nur noch ehrenamtlich begleitet, aufspalten. „Mit mehr als zehn Teilnehmern macht es keinen Sinn.“

Vertraulichkeit ist wichtig

Jeden Dienstag um 18 Uhr trifft sich nun die neue Gruppe „Neuorientierung nach Trennung“ bei KISS für eineinhalb Stunden. Sechs Personen – drei Männer und drei Frauen zwischen 50 und 60 Jahren – sitzen in einem Stuhlkreis beieinander. Ihren Namen wollen sie alle nicht in der Zeitung lesen, auch wollen sie keinesfalls zu erkennen sein, auch der Gruppenleiter nicht, nicht unbedingt, weil Trennungen und Scheidungen gesellschaftlich immer noch so tabu sind. Nein, vielmehr wollen sie offen und ehrlich über ihre Geschichten sprechen – ohne dass ihre Ex-Partner davon etwas mitbekommen. „Vertraulichkeit ist in einer Gruppe ganz wichtig“, erklärt auch Manfred Krüger.

Die Teilnehmer befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Trennung. Die Neuen in der Gruppe bekommen erst einmal Gelegenheit, ihre Geschichte zu erzählen – sofern sie das möchten. Ein Teilnehmer berichtet von dem ewig andauernden Krieg mit seiner Frau: Um das gemeinsame Haus, um Geld und um die Kinder streiten sie. Seit seine Frau die Scheidung wollte, hat er kaum Kontakt zu seinen Kindern. „Sie schürt Ängste in ihnen, beeinflusst sie gegen mich“, glaubt er. Seitdem wünschen die Kinder auch keine Treffen mehr. „Das zermürbt mich am meisten“, gesteht er weiter. Längst läuft die Kommunikation zwischen den beiden Ex-Partnern nur noch über die Anwälte.

Geschiedene erzählen von ihren Gefühlen

Die meisten in der Gruppe haben Ähnliches durchgemacht. Ein Teilnehmer unterstützt den Mann und erzählt ihm seine Geschichte, wie er nach der Scheidung plötzlich fast mit leeren Händen dastand, weil seine Ex-Frau alles mitgenommen hatte. Der Gruppenleiter versucht mit sachlichen Einwänden Tipps zu geben und empfiehlt, sich vielleicht erst einmal um die Auflösung des gemeinsamen Hauses zu kümmern. Und eine Teilnehmerin spricht das aus, was der Mann fühlt: „Die eigenen Kinder zu verlieren, das ist, wie wenn jemand dir die Finger abschneidet“, sagt sie. „Der Schmerz wird anders, aber er bleibt immer erhalten.“ Lösen können die Teilnehmer untereinander ihre Probleme nicht. „Man ist nicht mehr alleine“, sagt Krüger. „Und geteiltes Leid ist tatsächlich irgendwie halbes Leid.“

Viele Teilnehmer sind 50 Jahre und älter

Etwa jede dritte Ehe wird in Deutschland laut Statistischem Bundesamt irgendwann geschieden. Rund 15 Jahre hält in Deutschland durchschnittlich eine Ehe. Vor allem die Zahl der Scheidungen nach der Silberhochzeit hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Die meisten in der Selbsthilfegruppe sind auch „Ü50“, wie Krüger sagt.

Lange waren es auch mehr Männer, die in seine Selbsthilfegruppe kamen. „Männer haben meistens kein Netzwerk, das sie auffängt“, so die Vermutung Krügers. „Viele kommen einfach, weil sie einsam sind“, sagt er. „Einige geben ja für die Ehe und die Familie alles andere auf.“ Weihnachten, Ostern oder nur das Wochenende löse bei ihnen Panik aus. Längst ist aus der Gruppe deshalb nicht nur eine Austauschrunde über die eigenen Gefühle geworden, sondern ein Netzwerk für Freizeitaktivitäten. Museumsbesuche, Wanderungen oder Treffen in Besenwirtschaften – die Teilnehmer und viele Ehemalige unternehmen viel. „Es sind richtige Freundschaften entstanden“, sagt Krüger. Er selbst hat seine Trennung längst überwunden. „Mir geht es so gut wie lange nicht“, sagt er. Der Gruppe treu geblieben ist er als sogenannter „Ingangsetzer“ – also quasi eine Art erfahrener Begleiter –, weil er etwas zurückgeben möchte. Auch möchte er als „gutes Beispiel“ vorangehen: „Ich kann Mut machen und ohne Emotionen andere begleiten.“

Der Initiator als gutes Beispiel

Vor etwa zwei Jahren sei seine Gruppe, die er nach wie vor am Montag betreut, etwas im „Loch“ gewesen. Es waren immer die gleichen Teilnehmer, der gleiche Austausch – dabei ging es für viele längst nicht mehr um die Trennung. Irgendwann geht das Leben ja tatsächlich weiter, wie es einst die Freunde prophezeit haben. Einmal im Monat trifft sich deshalb nun bei KISS eine Gruppe mit dem Titel „Lebensgestaltung nach Trennung“. Wie finde ich jemand Neues, wie gestalte ich mein Leben glücklich alleine? „Das sind die Fortgeschrittenen, die die Montagsmühle schon durchlaufen haben“, sagt Krüger und: „Das ist wirklich unsere lustigste Gruppe.“