In den 70er und 80er Jahren ist Freiluftschach ein Trendsport gewesen. Aber auch heute trifft sich noch eine treue Gemeinde älterer Herrn im Göppinger Oberhofenpark zum Figurenschieben.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Es hat so gut angefangen. Aber jetzt wird Harry nervös. „Ich habe nicht mehr viel Zeit“, stöhnt er. Das Auto steht in der Davidstraße, und die zweistündige Parkzeit läuft ab. Kein Wunder, dass Harry Fehler macht. Schwupps, sind die zwei Bauern Vorsprung weg. Jetzt gibt es auch noch Kommentare von den Herren auf den Ersatzbänken rund um das Freiluftschachfeld. Da ist es passiert: Schachmatt. Bruddelnd zieht Harry davon. Wenn es jetzt auch noch ein Knöllchen gab, ist der Tag gelaufen.

 

Wer reinquatscht, lebt gefährlich

Das mit dem Reinquatschen ist so eine Sache bei den Schachspielern im Göppinger Oberhofenpark. Wenn die Kontrahenten am Betonbrett den hohen Qualitätsanforderungen der Zuschauer nicht genügen, hagelt es von den Großmeistern rings umher gut gemeinte Ratschläge. Einmal ist einem Spieler deshalb der Kragen geplatzt. Einer, der partout seinen Mund nicht halten wollte, bekam einen König über den Kopf gezogen. „Das ging sogar vor Gericht“, sagt Dietmar (75), der sich gut an den Vorfall vor zwei Jahren erinnert. Seither gibt es einen Spieler weniger. Der Täter kommt nicht mehr. Und so geht es heute freundschaftlich zu, zumal ein ungeschriebenes Gesetz längst allgemeine Anerkennung gefunden hat: Nur die erfahreneren Spieler wagen eine Partie, die Schwächeren schauen lieber zu.

Früher war es natürlich besser. „In den 70er und 80er Jahren hatten wir hier ein ganz anderes Niveau“, sagt Franz. Der 70-jährige Witwer hat von seinem Wohnort Bezgenriet eine Radtour nach Geislingen unternommen und schaut nun auf dem Rückweg im Oberhofenpark vorbei. Damals war das Freiluftschach ein Trendsport. Heute treffen sich dafür vor allem ältere Herren. Spätestens um die Mittagszeit werden die kniehohen Figuren aus der Kiste geholt. Obwohl: neulich war auch eine Dame da. „Die kam aus Altbach“, meint Walter. Erst habe sie sich nicht getraut, aber dann habe sie gar nicht schlecht gespielt, sagt der 72-Jährige.

„Die Russen spielen besser als wir“

Das mit dem Niveau sehen manche übrigens anders. „Hier hat es immer gute Spieler“, sagt Erich. Der 61-Jährige ist Inhaber eines Fahrdienstes und kommt so oft zum Schachbrett, wie es ihm sein Job erlaubt. Gerade die vielen Spieler aus Osteuropa hätten einen Qualitätsschub gebracht. „Die Russen spielen alle besser als wir“, sagt er. Ein bisschen Völkerverständigung ist auch immer dabei. „Wir haben hier sämtliche Nationalitäten“, sagt Walter.

Georg zum Beispiel kommt aus Syrien und ist so etwas wie der heimliche Hausmeister im Göppinger Schachparadies. „Abends räume ich immer die Figuren ein“, sagt der 52-Jährige. Jetzt aber verzieht er sich erst einmal mit Antonio (67) auf Platz zwei. Der liegt etwas abseits und hat den Vorteil, dass ihn keine Sitzbänke einkreisen. Alkohol spielt übrigens kaum eine Rolle bei den Herren, obwohl das Quellenhäusle, wo auch der Schlüssel für die Kisten mit den Figuren verwahrt wird, gleich nebenan steht. Nur einer holt sich seine Flasche Oettinger aus einer der vielen Plastiktüten an seinem Fahrrad.

Zwei Arten von Spielern

Doch zurück zum Feld: wie sich zeigt, gibt es zwei Arten von Freiluftschachspielern. Die eine hebt die Figuren mit der Hand, wenn sie zieht (Georg), die andere schiebt sie lässig mit dem Fuß (Antonio). Der 67-Jährige in seiner blauen Glanzschlabberjogginghose hat an diesem Tag das bessere Ende für sich. Schon ist er zwei Bauern und einen Springer vorne, da holt er sich auch noch den Läufer. „Soll er ihn nehmen, er ist alt genug“, sagt Georg – und hat ganz übersehen, dass er mit seinem Turm nun doch nicht zurückschlagen kann. „Dann machen wir halt Remis“, sagt er, als Antonio grübelnd an seiner Schildkappe nestelt. Doch der lächelt nur mild und tauscht gegen einen Bauern die Dame ein. Schachmatt. Und schon stellen sie die Figuren wieder auf für eine Revanche.