Der Trubel in Deutschlands sechstgrößter Stadt ist ansteckend. Doch die Einrichtungen, Sehenswürdigkeiten und Dienstleister brauchen eine Aufwachphase. Unsere Zeitung hat sich einmal umgeschaut, was alles geht bevor es richtig läuft. In unserer Serie „Die Stadt erwacht“ ist heute das Gefängnis in Stammheim das Ziel.

Stuttgart - 6.30 Uhr

 

Die JVA Stuttgart liegt in der Morgendämmerung, es ist ruhig um den Betonkoloss mit den grauen, haushohen Mauern, nur fünf Gehminuten von der Endhaltestelle Stammheim der Stadtbahnlinie U15 entfernt. An der Pforte herrscht gute Stimmung, nach und nach trudeln die Justizvollzugsbeamten ein, deren Dienst um diese Zeit beginnt. In Grüppchen betreten die Mitarbeiter die Schleuse. Erst wenn die Eingangstür sich hinter ihnen schließt, kann die zweite Tür geöffnet werden.

6.48 Uhr

In der Küche herrscht schon seit 5 Uhr Hochbetrieb. Noch vor 6 Uhr wurden hier die Küchenwagen bestückt, damit das Essen rechtzeitig ausgeliefert werden kann, bevor für viele der Inhaftierten der Arbeitstag beginnt. Jetzt werden von den Gefangenen, die in der Küche arbeiten, Zwiebeln geschnitten und Fleischküchle zubereitet. Dazu gibt es Mischgemüse aus der Tiefkühltruhe. „Wenn wir den Essensplan erstellt haben, geht der weiter zur Anstaltsärztin. Sie überprüft anhand der Nährwerte, ob eine ausgewogene Ernährung sichergestellt ist“, erklärt Uwe Tullius, Mitarbeiter der Küche. Freitags gibt es Fisch oder Maultauschen. Samstags auch mal Dampfnudeln. „Einige beschweren sich bei den Süßspeisen, sie würden davon nicht richtig satt werden. Allen kann man es nie Recht machen“, sagt Tullius und grinst.

Der Mülltrupp sucht nach Handys und Drogen

6.58 Uhr

Im Westhof läuft der Mülltrupp die Grünfläche ab bevor die Stockwerke nach und nach, je für eine Stunde, zum Hofgang dürfen. Ein Beamter ist mit zwei jungen Häftlingen unterwegs und sammelt den Müll ein, der über Nacht aus den Fenstern fliegt. „Der Kollege schaut auch nach verbotenen Gegenständen, die über den Zaun geworfen wurden. Wir finden hier öfter Drogenpäckchen oder Handys, die für die Häftlinge bestimmt sind“, so Martin Zeiher, Abteilungsleiter der Zugangs- und Abgangsabteilung im Erdgeschoss. Der Lieferant muss hoch und zielsicher werfen können – zwischen Hof und Straße liegen eine sechs Meter hohe Mauer und ein Sicherheitsstreifen.

7.13 Uhr

Im Durchsuchungsraum der Zugangs- und Abgangsabteilung stehen zwei Beamte seit 7 Uhr auf Bereitschaft. Hier werden die Neuankömmlinge der Polizei durchsucht und die Abgänge in die Busse gesetzt, die sie in andere Haftanstalten oder zu Gerichtsterminen bringen. „Die Zellen im Erdgeschoss sind nicht für eine Dauerbelegung bestimmt. Spätestens nach einem Tag kommen die Häftlinge ein Stockwerk höher zur Zugangsuntersuchung“, erklärt Martin Zeiher. Danach beziehen sie eine der Zellen zwischen Stockwerk eins und sieben. Eine Zelle ist mit einem, zwei oder vier Betten, Tisch und Stühlen, einer Toilette, einem Aschenbecher, einem Mülleimer und einem Fernseher ausgestattet. Für Privatsphäre bleibt kein Platz, der Zigarettendunst vermischt sich mit dem der Kloschüssel.

540 Haftplätzen sind mit 713 Häftlingen belegt

7.34 Uhr

Im Südhof haben die Jugendlichen unter 18 Jahren Hofgang, im Westhof ist gleich der sechste Stock dran. Im Hof hängen Hinweise und Angebote für die Häftlinge, vom Essensplan bis zum Treffen der Anonymen Alkoholiker. Nach dem Hofgang muss jeder wieder durch den Metalldetektor. Gleich am Südhof liegt auch die winzige Frauenabteilung der Anstalt mit drei Hafträumen für maximal zehn Inhaftierte. Drei Beamte sind mit einer Liste damit beschäftigt, die Abgänge aus den Zellen zu holen.

8.09 Uhr

Im ersten Stock werden jetzt zwei Polizeizugänge für die Zugangsuntersuchung registriert. Die Häftlinge müssen sich ausziehen, am Computer wird eine Personenbeschreibung angefertigt. Körpergröße, Tätowierungen, Narben werden akribisch in das Formular eingetippt. Jeder Häftling darf einen kleinen Einkauf machen, die meisten kaufen Tabak. Wer nur wenig Geld hat, kann sich die Zigaretten auch einzeln kaufen. Den Zugangsbefragungsbogen gibt es inzwischen in fünf Sprachen: Deutsch, Rumänisch, Türkisch, Englisch und Arabisch. „Viele Sprechen kein Wort Deutsch, damit haben wir große Probleme“, erklärt Helmut Spindler von der Aufnahme. Die 540 offiziellen Haftplätzen sind derzeit mit 713 Häftlingenbelegt. „Es gab aber auch schlimmere Zeiten mit über 1100 Häftlingen in den Neunzigern“, erinnert sich Martin Zeiher. „Zum Glück geht nächstes Jahr der Neubau in Betrieb.“

Ein halbes Hähnchen im Kleidersack

8.30 Uhr

In der Effektenverwaltung wird das Hab und Gut der Inhaftierten eingelagert. Kleine Wertsachen wie Geldbeutel, Schmuck und Handys werden in großen Aktenschränken verstaut. Die Kleider werden in Kleidersäcken verstaut, die mit einer Nummer versehen in ein riesiges Lager kommen. Wenn Obdachlose mit viel Gepäck ankommen, kann es auch vorkommen, das mal etwas übersehen wird. „Einer hatte ein halbes Hähnchen mit dabei. Das hat dann den Weg in den Kleidersack gefunden – wir haben das erst nach Wochen bemerkt als das Hähnchen schon laufen konnte“, erzählt Heidi Brunn lachend.

8.39 Uhr

Auf der Krankenstation werden gerade die Isolierzellen gereinigt. Mit Mundschutz und Overall schrubben Häftlinge die Zellen, in denen Inhaftierte mit Infektionskrankheiten wie Tuberkulose untergebracht sind. Besonders durch den Asylstrom seien diese Krankheiten wieder vermehrt im Umlauf, erklärt Hermann Wahl, Leiter der Krankenstation. Von Schlaganfällen über offene Wunden bis hin zu Diabetes wird hier alles behandelt. Auch Physiotherapie gibt es hier. „In den Neunzigern hatten wir oft Neuankömmlinge von der Straße, die mussten wir quasi grundsanieren“, erinnert sich Wahl und fügt an: „Da waren die Zehennägel in die Füße und die Socken und Unterhose in die Haut eingewachsen. So was hatten wir aber schon länger nicht mehr.“