Was passiert eigentlich, wenn man an seinem denkmalgeschützten Haus etwas verändern will? Wer redet mit? Und nach welchen Kriterien fallen die Entscheidungen? Die StZ setzt sich mit fünf populären Annahmen auseinander.

Stuttgart - Ein historisches Erbe kann eine Bürde sein. Oder auch eine Fessel, die den eigenen Freiraum beschränkt und klare Formen vorgibt. In diesem Korsett bewegen sich in Stuttgart Tausende von Hausbesitzern, deren Gebäude unter Denkmalschutz steht. Wenn sie die Fassade renovieren oder eine Zwischenwand einreißen wollen, redet automatisch die Behörde mit. Bei besonders schützenswerten Objekten können die Denkmalschützer sogar verlangen, dass die neue Tür des Hauses zu dessen Geschichte passt.

 

Das kann im Fall der Fälle teuer werden und zu Konflikten führen: „Hilfe, mein Haus steht auf der Denkmalschutzliste!“ Damit befinden man sich in Stuttgart in bester Gesellschaft: Die Stadt listet 4500 Kulturdenkmale auf. Eigentum verpflichtet – und bei Eigentum von historischem Wert wächst die Verpflichtung. Doch was passiert eigentlich genau, wenn ein Hausbesitzer an seinem denkmalgeschützten Gebäude etwas verändern will? Wer redet dabei mit? Und nach welchen Kriterien fallen die Entscheidungen? Die StZ setzt sich mit verschiedenen populären Annahmen rund um das Thema auseinander:

1. Denkmalschutz betrifft fast ausschließlich alte Gebäude. Falsch. „Viele glauben das zwar“, sagt Herbert Medek, Abteilungsleiter im Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung, „aber die meisten Konflikte beim Denkmalschutz entstehen bei Gebäuden aus unserer eigenen Generation.“ Die Denkmalschützer bemessen den Wert eines Gebäudes längst nicht nur an dessen Alter, obwohl dieser Punkt eine wichtige Rolle spielt. Sie betrachten die Stadt vielmehr wie ein steinernes Geschichtsbuch, dessen Kapitel sämtliche Epochen der Stadtgeschichte behandeln sollten.

Dabei denkt die Behörde im weitesten Sinn wie ein Förster, der heute schon den Wald für übermorgen sät: „Wir brauchen in der Zukunft auch Gebäude aus der heutigen Zeit oder der jüngsten Vergangenheit“, erklärt Herbert Medek. So setzen sich die Denkmalschützer derzeit intensiv mit der Frage auseinander, welche Gebäude aus den 1960er Jahren es wert sind, für kommende Generationen erhalten zu werden.

2. Es ist doch Ansichtssache, wie wertvoll ein Gebäude aus historischer Sicht ist. Das mag grundsätzlich zwar stimmen – so wie bei einer Auktion der materielle Wert eines Kunstwerks festgelegt wird, über den es sich streiten lässt. Tatsächlich folgt die Denkmalbehörde jedoch einem Katalog von Kriterien, der zumindest aus ihrer Sicht den historischen Wert des Gebäudes festlegt. Dabei geht es unter anderem darum, welchen Seltenheitswert der Bau für die jeweilige Epoche besitzt und welcher künstlerische und heimatgeschichtliche Rang ihm zuzuordnen ist.

Hat das Haus also womöglich in einem historischen Konflikt eine Rolle gespielt? Gibt es das typische barocke Deckengemälde nur noch hier oder auch in vielen anderen Gebäuden der Stadt? Das Problem: über diese Fragen lässt sich streiten und die Kriterien, die den historischen Wert eines Baus festlegen sollen, sind sehr allgemein formuliert. In vielen Fällen bleibt ein erheblicher Interpretationsspielraum – deswegen entbrennt mitunter heftiger Streit, und manche Hausbesitzer empfinden Entscheidungen der Behörde als Willkür.

3. Ein Gebäude verliert automatisch an Wert, wenn es oft umgebaut wurde und viele Teile keine Originale mehr sind. Das ist nicht völlig falsch, aber in vielen Fällen auch nicht richtig. „Das Erscheinungsbild eines Gebäudes ist das eine“, sagt Ellen Pietrus, die Leiterin der städtischen Denkmalschutzbehörde, „aber wir schauen auch auf die Substanz.“ Ein Teil des historischen Werts bemisst sich am Alter von Mauern, Balken und Treppen. Andererseits können Eingriffe in ein Gebäude einen eigenen historischen Wert bekommen.

Kriegsschäden und ihr historischer Wert

Konkret trifft dies auf die Wiederaufbauzeit nach dem Krieg zu. „Teile des Neuen und des Alten Schlosses sind als Gebäude auch Dokumente des Wiederaufbaus“, sagt Pietrus. Wie kompliziert die historische Einordnung ist, zeigt der Fall der Stiftskirche: Die spätmittelalterliche Kirche wurde nach dem Krieg wiederaufgebaut. Als die Kirche zur Jahrtausendwende umfassend erneuert wurde, brach ein erbitterter Streit darüber aus, welche Teile des Baus unbedingt schützenswert seien.

4. Wer ein denkmalgeschütztes Gebäude umbauen will, tut sich oft schwer mit der Bürokratie. Dies stimmt in Einzelfällen, gilt aber nicht für die Masse der Verfahren. Im Zweifelsfall prüft die Denkmalschutzbehörde, ob und in welchem Umfang ein Bau erhaltenswert ist. Dabei recherchieren die Mitarbeiter in Archiven, studieren Baupläne und Literatur. Anschließend untersuchen Fachleute das Gebäude bei einem Vor-Ort-Termin. Auf dieser Grundlage erstellen sie ein denkmalpflegerisches Konzept.

Herbert Medek räumt ein, dass das Verfahren verbessert werden sollte. „Sicher lässt sich einiges verständlicher formulieren.“ Er verweist auf die Arbeitersiedlung Eiernest im Stuttgarter Süden. Dort habe die Behörde den Anwohnern mit Grafiken verständlich zeigen können, welche Rolle der Erhalt der Siedlung spielt.

5. Ein denkmalgerechter Umbau geht enorm ins Geld. Dies trifft vor allem dann zu, wenn der historische Wert eines Gebäudes so groß ist, dass es auf die Einrichtung, jedes Fassadendetail und sogar auf die Farbgestaltung ankommt. Dies zeigt sich in Stuttgart besonders eindrucksvoll an der bewussten Farbwahl für die Häuser am Marktplatz. Meist untersucht ein Restaurator das Gebäude, bevor Fassaden instand gesetzt werden – anschließend empfiehlt er den Handwerkern die weitere Vorgehensweise. In fast allen Fällen ist eine solche Sanierung teurer als eine gewöhnliche Erneuerung.

Doch eine denkmalgerechte Sanierung bietet auch Chancen: Das Einkommensteuergesetz bietet „die beste Abschreibung, die man haben kann“, sagt der Baubürgermeister Matthias Hahn. Im Fall einer Eigennutzung können die Besitzer über Jahre verteilt 90 Prozent der denkmalpflegerischen Kosten absetzen. Denkmalschutz kann sich auszahlen – für den Einzelnen und für die Stadt ohnehin.