Unter den Klimadiplomaten zählt der deutsche Beamte Karsten Sach zu den Veteranen. Seine Rolle entscheidet mit über Erfolg oder Misserfolg beim Klimagipfel, der Anfang Dezember in Paris über die Bühne geht und wieder ein zähes Ringen erwarten lässt.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Mit seiner Statur eignet er sich eigentlich nicht für eine Rolle im Hintergrund. Dazu ist der Beamte mit dem kantigen Gesicht und den hellblauen Augen um einige Zentimeter zu breitschultrig und zu groß geraten. Karsten Sach, der nicht nur von der Ostseeküste stammt, sondern der Verkörperung mancher Wikingerklischees recht nahe kommt, überragt die Menschen in seiner Umgebung fast immer. Dazu müsste der Beamte sich nicht einmal so kerzengerade halten, wie es für ihn typisch ist. Es sei denn, er lümmelt ausnahmsweise weit zurückgelehnt auf einem Besucherstuhl in seinem Büro, weil gerade keine Mails auf sofortige Antwortpflichten abgeklopft werden müssen, weil keine Telefonate zu führen und keine Sitzungen zu leiten sind.

 

Jetzt soll er nur erzählen, wie es so zugeht auf der Hinterbühne der wahrscheinlich kompliziertesten Politikkonferenz der Welt; und was geschieht, wenn Regierungschefs, Minister und Diplomaten abseits der Kameras um Fortschritte bei einem der komplexesten Probleme der Menschheit ringen und dabei stets wissen, dass es sehr zentral auch um die künftige Entwicklung ihrer heimischen Volkswirtschaft und mithin um den Wohlstand ihrer Bevölkerung geht. Er hat noch eine Stunde Zeit bis zum nächsten Podium in der französischen Botschaft in Berlin, wo es wieder um das geht, worum es in den November- und Dezembermonaten im Leben des Karsten Sach schon seit vielen Jahren fast immer geht: den nächsten Klimagipfel vom 30. November bis 11. Dezember in Paris.

„Jeder nationale Beitrag ist nur ein Tropfen im Ozean“

Seit 16 Jahren ist Karsten Sach nun schon die wichtigste Schaltstelle im Behördenapparat, der hinter der Politmaschine mit ihren wechselnden Akteuren steht. Sach ist der Chefunterhändler der Bundesregierung beim Klimaschutz. In der Szene zählt er zu den Veteranen. 1999 hat der grüne Umweltminister Jürgen Trittin ihn auf seinen heutigen Posten geholt. Seither hat er fünf Umweltminister und zwei Kanzler beraten und begleitet. Seither war er auf jedem Klimagipfel. „Ohne die Konferenzen würde die Welt wahrscheinlich in Fatalismus verfallen“, sagt er. „Denn jeder nationale Beitrag zum Klimaschutz – sogar wenn ein Staat ganz CO2-neutral würde –, kann bei einem Problem dieser Größenordnung fast immer nur ein Tropfen sein, der in den Ozean fällt.“

Die Internetplattform „Road to Paris“ zählt den Deutschen Sach zu den 15 Topverhandlern, an denen Erfolg oder Misserfolg des Gipfels hängen. Das liegt nicht nur an den Meriten des Beamten, an seinem ausgleichenden Temperament und dem schon im Jurastudium geschulten Vermögen, in strittiger Lage den Ausgleich zu suchen. Natürlich spiegelt sich darin auch das Gewicht des Atomausstiegs- und Energiewende-Pioniers Deutschland.

Im Grunde war Sach von Anfang an dabei, als die Welt den Kampf gegen den Klimawandel auf die Agenda setzte. Bei der Vorbereitung des Erdgipfels von Rio 1992 hat er als kleiner Referent im Umweltministerium schon zugearbeitet. Er hat miterlebt, wie die Klima-Maschinerie in Schwung kam und so riesig wurde, dass viele Kritiker sie für so wahnwitzig wie ineffizient halten. Sach gehört zu denen, die aus der Nähe erst die Zweifel am und dann die wissenschaftliche Gewissheit über den menschengemachten Klimawandel haben wachsen sehen. Er kennt die Zuversicht und die Enttäuschungen, die das Kyoto-Protokoll geweckt hat, und den Druck, einen Anschlussvertrag zustande zu bringen. Er hat die Hoffnungen auf einen Durchbruch in Kopenhagen wachsen sehen und gehörte nach dem Scheitern dort zu den Geschlagenen.

Umgeben von orthodoxen Positionen

In Paris unternimmt die Welt den zweiten Anlauf, einen globalen Klimavertrag abzuschließen. Gerade jetzt sind die Hochs und Tiefs der Vergangenheit nicht Sachs Thema. Dabei war er oft beteiligt in den Schrecksekunden der Gipfel, wenn Politiker und Beamte sich entsetzt anschauten nach dem Motto: Was haben wir da eigentlich gerade angerichtet? Er kennt auch die kathartischen Momente danach, wo es irgendjemandem aus dem Schrecken heraus gelang, die Legosteine der Klimapolitik so anders zusammenzusetzen, dass sich hinter dem neuen Gebilde doch alle versammeln konnten. Und er weiß, wie zäh die Verhandlungen oft sind, bevor es zum Schwur kommt, weil die Vertreter der 195 Vertragsstaaten all die kreativen Lösungsvorschläge vergessen zu haben scheinen und wieder die orthodoxen Positionen herunterbeten, die keiner mehr hören kann.

„Die Frage ist: Wie organisiert die Weltgemeinschaft Fortschritt?“ Das Vorwärtskommen im Klimaschutz möglich zu machen ist Sachs Beruf und Berufung nach wie vor. Dabei ist der 56-Jährige kein Träumer oder Weltverbesserer. Dazu hat der Karrierediplomat, der auf einem Bauernhof in einem 150-Seelen-Dorf aufgewachsen ist, zu viel von der bodenständigen Mentalität seiner ostholsteinischen Landsleute mitbekommen. Politische Ambition paart Karsten Sach mit nüchterner Sachlichkeit. Aber zum Zyniker ist er ob der Endlosschleifen und Rückschläge im Klimaschutz auch nicht geworden. „Wer in diesem Politikfeld arbeitet, ist nicht auf kurze, schnelle Erfolge aus“, sagt er. „Um Prozesse, die auf Jahrzehnte und Jahrhunderte angelegt sind, am Leben zu erhalten, sind Klimakonferenzen extrem wichtig“, betont er.

Die Richtung stimmt, aber ist der Fortschritt schnell genug?

Jetzt, wo die letzte Etappe vor Paris angebrochen ist und die Hausaufgaben gemacht sind, wo Sach weiß, was die Bundesregierung erreichen will und wie alle anderen Interessengruppen ticken, ist er konzeptionell unterwegs in Richtung „ambitionierter Mittelgrund“. Das klingt furchtbar fade, aber für den Verhandlungserfolg ist es entscheidend. Dabei interessiert Sach sich aus Prinzip nicht für die exakte Mitte zwischen zwei oder mehr Positionen. „Dabei verliert jeder zu viel und gewinnt zu wenig“, erläutert er. „Man muss versuchen, intelligentere Wege zu finden und Interessen, Zeiträume, Themen so miteinander zu kombinieren, dass jeder Beteiligte vielleicht nicht hundert Prozent kriegt, aber auf jeden Fall deutlich mehr als die Hälfte.“

Das ist das Feld, auf dem sich Erfolg oder Misserfolg von Paris entscheiden. Sach ist optimistisch, dass es im Dezember klappt mit der Einigung auf ein klimapolitisches Grundgesetz für den Globus. Aber Risiken gibt es immer. „Insgesamt bewegt sich die Gesellschaft beim Klimaschutz in die richtige Richtung“, meint er. „Die große Frage ist, ob sie es schnell genug tut.“