Der Physiker Stefan Rahmstorf ist nicht nur einer der bekanntesten deutschen Klimaforscher, sondern auch einer der streitbarsten. Seine Erkenntnisse setzt er auch im Privaten um – und verzichtet auf Auto und Fernreisen, so gut es geht.

Stuttgart - Als im Sommer 2002 die Elbe über die Ufer trat, wandte sich Stefan Rahmstorf zum ersten Mal an die Öffentlichkeit und kritisierte in einem Zeitungsartikel Berichte darüber, dass die Erderwärmung ein rein natürlicher Prozess sei. „Eine echte wissenschaftliche Kontroverse hinter dem Medienspektakel ist nirgends zu finden“, schrieb er damals. „Wenn man es als Wissenschaftler besser weiß, sollte man nicht schweigen“, sagt er heute.

 

Rahmstorf ist Physiker und Meeresforscher: Professor an der Universität Potsdam und Leiter des Arbeitsbereichs Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Erst im Juli hat er es wieder in das renommierte Wissenschaftsmagazin „Science“ geschafft: Mit seinen Kollegen zeigt er dort, dass in der Vergangenheit, wenn die Temperaturen um einige Grad stiegen, immer auch der Meeresspiegel stieg – langfristig um mindestens sechs Meter. Die polaren Eisschilde reagieren sensibel auf einen Klimawandel, warnen die Forscher.

Er zeigt Klimaschutz im Alltag am Beispiel seiner Familie

Neben seiner Forschung schreibt Rahmstorf populärwissenschaftliche Bücher. Er war einer der Autoren des vorletzten Weltklimaberichts und acht Jahre im WBGU, einem Beratungsgremium der Bundesregierung zu Umweltfragen. Außerdem beteiligt er sich am englischsprachigen Blog „Real Climate“, in dem Forschungsergebnisse zusammengefasst werden, und an einem deutschen Pendant, der „Klimalounge“. Zuletzt hat der 55-Jährige darin am Beispiel seiner Familie beschrieben, wie Klimaschutz im Alltag funktioniert: Die Rahmstorfs verzichten auf ein Auto und haben ihren Altbau mit Holzweichfaserplatten gedämmt. Eine Solaranlage auf dem Dach liefert Strom und im Sommer auch genug warmes Wasser. Zum Urlaub geht es an die Ostsee oder den Bodensee.

Auf Vortragsreisen ins Ausland verzichtet Rahmstorf, so gut es geht. Man kann zwar zum Ausgleich Geld spenden, damit Bäume gepflanzt werden, die der Luft so viel Kohlendioxid entziehen, wie beim Langstreckenflug produziert wurde, doch diese Möglichkeit zum Ausgleich dürfe man nicht überschätzen, sagt Rahmstorf: Die Aufforstung von Wäldern habe nicht das Potenzial, alle Emissionen aus fossilen Brennstoffen auszugleichen.

Oft genug schlägt Rahmstorf in seinen Blogbeiträgen einen kritischen Ton an. Unermüdlich rückt er Dinge zurecht. Er rügt Journalisten, die seiner Ansicht nach etwas falsch verstanden haben, und korrigiert vor allem Menschen, die am Klimawandel zweifeln. „Skeptische Argumente sollte man ernst nehmen“, sagt er, „und ihnen, wenn sie falsch sind, auch entgegentreten.“ Stefan Rahmstorf zählt in Deutschland nicht nur zu den bekanntesten Vertretern seines Fachs, sondern auch zu den streitbarsten (einen Höhepunkt bot vor einigen Jahren eine Auseinandersetzung in der FAZ, hier Rahmstorfs Replik). Das hat ihm schon den Vorwurf eingebracht, er sei ein Alarmist. Da messe man Klimaforscher mit einem anderen Maßstab als andere Wissenschaftler, antwortet er. „Lungenspezialisten bezeichnet man auch nicht als Aktivisten, wenn sie vor den Folgen des Rauchens warnen.“

Nun arbeitet er in Sydney daran, Prognosen zu verbessern

Vor einigen Wochen ist Rahmstorf mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Sydney gezogen. Bis März wird er an der University of New South Wales arbeiten, mit der er schon länger kooperiert. Darin sieht er seinen größten Beitrag zum Klimaschutz: das Klima besser zu verstehen. „Wir wissen zwar schon genug, um zu handeln“, sagt er, „aber es sind noch viele Fragen offen.“ Wenn zum Beispiel Städte oder Landwirte überlegen, wie sie sich für den Klimawandel wappnen sollen, sind regionale Prognosen gefragt. Die sind derzeit noch längst nicht so aussagekräftig wie die globalen Aussagen.

Ebenfalls offen ist laut Rahmstorf die Frage, „ab welchem Ausmaß die globale Erwärmung richtig gefährlich wird“. Bisher ist der Meeresspiegel um etwa 20 Zentimeter angestiegen, was sich bei Sturmfluten bemerkbar macht. Der Hurrikan Sandy, der im Oktober 2012 über New York hinwegzog, hätte ohne diese 20 Zentimeter vermutlich zehn Prozent weniger Häuser überschwemmt und eine Milliarde US-Dollar weniger Schaden angerichtet. Doch eine richtig große Gefahr würde dann drohen, wenn die Eisschilde am Nord- und Südpol schmelzen und den Meeresspiegel weltweit um mehrere Meter ansteigen lassen sollten.

Rahmstorfs Kollege Anders Levermann hat sich zum Beispiel mit dem Eis der Antarktis beschäftigt. Im kleinen Amundsen-Becken gibt es Anzeichen dafür, dass der Eispanzer instabil geworden ist, berichteten Levermann und sein Team vor einigen Tagen im Fachblatt „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften. Das könnte – vor allem, wenn die Temperaturen weiter steigen – eine Kettenreaktion in Gang setzen, bei der immer mehr Eis schmilzt und schließlich der ganze Eispanzer der westlichen Antarktis verschwunden wäre. Der Meeresspiegel wäre dann drei Meter höher als heute. Der Prozess würde einige Jahrhunderte oder gar Jahrtausende dauern, aber der Anfang wäre jetzt gemacht.

--

Hinweis: Die StZ porträtiert vor dem UN-Klimagipfel in Paris zehn Menschen, die sich in unterschiedlichen Bereichen des Lebens für den Klimaschutz einsetzen. Alle Serienbeiträge finden Sie hier.

--

Mit einem Klick auf die Grafik gelangen Sie zu einer größeren Ansicht.

Statistik
Die Emissionen aus der Verfeuerung von Kohle, Öl und Gas sind seit 1990 um 60 Prozent gestiegen. Eines der Szenarien, die Klimaforscher am Computer durchrechnen, beschreibt, was geschehen würde, wenn sich dieser Trend fortsetzt. Die Simulationen werden mehrfach mit leicht unterschiedlichen Voraussetzungen berechnet und man verwendet meist den Mittelwert der Ergebnisse. Der Weltklimarat IPCC fasst es so zusammen: Wenn alles weiterläuft wie bisher, dürfte sich die Erde bis zum Jahr 2100 um mehr als vier Grad erwärmen.

Prognose
Der Climate Action Tracker ist ein Zusammenschluss von Forschungsinstituten, der untersucht, wie sich die gesetzlichen Regelungen und die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Staaten auf das Klima auswirken würden, wenn sie vollständig umgesetzt werden. Manche Länder haben festgelegt, was sie bis 2030 oder gar bis 2050 erreichen möchten. Andere bleiben vage. Um einen Eindruck von der weiteren Entwicklung zu bekommen, müssen die Klimaforscher Annahmen treffen. Sie wählen typischerweise aus den bereits vorhandenen Klimasimulationen diejenige aus, die im Jahr 2030 am besten zu dem jeweiligen Land passt, und nutzen diese Simulation für ihre Prognose bis 2100.

Unsicherheit
Die Prognosen sind nicht präzise. Das liegt nicht nur daran, dass offen ist, wie Politik, Wirtschaft und Verbraucher handeln werden. Die Umrechnungen der Emissionen in die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre und die Umrechnungen der Konzentration in die globale Durchschnittstemperatur sind nicht eindeutig, da viele Faktoren hineinspielen. Die Emissionslinie in Gelb in unserer Grafik zeigt, was nötig wäre, um das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, auf das sich die Vereinten Nationen verständigt haben. Die Klimaforscher haben sie so gewählt, dass die Temperaturen mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent unter zwei Grad bleiben, wenn sich die Emissionen so entwickeln, wie dargestellt.

Empfehlungen
Auch das Zwei-Grad-Ziel garantiert keine Sicherheit. Die Korallen werden bei einer Erwärmung von zwei Grad vermutlich abgestorben sein. Und der Meeresspiegel dürfte um rund 60 Zentimeter steigen – zu viel für manche Insel. Aber die meisten Risiken, die durch den Klimawandel drohen, werden erst oberhalb dieser Grenze virulent. (Wie eine vier Grad wärmere Welt aussähe, beschreiben wir hier.)