Der Frauenverein Nisa hilft seit zehn Jahren Zugewanderten, sich hier zurecht zu finden. Die Mitglieder vermitteln zu deutschen Vereinen und Behörden.

Sindelfingen/Böblingen – - Wer sich im Kreis Böblingen mit dem Thema Integration beschäftigt, kommt am Frauenverein Nisa nicht vorbei. Es gibt kaum ein Projekt, bei dem die muslimischen Frauen nicht mitmischen. Die Vorsitzende Yasemin Yüzbasi stellt die Arbeit vor.
Frau Yüzbasi, es gibt in Sindelfingen/Böblingen genügend Vereine. Warum brauchen muslimische Frauen einen eigenen Verein?
Wir wollen auch als Muslime Verantwortung übernehmen für die Gesellschaft – und wollen das auch zeigen. Wir sehen uns als Brückenbauer – auch zu deutschen Vereinen. Und wir helfen den Leuten, sich hier zu integrieren und sich zurechtzufinden, dass sie sich trauen auch zu einer deutschen Einrichtung zu gehen. Die ganzheitliche Förderung von Frauen, Jugendlichen und Kindern für die Bereiche Kultur, Soziales und Sport sind unsere Ziele – und das in enger Kooperation mit den deutschen Behörden.
Ist Kopftuchtragen im Verein eine Pflicht?
Nein, wir haben auch Mitglieder ohne Kopftuch.
Sind Sie alle Türkinnen?
Ich bin Deutsche, meine Eltern kamen aus der Türkei, ich bin in Herrenberg geboren. Unsere Mitglieder kommen aus verschiedenen Ländern: viele haben türkische Wurzeln, wir haben auch arabische Schwestern und auch Bio-Deutsche.
Bio-Deutsche?
So nennen wir Menschen, die keine ausländischen Wurzeln haben.
Was sind die Ziele ihres Vereins?
Wir haben zwei Schwerpunkte. Zum einen beraten wir muslimische Frauen und Jugendliche in Krisensituationen. Wir haben einen Besuchsdienst für ältere muslimische Frauen, die meist schon lange in Deutschland leben, aber kein Deutsch können. Wenn dann der Mann stirbt, sind sie hilflos. Wir helfen ihnen bei der Beantragung der Rente, bei Behördengängen, Arztbesuchen. Wir vermitteln an zuständige deutsche Stellen: die psychologischen Beratungsstellen oder auch türkische Therapeuten. Wir haben ein sehr enges Netz, gute Kontakte zum Landratsamt, zu den Stadtverwaltungen, zum Kreisseniorenrat und den IAV-Stellen. Wir machen mit beim Krisentelefon des Kreises zur Pflege. Im Moment kümmern wir uns auch um die syrischen Flüchtlinge. Das machen vor allem unsre arabischen Mitglieder.
Warum können manche Frauen nach 30 Jahren immer noch kein Deutsch?
Viele dieser älteren Frauen kommen nicht aus einer Lernkultur. Sie entstammen der bäuerlichen Schicht und fühlen sich deswegen belächelt. Das blockiert sie möglicherweise dabei, Kontakte zu suchen. Manche glauben auch: Ich kehre sowieso wieder in die Türkei zurück – und das geht so von Jahr zu Jahr. Deshalb bieten wir Deutsch- und Alphabetisierungskurse an. Kürzlich haben wir fünf Teilnehmern ihre Zertifikate überreicht. Es war rührend zu sehen, wie stolz die alten Damen waren.
Kurse sind Ihr zweiter Schwerpunkt?.
Ja, zum Beispiel bieten wir ganz neu türkische Vorlesestunden in der Sindelfinger Stadtbibliothek an. Mit dem Haus der Familie machen wir Kurse zu Kindererziehung und Gesundheitsthemen, mit der Integrationsbeauftragten Computerkurse. Wir zeigen den Frauen, was es alles in der Region gibt. Dazu gehören auch Ausflüge, zum Beispiel nach Ulm oder Heidelberg. Wir fahren mit der S-Bahn, was viele noch nie gemacht haben.
Sie sind also Vermittler zwischen der deutschen Gesellschaft und den zugewanderten Frauen?
So verstehen wir unsere Aufgabe. Wir haben sogar gemeinsam mit dem Verein Nika und dem Landratsamt eine Ausbildung zum Kulturdolmetscher entwickelt, die schon etliche Frauen absolviert haben.
Wie sehen Sie sich selbst: als Deutsche oder Türkin?
Ich bin eine muslimische Deutsch-Türkin. Wenn ich in der Türkei bin, merke ich, wie deutsch ich bin. In Sindelfingen fühle ich mich zuhause, manchmal auch fremd als Kopftuchfrau. Die Kopftuchfrau sollte einfach mehr präsent in einigen gesellschaftlichen Aufgabenfeldern sein dürfen und auch einmal eine gehobene Position besetzen. Wenn das mehr und mehr möglich wird, glaube ich, dass wir endlich angekommen sind.