Im Hasenparadies ist der Teufel los: Mehrfach haben die Parkpfleger der Wilhelma im Rosensteinpark tote Feldhasen gefunden. Auch tote Füchse und Marder wurden abgeliefert. Die Tiere sind Opfer von Viren geworden.

Stuttgart - Der Rosensteinpark war bisher das reinste Hasenparadies. In keinem anderen Park und nirgends sonst ist die Population von Feldhasen größer als dort, obwohl das Tier auf der Vorwarnliste der Roten Liste steht. Doch im Paradies ist zur Zeit die Hölle los, ein Hasensterben grassiert. Die Angaben, wie viele Tiere schon an Blutungen verendet sind, schwanken zwischen neun und „Dutzende“, die Ursache aber ist geklärt. „Wir haben die Feldhasen beim Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Fellbach untersuchen lassen. Dort wurde das European Brown Hare Syndrom (EBHS) nachgewiesen“, sagt Thomas Stegmanns, der leitende Veterinär der Stadt Stuttgart.

 

Bei Langohren verläuft die Virus-Erkrankung meist tödlich, während der Erreger für Kaninchen, andere Tiere und Menschen völlig ungefährlich sei. Die Verbreitung des Virus wird durch Überpopulation beschleunigt: „Wo viele Feldhasen auf engem Raum leben, kann sich das Virus durch Kontakt schnell ausbreiten“, so Stegmanns.

Nur ein Auge wirft das Licht zurück

Zwei Kenngrößen gibt es zur Bestimmung des Bestands: Die Zählung und die Abschussquote. Letztere wird jährlich in einer Jagdstatistik erfasst und wies 1935/36 landesweit circa 195 000 Tiere aus, im Jahr 2014/15 nur noch rund 7700. „Das weist deutlich auf einen sinkenden Bestand hin“, sagt Hannes Huber vom Naturschutzbund Baden-Württemberg. Insbesondere die intensive Landwirtschaft und das Schrumpfen der Grün- und Blühflächen als Nahrungs- und Rückzugsort sei dafür verantwortlich.

Da nicht überall gejagt wird, stützt sich die Fachwelt zusätzlich auf die Hasenzählung. Die Wildforschungsstelle in Aulendorf koordiniert sie landesweit. Zwei Mal im Jahr, im Frühling und im Herbst, sammeln Jäger aus 100 Jagdrevieren Daten. Mit Fahrzeugen und Scheinwerfern durchstreifen sie nachts Feld, Flur und Parks und leuchten alle Winkel aus. Da Feldhasen weit auseinander stehende Augen haben, reflektiert stets nur ein Auge das Licht, und zwar rötlich. „Dadurch sind sie deutlich von Kaninchen zu unterscheiden“, sagt Harald Knitter, der Pressesprecher der Wilhelma. Einer seiner Vorgänger im Amt, Lutz Plasa, sammelte früher für die Aulendorfer im Rosensteinpark die Daten. Er landete regelmäßig einen Rekord, der mit dem Spitzenwert aus dem Frühjahr 2016 noch überflügelt wurde: 173 Feldhasen pro Quadratkilometer (100 Hektar) wurden gezählt. „In Baden-Württemberg liegt dieser Wert durchschnittlich bei 15,7 Exemplaren, im Schwäbischen Keuper-Lias-Land bei 20,6“, sagt Guido Dalüge, zuständig für den Niederwildzensus in Aulendorf.

Veterinäramt warnt Hundebesitzer

Ein Vergleich mit den beiden Vorjahren ist nicht möglich. Im Herbst 2015 ist die Zählung von einem SWR-Kamerateam begleitet worden. „Dabei gab es einige längere Stopps, wobei es zu Doppelzählungen gekommen sein könnte“, sagt Guido Dalüge. Im Herbst 2014 verzichtete man wegen der S-21-Bauarbeiten auf die Zählung, im Frühjahr 2015 stand Lutz Plasa wegen einer schweren Erkrankung nicht zur Verfügung. Im Rückblick bis ins Jahr 2000 wird aber klar: Nie waren mehr Feldhasen im Rosensteinpark als in diesem Frühjahr. „Es ist also programmiert, dass die Natur den Bestand selbst regelt durch Phänomene wie Nahrungsknappheit oder aber eine Seuche“, sagt der Fachmann.

Im Park grassiert allerdings nicht allein das EBHS-Virus, sondern auch die Staupe. Sie habe ihre Hochburg zunächst in Konstanz gehabt, sei dann aber von Friedrichshafen über Ulm ins Stadtgebiet von Stuttgart gewandert, so Guido Dalüge. Nach Angaben des Veterinäramts der Stadt Stuttgart sei die Staupe „bei zahlreichen Füchsen und bei Mardern“ festgestellt worden. Weil diese Virusinfektion allerdings auch bei Hunden tödlich ausgehen kann, rät die Behörde dringend dazu, den Impfschutz der Haustiere überprüfen oder auffrischen zu lassen. Die Wildforschungsstelle Aulendorf geht davon aus, dass sich das Virus bereits auf den Weg nach Westen in Richtung Schwarzwald gemacht hat.

Ein Virus verbreitet sich schneller als die Hasen

Info

Seuchen

Wildtierkrankheiten zählen laut Deutschem Jagdverband zu den natürlichen Mortalitätsfaktoren, die auch zur Regulation des natürlichen Gleichgewichts zwischen Wildtierdichte und Lebensraumkapazität beitragen können. Ein seuchenhafter Befall kann für eine Population bestandsgefährdend sein

Von Seuchen spricht man, wenn der Krankheitserreger sich rasch in einem Tierbestand ausbreitet.

Das European Brown Hare Syndrom ist eine virale Lebererkrankung, die zu Lungenblutungen führt, die Tiere schwächt, apathisch macht, Bewegungsstörungen verursacht, ihnen die Scheu nimmt und zu 80 bis 100 Prozent zum Tod des Feldhasens führt. Er wird durch Körperkontakt, gemeinsam genutzte Fress- und Kotplätze übertragen. Der Virus ist für andere Tierarten und für Menschen ungefährlich.

Die Staupe befällt zumeist hundeartige und marderartige Tiere. Die Viren befallen Rachen, Lymphknoten, Schleimhäute und dringen ins Nervensystem ein. Das führt zur Lähmung der Atemmuskulatur und zum Tod des erkrankten Tieres. Das Virus ist einige Tage in der Umwelt überlebensfähig und wird über den Kontakt zu erkrankten Tieren und deren Ausscheidungen (Urin, Kot, Nasensekret) übertragen. Besitzern von Hunden und Frettchen wird daher dringend geraten, den Impfschutz ihrer Haustiere überprüfen und gegebenenfalls auffrischen zu lassen.

Wer kranke oder tote Feldhasen, Füchse und Marder beobachtet oder auffindet, sollte die Finger davon lassen und den Tiernotdienst unter der Telefonnummer 07 11 / 216-9 19 00 verständigen.