Er kann seine Kundinnen für ein paar Stunden glücklich machen. Sie zahlen, um in seiner Wohnung, in einem Hotel oder bei einem Urlaub die Leidenschaft zu erleben, die sie im Alltag vermissen. Ein Callboy gibt Auskunft.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Der Regen prasselt auf den Asphalt am Stuttgarter Killesberg. Ein Trommelfeuer in den schweren Baumkronen. Keine Menschenseele ist zwischen Villen und Parks zu sehen. Wer Sven besucht, passiert zwei eiserne Tore. Die Anlage mit schicken Wohnungen liegt weich zwischen grünen Hügeln.

 

Im Flur müssen Svens Gäste die Schuhe ausziehen. Ikeamöbel gemischt mit Designerstücken, Kochbücher neben der Anrichte, ein amerikanischer Grill auf der Terrasse, zwei kleine Zimmer, eine Durchreiche zur Küche. Bürgerlich ist es hier. Das Gemälde mit einer Nackten über dem Sofa stammt wohl aus dem Baumarkt.

Sven, der nicht mit seinem echten Namen genannt werden will, ist für den Abend in einem Hotel verabredet. Ein letzter Anruf von ihr, zwei Stunden vor dem Treffen. Er klemmt sich das Handy zwischen Schulter und Ohr, notiert: „Zimmer 234, Zimmerpage.“ Sven legt auf. „Ich soll bei unserem Treffen so tun, als sei ich der Zimmerpage“, erklärt er, zuckt mit den Schultern.

In seinem Bad stehen Fläschchen, Dosen und Geräte in großer Zahl: Gesichtswasser, Duschgel, Bodylotion, Rasierer. Die Körperpflege ist den Damen wichtig, ein Mann darf auch nicht fett oder geizig sein. Sven weiß, wovon er spricht. Sein Metier sind die Wünsche der Frauen. Nicht jene, die viele Männer hören. Die Frauen fordern von Sven nicht, den Müll rauszutragen, sie wollen kein tiefsinniges Gespräch. Sie suchen Sex. Sven bedient die „gepflegte Dame“, „diskret, seriös“ und auf „bestem Niveau“, wie seine Visitenkarte verspricht. Er ist der Mann, dem die Frauen vertrauen, dem sie ihre intimsten Fantasien verraten. Sven ist ein Callboy, ein Gigolo.

Der Typ, der hier am Killesberg seinen Geschäften nachgeht, schaut aber nicht aus wie der bekannte Mann für gewisse Stunden aus dem Hollywoodkino. Sven ist eher klein, schlank, mit Glatze und Silberblick. Er sagt, er sei 38 Jahre alt. Jetzt hockt er breitbeinig an seinem edlen Esstisch aus Glas. Dabei wirkt er unheimlich ausgeglichen, nickt oft verständnisvoll, seine Stimme klingt sanft und leise und monoton. Nur die Augen liegen auf der Lauer.

500 Euro für einen schönen Abend

Sven erzählt von seinem Nebenjob wie andere Leute vom Tennisspielen. Seit fünf Jahren trifft er etwa achtmal im Monat abends Frauen. Auch eine Handvoll Stammkundinnen sind dabei, die rufen alle paar Wochen an. Dabei verdient er gut: bis zu 500 Euro für den Abend, sagt er. Sven macht Luxusurlaube und fährt einen Porsche. Wenn er unten in der Stadt beim Breuninger in sein Auto steigt, schauen die Leute. Tagsüber ist der Gigolo ein gewöhnlicher Unternehmensberater. Sein Nachtleben hält er geheim. „Das ist eine Sache, die ich mit mir selber ausmache“, grummelt er wie ein kanadischer Holzfäller. Wieso über irgendetwas reden?

Sven lebt doppelt. Zwei Berufe, zwei Identitäten, Tag und Nacht. Der Callboy ist katholisch erzogen, seine Kindheit war gewöhnlich, die Eltern waren weder besonders streng noch fromm. Und in einer Zeit, die ihm jetzt unendlich weit weg erscheint, war er verheiratet, ganze zehn Jahre lang.

Doch die Ehe hält nicht. Es soll wohl nicht sein. Sven ist plötzlich über 30, steht alleine da. Es geht ihm wie vielen anderen Männern in der Großstadt, er schiebt sich Abend für Abend durch die Bars und Kneipen. Seine flinken Augen blitzen durch den Raum, nach links, rechts. Wo sind die hübschen Frauen?

Die lehnen lachend an der Theke. Sven traut sich kaum, eine anzusprechen. Die ist doch viel zu schön für dich, sagt er sich. Hammer schaut die aus, eine echte Waffe. Und die Stiefel! Ein Kracher! Die will doch so einen wie dich nicht, denkt Sven.

„Callboy sucht gepflegte Dame“

Anders als eine gute Bekannte, die sich dauernd mit ihm treffen will. Sie schreibt Sven SMS, wird dann plötzlich konkreter. Ob er mit ihr schlafen würde? Sven wundert sich, hat eigentlich keine Lust darauf. Und doch: „Ich hab mir einen Spaß gemacht und gefragt: Wie viel ist dir eine Nacht mit mir wert?“ Als sie einen großen Batzen Geld nennt, kann Sven es kaum glauben – und lässt sich darauf ein.

Ob das auch mit anderen Frauen funktionieren würde? Hunderte Euro für drei Stunden mit ihm? Ein paar Zungenküsse, ein bisschen Haut an Haut, ein bisschen Erleichterung. Und all die Frauen! Die riechen so gut. Das würde ihm gefallen. Darauf angewiesen wäre er ja nicht. Eine Hässliche, Gemeine nähme er nicht.

Jetzt schaltet Sven eine Anzeige in der Zeitung: „Callboy sucht gepflegte Dame, 22 bis 50 Jahre alt.“ Und sofort kommen die Zuschriften. Bilder von hungrigen, suchenden Damen mittleren Alters. Eine Wasserstoffblondine mit tiefem Ausschnitt, engem Ledershirt, das Kinn keck nach oben gereckt. Macht doch was her, sagt Sven.

Plötzlich möchten die kessen Frauen ihn treffen. Er muss ihnen nicht mehr an den Bars auflauern. Sie kommen jetzt von ganz allein zu ihm.

Lammzart und kurz darauf schockierend direkt sagen sie ihm, was sie wollen. Rollenspiele und Fesselspiele wie im Bestsellerroman „Shades of Grey“ sind dabei. Und die Frage nach der Größe des „Arbeitsgerätes“, wie Sven es sagt, stellen die Damen immer gleich am Anfang. „Durchschnitt wollen die Frauen nicht, das haben sie daheim“, sagt er süffisant.

Manchmal kommen auch Paare

Aus Stuttgart, Reutlingen, Esslingen kommen seine Kundinnen, aber auch von weiter her. Sie sind zu Besuch auf Messen und Kongressen, finden den Callboy über ein Internetportal. Meistens trifft er sie im Hotel oder in seiner Wohnung am Killesberg. Und manchmal kommen auch Paare. Was sie wollen, ist immer das Gleiche. Der Mann möchte zusehen, wie seine Frau bei einem anderen liegt.

Ein paar Mal im Jahr ist für Sven ein Urlaub mit einer wohlhabenden Dame drin, „Taschengeld obendrauf“, erzählt er stolz. Denn der Callboy hat seine Zeit schließlich auch nicht gestohlen, „daheim bleibt ja so lang alles liegen“.

Wenn Sven in der Stadt einen geparkten Mini sieht, klemmt er gleich seine Visitenkarte an die Scheibe. Vielleicht meldet sie sich? Mini-Fahrerinnen sind genau seine Zielgruppe, Frauen zwischen 30 und 45, gebunden und wohlhabend, sagt er.

Seine Erklärung für das gut laufende Geschäft ist: viele seiner Kundinnen haben Kinder, das Ehebett bleibt nachts mittlerweile kalt. Eine Affäre wollen die Damen nicht. „Dann schreibt der Typ dauernd, ruft immer an. Dafür haben sie keine Zeit.“

Dabei könnte man vermuten, Svens Kundinnen seien meist alleinstehende einsame Frauen, die sich einen Begleiter wünschen: für ein Konzert, einen Restaurantbesuch, eine Party bei der Arbeit. Das gebe es auch, sagt Sven. Doch kaum ein Abend, an dem eine Begleitung nicht im Bett ende – wenn schon, denn schon.

Sven wundert das nicht. Wieso sollten Frauen anders sein als Männer? Auch sie hätten Bedürfnisse, sagt der Kenner. Und die treiben dem Callboy die Kundinnen in die Arme. Er scheint plötzlich auf der Suche nach Worten, schaut schnell zum Fenster raus und wieder her: „Manche Menschen haben vielleicht mehr Lust als andere?“

Das spürt er auch mit der Frau, die er seit einigen Monaten seine Freundin nennt. Sie weiß nichts von seinem Nebenjob, sie glaubt, mit einem besonders cleveren Unternehmensberater zusammen zu sein. Der Sex mit ihr sei schön, sagt Sven. „Doch das reicht mir nicht.“ Echt gute Ausreden und Erklärungen hat er für sie parat, die sind oft von seinen Kundinnen übernommen. „Frauen sind viel cleverer als Männer“, sagt Sven. Jede Kundin habe eine Freundin im Hintergrund. Die halte als Alibi her. Da kommt nichts raus.

Draußen regnet es noch immer. Ein höflicher Abschied im Flur. Vor der Tür wartet die andere Welt geduldig und ahnungslos. Gärten und Trottoirs und Familienautos, nasse Blätter, eine rote Kinderschaufel im Sandkasten. Und alles hat für den Moment einen fahlen Beigeschmack. Wie die Kulisse eines Films, die Vorderseite einer Welt, die hinten aufbricht. Sven steht am Küchenfenster und schaut in den Regen.