Die Stadt will neue Geldquellen erschließen und hat sich das Sex-Gewerbe ausgesucht: Neuerdings müssen Prostituierte für ihre „Arbeitsräume“ in der Innenstadt Steuern zahlen. Für die Sex-Arbeiter bedeutet das, an ihr Erspartes zu gehen – oder noch mehr Freier zu bedienen.

Stuttgart - Sie wird die Steuer für den Sex genauso brav entrichten wie die Steuer für ihr Hündchen. Wenn es denn sein muss, soll es eben so sein, sagt Gabi. In Wirklichkeit nennt sie sich in der Szene anders, und wie sie tatsächlich heißt, spielt hier keine Rolle. Gabi arbeitet seit Jahrzehnten als Prostituierte in Stuttgart. Seit Langem macht sie das auf eigene Rechnung. Mittlerweile bietet sie Sex als Dienstleistung aber nur noch gelegentlich an. „Ich bin ja auch in einem gewissen Alter.“

 

Dennoch ärgert es sie, dass sie rückwirkend zum 1. Januar 2012 zehn Euro pro Quadratmeter monatlich für ihre Zweitwohnung in der Innenstadt bezahlen muss. „Ich benutze die Wohnung nur noch ganz selten für Treffen mit einem Kunden, ich mag die Räume einfach.“ Trotzdem, die Steuer werde sie nicht umbringen, sagt sie.

Gabi nennt dafür einen Grund: Sie habe immer fleißig Geld auf die Seite gelegt. „Das haben andere eben nicht“, sagt sie. Die Prostituierte findet es eigentlich in Ordnung, dass Sexarbeit besteuert wird wie jede andere Tätigkeit auch. „Sonst bezahlen die Huren nichts für das Gemeinwohl, von dem sie auch profitieren“, ist Gabis Meinung. Unfair findet sie bloß, dass auch sie mit ihren Gelegenheitsjobs jetzt ebenfalls von der Steuer betroffen ist.

„Nur eine Geldquelle erschließen“

Sexarbeiter werden nicht anders behandelt als andere Bürger auch – das ist auch das Credo von Volker Schaible. Der Chef der Stadtkämmerei versichert: „Wir wollen der Stadt nur eine Geldquelle erschließen.“ Niemand wolle dagegen dem Gewerbe schaden, sagt er. Dieses galt noch vor gut einem Jahrzehnt als sittenwidrig. Dann entschied die rot-grüne Bundesregierung 2002, dass Prostitution ein Job wie jeder andere ist. Seitdem können sich Prostituierte sozial versichern. Im Gegenzug müssen sie aber Lohnsteuer entrichten oder aber Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, wenn sie selbstständig arbeiten.

Jetzt will die Stadt noch mehr Geld vom Sexgewerbe, indem sie den Arbeitsraum besteuert. Die neue Geldquelle sprudelt bereits kräftig. Rückwirkend zum 1. Januar müssen alle, die mit Sex Geld verdienen, für ihren Geschäftsraum zahlen. Das trifft zunächst selbstständig tätige Prostituierte wie Gabi und die Besitzer von Bordellen. Seit Beginn des Jahres wurden sie angeschrieben. Sie sollten Selbstauskünfte über die Räume geben, in denen es zum Sex kommt. Ähnlich zahlen bei der sogenannten Vergnügungssteuer auch die Wettbüros je nach Größe ihrer Räume. Bei den Spielhallen fällt die Steuer weiter auf die Geräte.

Sex füllt die Kassen

Mithilfe der Unterlagen und Belegen wie einem Grundrissplan bemisst die Stadt die Steuer. Bisher hat sie rund eine halbe Million Euro eingenommen. Auf das Jahr gerechnet soll es das Doppelte werden. Nur in Einzelfällen hätten die Besitzer von Bordellen oder selbstständig arbeitende Prostituierte nicht kooperiert, sagt Schaible. Aus der Sicht der Stadt ist die Welt also in Ordnung. Stuttgart kopiert, was andere Städte wie Köln oder Frankfurt schon seit Jahren vormachen: der käufliche Sex füllt auch dort die kommunalen Kassen.

Die geschröpften Bordellbesitzer warnen aber vor den Folgen für ihre Sexarbeiter. Der Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland (UEGD) argumentiert, dass Bordellbetreiber gezwungen werden, den Verlust wettzumachen. Die Prostituierten müssten mehr anschaffen, um auf den gleichen Lohn zu kommen, sagt Verbandssprecher Holger Rettig.

Außerdem sei die Sexsteuer eine Abgabe, die Prostituierte und Bordellbesitzer bestraft. „Der Freier zahlt gar nichts, weil die Preise nicht steigen können“, sagt Rettig. Zu groß sei im Gewerbe die Angst vor billiger Konkurrenz etwa durch den wild wuchernden Straßenstrich. Einig ist sich der Sprecher des Sexgewerbes in der Bewertung der Steuer mit Hilfsorganisationen für Prosituierte wie dem Verein Hydra. Die bundesweit aktive Selbsthilfeeinrichtung hat sonst selten etwas Gutes über die Betreiber von Bordellen zu sagen. Sie kritisiert aber in diesem Fall Seite an Seite mit ihnen die Sexsteuer.

„Mehr Freier bedienen“

Sabine Constabel vom Gesundheitsamt arbeitet seit Jahren in der lokalen Prostituiertenhilfe. Sie sieht besonders die vielen Sexarbeiterinnen aus Osteuropa unter Druck: „Viele müssen ihre Familien unterstützen. Jetzt müssen sie eben mehr Geld beschaffen, also mehr Freier bedienen.“ Die Beraterin glaubt aber nicht, dass Prostituierte jetzt vermehrt ungeschützten Geschlechtsverkehr anbieten werden, um durch höhere Preise mehr Profit zu machen. „Weil das leider ohnehin schon für viele zum Standard gehört“, sagt Constabel.

Für die Stadt haben Auswirkungen der Steuer auf die Arbeitsweise der Prostituierten vor der Einführung der Steuer keine Rolle gespielt. Volker Schaible von der Stadtkämmerei verweist darauf, dass ihm aus anderen Städten keine negativen Folgen bekannt seien. „Allerdings haben wir uns nur auf der Finanzebene mit Fachkräften ausgetauscht, nicht mit den Sozialarbeitern“, sagt Schaible.

Ein Stuttgarter Bordellbesitzer aus der Altstadt betont, dass er vorerst seine höheren Kosten nicht an die Prostituierten in Form von höheren Mieten weitergeben will. Er sei aber Geschäftsmann und müsse schauen, was die Konkurrenz unternimmt. Auch er sagt, dass es unmöglich sei, die höheren Kosten von den Freiern zu erwirtschaften: „Weil es immer Frauen gibt, die es billiger machen.“