Bei Rainer Brüderles Pressefrühstück war auch die Stern-Reporterin Laura Himmelreich zu Gast. Es wurde allerdings eine sehr schweigsame Begegnung der Kontrahenten.

Berlin - Bitte die Flucht frei halten.“ Die Kamerateams wollen freien Blick auf Laura Himmelreich, die junge Reporterin vom Magazin „Stern“. Die 29-Jährige hatte just in der Woche, in der FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle zum Spitzenmann seiner Partei gekürt worden war, selbigem vorgeworfen, er habe sie vor gut einem Jahr an einer Bar in Stuttgart belästigt. Sie könne ein Dirndl gut ausfüllen, soll er damals gesagt haben. Seitdem diskutiert Deutschland darüber, wie denn ein Mann mit einer Frau umzugehen hat. Frauen berichten über Twitter und andere soziale Medien zu Tausenden über sexuelle Belästigungen. In Talkshows umkreisen die Gäste das Thema. Die FDP wittert eine Verschwörung. Aber Bild.de hat in dem, was gestern folgte, den ultimativen Showdown ausgemacht, ist mit „Reportern und einem Videoteam vor Ort!“

 

Dabei steht nur ein Routinetermin an: Pressefrühstück mit Brüderle zu Beginn der Parlamentswoche, Jakob-Kaiser-Haus, Etage sechs, Altbau. Plaudern über Deutschland, die Welt und die FDP. Das macht er immer. Mit dem Unterschied, dass diesmal der Raum brechend voll sein wird. „Gleich treffen sie aufeinander“, titelt die Online-Ausgabe des Großbuchstabenblattes, bebildert mit einem Bild, das die Sternjournalistin in trauter Nähe zu Brüderle zeigt. Auch seriöse Medien wie Zeit-Online berichten über twitter „live vom Frühstück mit Brüderle“.

Kommt Laura Himmelreich im kurzen Rock?

Ob sie überhaupt kommt? Wie sie sich wohl kleidet? Mit kurzem Rock? Das würde so schön ins Bild all jener Männer passen, die sich stets als Opfer weiblicher Reize sehen, sobald sich eine Frau gegen ihre körperlichen oder verbalen Übergriffe wehrt. Oder doch in langer Hose und hochgeschlossen, streng und verschlossen? Das sind die Fragen, die vor dem Raum gestellt werden, in dem gleich das Pressefrühstück stattfindet, und man kann da schon vermuten: eine Sternstunde des Journalismus wird diese „Stern“-Stunde gewiss nicht.

Dann kommt sie, begleitet vom hoch gewachsenen Chef des Berliner Büros des Magazins, der ihr den Weg durch die Kamerawand bahnt. Beide sagen nichts, nehmen Platz und werden bis zum Ende der Veranstaltung schweigen. Wenig später tritt Brüderle ein. Kein Händeschütteln, kein Lächeln, kein lockerer Spruch wie sonst, kein Blick zu irgendwem. „Tag sieben nach der ,Stern‘-Veröffentlichung“, plappern da die Online-Jäger aufgeregt.

Gott mag ruhen am siebten Tage, Bild.de erschafft die Schlagzeile: „Brüderle bricht sein Schweigen“. Was exakt dem Gegenteil dessen entspricht, was während des Pressegesprächs tatsächlich passiert, denn Brüderle weigert sich weiter, auf die Vorwürfe zu reagieren. Was wiederum das Problem beschreibt, das er der FDP beschert. Auch sie muss in der Sache stumm bleiben, solange Brüderle schweigt.

Debatten müssen geführt werden – nur das sagt Brüderle

Er wisse ja, dass heute das Interesse „an einem Thema“ besonders groß sei, sagt Brüderle zu Beginn des Treffens. „Aber ich habe mich bisher nicht geäußert, ich werd’s auch weiter nicht tun.“ Er spricht über das Holocaust-Gedenken, die Rentendebatte, Zypern, den Koalitionsausschuss. Zur Sexismus-Debatte, die längst losgelöst von seinem Fall die Gemüter bewegt, will er nichts sagen. Parteichef Philipp Rösler hatte Brüderle „Gesicht und Kopf der Partei“ genannt, weil der Fraktionschef die FDP als Spitzenmann in die Bundestagswahl führen soll. Deshalb die Frage: kann es sich die FDP auf Dauer leisten, dass „das Gesicht“ der Partei zu einer von vielen als relevant empfundenen Debatte schweigt? „No comment.“ Ob Brüderle wenigstens geneigt wäre, die Debatte über Sexismus im Alltag als wichtig oder bedeutungslos einzuschätzen? „Dass Debatten geführt werden, ist in der Demokratie ein wichtiges und legitimes Phänomen“, antwortet er. Das war’s.

Am Abend zuvor haben die Liberalen bei der Verabschiedung zweier altgedienter Mitarbeiter die Köpfe zusammengesteckt und die eigene Sprachlosigkeit diskutiert. Immerhin habe der Druck auf Brüderle die Reihen geschlossen, sagen einige. Von einer „Trutzburg“ ist die Rede und davon, dass es schön sei, wenn ein Spitzenmann mal wieder Unterstützung statt Sperrfeuer in den eigenen Reihen erlebe. So kann man es sehen. So aber auch: „Wir sitzen in der Falle“, weil Brüderle die Sache nicht mit einem Wort des Bedauerns abgeräumt habe, sagt ein jüngerer Abgeordneter. Nicht einmal ein Schuldeingeständnis hätte dies seiner Ansicht nach erfordert. Wer könne sich noch an das erinnern, was er vor fast 13 Monaten gesagt hat? So aber diene jede Äußerung der Verteidigung Brüderles und gerate zur Attacke auf Himmelreich und die hinterlistigen Medien im Allgemeinen, sagt der frustrierte FDP-Mann. Auch bekennende Parteimachos wie Wolfgang Kubicki hätten die FDP nicht weitergebracht, der keinen Skandal darin erkennen kann, wenn ein Politiker nachts nicht etwa zum Informationsaustausch an der Hotelzimmertür einer Journalistin klopft. Da passt der Satz des Kameramanns am Ende in vielerlei Hinsicht: „Bitte die Flucht frei halten. . .“