Im Kommen: menschenartige Roboter, die auf Liebesdienste spezialisiert sind. Damit verknüpft: die Diskussion, ob die „Sexbots“ Weltuntergang oder Sexrevolution sind.

Stuttgart - Yub-Yum heißt ein Nachtclub in Amsterdam, der neben einem Kanalhaus aus dem 17. Jahrhundert eröffnet wurde. Er ist modern eingerichtet und im Inneren staksen rund 100 leicht bekleidete Blondinen und Brünette umher. Der Club bietet Massage, Tabledance und Liebe in plüschiger Umgebung. Das Personal besteht aus Androiden – also Robotern, die sich von Menschen äußerlich nicht unterscheiden. Wir befinden uns im Jahr 2050. Rund zehn Jahre zuvor war der Sextourismus an einem Tiefpunkt angelangt, da sich der mutierte HI-Virus in Amsterdam erschreckend schnell ausgebreitet hatte. Die Stadt förderte die Roboterliebe: Die Androiden bestehen aus bakterien- und virenresistenten Materialien. Sex ist nicht nur ungefährlich, die Besucher des Nachtclubs müssen nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben. Roboterliebe zählt nicht so richtig als Ehebruch.

 

Diese Zukunftsvision schildern der Tourismusforscher Ian Yeoman von der Victoria Management School der neuseeländischen Universität Wellington und die promovierte Sexualwissenschaftlerin und freiberufliche Sexualtherapeutin Michelle Mars in einem Beitrag für die wissenschaftliche Zeitschrift „Futures“. Ihr Szenarium ist kein Hirngespinst. Die Autoren haben in der Gesellschaft Tendenzen ausgemacht, die für künftigen Sextourismus mit Androiden sprechen: Zum einen würden die käufliche Liebe und der Verkauf von Sexspielzeug boomen, andererseits bekomme die Gesellschaft Zwangsprostitution und Infektionskrankheiten nicht in den Griff. Roboterprostituierte lösten die Probleme auf einem Schlag, glauben die beiden Forscher.

Sex fördert die Gesundheit

Sie sind nicht die Einzigen, die von Sexrobotern angetan sind. Der amerikanische Journalist Hank Hyena stellte sich in einem Artikel im Online-Magazin „h+“ schon Roboter vor, die nach dem Sex duschen und dann im Schrank verschwinden, Sexbots in Hotels, auf Kreuzfahrtschiffen, in Ferienwohnungen und Krankenhäusern, auf Militärbasen und in Gefängnissen. Wahrscheinlich würden Eltern ihren Kinder Liebesroboter schenken, um sie behutsam durch die Pubertät zu führen, scherzt Hyena. „Da Androiden die sexuellen Aktivitäten in der Bevölkerung erhöhen, wird die Gesellschaft sogar gesünder“, ergänzt Michelle Mars. Viele Studien würden belegen, dass Sexualität eine gesundheitsfördernde Wirkung hat: Sex ist gut für Haut, Herz und Gehirn, reduziert Stress und lindert Schmerzen.

Der schottische Schachmeister und Computerexperte David Levy behauptete schon 2007 in seinem Buch „Love and Sex with Robots“, Sexroboter ermöglichten unsicheren Menschen, mit ihrer Sexualität in völliger Anonymität zu experimentieren. Die Menschen würden dabei ihren Körper neu entdecken – das mache die Welt zu einem glücklicheren Ort.

Es gibt schon verführerische Androide

Doch wann kommen die Liebesroboter? Im Kino und im Fernsehen gibt es schon länger verführerische Androiden beider Geschlechter, etwa in „Battlestar Galactica“, „A.I.“, „Blade Runner“ und kürzlich in „Prometheus“. Und trotz ihrer zerstörerischen Rolle in Filmen wie „Terminator“ sei die Meinung über Roboter in Deutschland relativ ausgewogen, sagt Michael Decker vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie. „Die meisten Menschen sind sogar enttäuscht, wenn sie zum ersten Mal einem echten Roboter begegnen – sie erwarten, dass Roboter schon viel mehr können.“ Decker kann sich vorstellen, dass insbesondere Liebesroboter als Verbesserung von Liebespuppen attraktiv seien.

An Liebesandroiden wird in der Tat schon seit Längerem gearbeitet. Einen ersten Durchbruch gab es 1996. Matt McCullen, ein Künstler aus Kalifornien, stellte „Nina“ vor, eine Liebespuppe der Firma Realdoll. Die Realdolls – gebaut aus einem PVC-Skelett und „Silikonfleisch“ – gelten bis heute als Maßstab für menschenähnliche Puppen. In der Filmkomödie „Lars und die Frauen“ kaufte sich der einsame Held eine solche Puppe als Lebenspartnerin. In Japan können vergleichbare Puppen stundenweise gemietet werden. Doch die Puppen kommen ohne Elektronik aus.

Menschlicher Sexroboter gewünscht

Der bayrische Online-Shop First-Androids.de bot 2007 „Sex-Androiden“ an, die atmen können und deren Hände und Halsschlagadern einen Herzschlag simulieren. Doch sehr erfolgreich war das Projekt nicht. Inzwischen ist der Shop offline. Nichtsdestoweniger erklärten 2003 bei einer Umfrage des Gesundheitsportals BetterHumans.com 41 Prozent der Befragten, dass sie sich als künftige Liebestechnologie am liebsten einen menschenähnlichen Sexroboter wünschten. „Auch wir können eine erhöhte Nachfrage bei den lebensechten Liebesrobotern ausmachen“, sagt Ann-Kathrin Döbbeke vom deutschen Erotikhändler Orion. Bisher seien Sexroboter die Ausnahme, doch das Unternehmen plane, das Segment zu erweitern. „Generell geben Kunden mehr Geld für Sextechnik aus.“

Der erste künstlich intelligente Sexroboter Roxxxy kam schließlich 2010 auf den Markt. Geliefert wird er mit einprogrammierten Persönlichkeiten wie der schüchternen Farrah, der wilden Wendy oder S&M-Susan, mit denen man sich unterhalten kann. Roxxxys Haut erwärmt sich, ihre Hüften bewegen sich mit, und sie gibt sogar Schlafgeräusche von sich. Roxxxy-Besitzer können mit ihrem Roboter von der Arbeit aus per E-Mail und SMS kommunizieren. Seit Kurzem gibt es das knapp 7000 Dollar teure Spielzeug in einer abgespeckten Basisversion ohne Arme, Beine und künstliche Intelligenz für rund 1000 Dollar. „Am besten verkauft sich aber die Vollversion“, sagt Douglas Hines, Geschäftsführer des Herstellers True Companion. „Das liegt daran, dass sie echten Menschen am nächsten kommt.“ Buchautor David Levy hält von Roxxxy allerdings wenig. „Die meisten Journalisten schreiben darüber, ohne den Roboter jemals vor sich gehabt zu haben“, sagt er. „Ich glaube, Hines nimmt Geld von arglosen Kunden, liefert aber nicht, was sie nach Hines Aussagen erwarten.“ Tatsächlich sieht Roxxxy auf Videos wie eine altmodische Puppe mit eingebautem Kassettenrekorder aus.

Reichlich Kritik an Sexbot-Begeisterung

Kritik an der Sexbot-Begeisterung gibt es inzwischen auch. Erst vor Kurzem zeigte sich der amerikanische Unternehmensberater und Evangelikaner Brandon Wall in seinem Blog entsetzt über die allzu fröhlichen Medienberichte. Er nennt die Vorstellung eines Sexroboters eine unglaubliche Perversion – der letzte Schlag der sexuellen Revolution der 1960er. „Die sexuelle Revolution erzählt dir, dass Sexualität nur mit dir zu tun hat“, schreibt Wall. „Jetzt hat tatsächlich alles nur noch mit dir und deinem Roboter zu tun.“ Je mehr man sich auf sich selbst konzentriere, desto frustrierter werde man. Sexbots seien eine moralische Apokalypse. Dem widerspricht Michael Decker. Der Forscher schätzt, dass Sexroboter vom Großteil der westlichen Gesellschaft schnell angenommen werden. „Sexroboter fallen in den Privatbereich und in der westlichen Gesellschaft sind wir sehr tolerant – zu Hause darf man innerhalb der rechtlichen Grenzen tun, was man möchte“, betont er.

Die Anthropologin Jennifer Robertson von der Universität Michigan, die sich unter anderem mit der Vergeschlechtlichung von humanoiden Robotern beschäftigt, hält allerdings die häufige Argumentation, die Roboter könnten Zwangsprostitution und Infektionskrankheiten mindern, für zu kurz gedacht. „Dabei wird nicht berücksichtigt, dass gerade das Risiko und der Sündencharakter den Reiz von bezahltem Sex ausmacht“. Die Forscherin vermutet, dass Sexroboter eher zusätzlich in die zwischenmenschliche Sexualität einbezogen werden. Für Experimente mit Sexualität könnten sie allerdings förderlich sein.

Michelle Mars, die derzeit an einem Buch über die Zukunft von Sexualität arbeitet, sieht noch einen anderen Vorteil der Sexroboter. „Genomforschung, Datendiagnostik und personalisierte Medizin werden das Wissen über unseren Körper und seine Funktionen extrem erweitern“, glaubt sie. Sexbots könnten davon profitieren und sexuelle Lust gezielter stimulieren als Menschen. „Unsere heutige Sexualität ähnelt einer Tracht Prügel im Vergleich zu dem, was theoretisch möglich ist“, sagt die Sexexpertin.

Menschenähnliche Roboter

Android
Als Androide oder auch Android bezeichnet man einen Roboter, der einem Menschen nicht nur täuschend ähnlich sieht, sondern sich auch in seinem Verhalten sehr menschenähnlich zeigt. Androiden gehören zur Gattung humanoider Roboter. Prominentes Beispiel für einen Androiden ist der Doppelgänger des japanischen Professors Hiroshi Ishiguro von der Universität Osaka.

Geminoid
Der humanoide Roboter von Hiroshi Ishiguro, dem Direktor des „Intelligent Robotics Laboratory“, heißt Geminoid und vertritt den Professor im Hörsaal. Ishiguro hat Geminoid erschaffen, um die Reaktionen von Studenten zu testen und auszuwerten. Die Kopie des Professors aus Silikon, Stahl und elektrischen Schaltkreisen kann Ishiguro aus der Ferne steuern. Das Sprechen übernimmt der echte Professor selbst.