Der amerikanische Guru John Friend war der Rockstar der Yoga-Szene. Doch seine Anusara-Philosophie hatte nur ein Ziel: Sex mit seinen Anhängerinnen.

USA - Die Erkenntnis traf die Frau mit dem Decknamen Melissa wie ein Blitz. Mit einem Mal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, dass das alles schon lange aus dem Ruder gelaufen war. Es war der Sommer 2010 und Melissa, eine ausgebildete Yogalehrerin und Jüngerin der populären Anusara-Schule, befand sich bei einem Workshop ihres Gurus John Friend in Texas. Friend, der sich selbst Großmeister taufte, verlangte von seinen weiblichen Anhängerinnen nun schon seit Tagen, dass sie ihn nackt massierten. Dabei sollten sie sich gegenseitig Zungenküsse verpassen, um sich „der inneren Gnade gegenüber“ besser öffnen zu können.

 

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Melissa ihrem Guru all das Gerede über die Freisetzung von Energien noch abgenommen. Doch jetzt kam sie sich mit einem Mal vor wie in einem schlechten Pornofilm. „Ich dachte plötzlich, dieser Typ lebt seine kühnsten Fantasien aus.“ „Der Typ“, John Friend, war damals gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Yogaguru angelangt. Das Magazin der „New York Times“ hatte ihm ein mehrseitiges Porträt gewidmet und seine Schule als die am schnellsten wachsende Yogarichtung der Welt gepriesen. 200 000 Anhänger hatte Friend in 70 Ländern, rund 1500 Lehrer hatte er ausgebildet. Sein Unternehmen erzielte zwei Millionen Dollar Umsatz pro Jahr.

Das alles hat sich seitdem in nichts aufgelöst. Melissa war nicht die Einzige, der die Vorgänge in John Friends innerem Kreis zunehmend merkwürdig vorkamen. Im vergangenen Herbst begann der Blogger Yoga Dork, die zahlreichen anonymen Berichte und Klagen zusammenzutragen und zu veröffentlichen. Friend, der in seinen Büchern und Seminaren eine zutiefst ethische Lebensweise predigt, hatte über die Jahre seine Machtposition missbraucht, um seine Jüngerinnen zu verführen. Nicht wenige von ihnen waren verheiratet. Jetzt liegt sein Imperium in Scherben.

Anasura versprach Leichtigkeit und Spaß

In der amerikanischen Yogawelt gibt es nicht wenige, die den Fall von John Friend mit Schadenfreude betrachten. Der jüngste Superstar der Bewegung, der 16 Millionen Menschen in den USA anhängen, war vielen Mitgliedern der Szene von Anfang an suspekt. Friend brachte seine Ausprägung von Yoga genau im richtigen Moment auf den Markt. Denn als Friend sich mit seiner eigenen Yogaform Ende der 90er von der Iyengar-Schule emanzipierte, war Yoga in den USA in zwei Lager zerfallen. Auf der einen Seite war das Yoga, das sich nur noch als Workout verstand – eine Gymnastikform unter vielen, die gestressten berufstätigen Frauen und Müttern dabei half, effizient Bauch, Beine und Po zu straffen. Auf der anderen Seite etablierte sich das traditionalistische Lager, das Yoga als allumfassenden spirituellen Lebensweg begriff.

Friends Yoga suchte den Mittelweg. Der ehemalige Finanzangestellte betonte den spirituellen Aspekt von Yoga, ohne jedoch jeden Praktiker gleich in einen Mönch verwandeln zu wollen. Anasura versprach Erleuchtung ohne Selbstkasteiung, es versprach Leichtigkeit und Spaß. Anasura, so pflegte Friend immer zu sagen, war keine Disziplin des „Nein“, sondern eine Philosophie des „Ja“.

Bei den großen Treffen seiner Sekte war nichts tabu. Es gab Musik- und Tanzdarbietungen und statt der strengen Stille von rigoroseren Yogaformen wurde bei den Sitzungen ständig geredet – vor allem durch Friend. Er versicherte dabei den Teilnehmern, wie stark die göttliche Flamme in ihnen bereits brenne und am Ende fühlten sich alle erhaben und wohl.

Vom heiligen Mann zum Hugh Hefner der Yoga-Szene

Die Übungen selbst waren eher lustbetont als schwierig. Friend baute seine Praxis auf tantrischen Prinzipien auf, obwohl er immer betonte, dass er damit nicht tantrischen Sex meinte. Für die Reporterin der „New York Times“ war jedoch von Anfang unübersehbar, wie suggestiv die einstudierten Posen waren.

Ähnlich schamlos war Friend, wenn es um das Geschäft ging. Der ehemalige Finanzier machte nie einen Hehl aus seinen Ambitionen, ein globales Imperium zu errichten. Er legte gemeinsam mit Adidas eine Kollektion an Yoga-Bekleidung auf und verhandelte mit millionenschweren Geldgebern. Sein großes Ziel war, in Kalifornien ein ständiges Yogazentrum aufzubauen, eine Art von Anasura-Kloster.

Die Betonung von Spaß und von Offenheit trieb dem Texaner die weiblichen Massen in die Arme. Er wurde, wie die „New York Times“ vor dem Sexskandal schrieb, eine Mischung aus protestantischem Prediger und Rockstar. Bei den Jahrestreffen der Anasura-Gemeinde steckten die Jüngerinnen Friend zu Dutzenden ihre Zimmerschlüssel zu. Wann genau dieses ganze Gebilde zu kippen begann und Friend sich vom heiligen Mann zum Hugh Hefner der Yogaszene wandelte, ist heute nur noch schwer zu rekonstruieren. Die Übergänge waren wohl fließend.

Friend will sich betend erneuern

Strafbar hat sich John Friend bei all dem nicht gemacht. Die Frauen, die in seine Praktiken einwilligten, waren allesamt erwachsen. Doch Friend hat neben Tausenden enttäuschten Jüngern nun auch eine Yogawelt hinterlassen, die zutiefst verunsichert ist. Man fragt sich in den Studios im ganzen Land, wie viele falsche Propheten es denn wohl noch gibt, die keine hochtrabend spirituellen, sondern gänzlich profane Ziele verfolgen.

Friend selbst hat sich derweil zurückgezogen, um in sich zu gehen – er will beten und meditieren. Erneuern möchte er sich, hat er wissen lassen, und in einer neuen Inkarnation auf die Welt zurückkehren. Man darf gespannt sein, ob die Yogawelt seinem neuen Ich dann wirklich eine zweite Chance gibt.