In der im November 2012 eröffneten Mischverkehrsfläche in der Tübinger Straße sollen alle Verkehrsteilnehmer Rücksicht aufeinander nehmen. Doch viele Autofahrer missbrauchen den Shared Space als Parkplatz – trotz Kontrollen.

Stuttgart - Für Joachim Elser, den Leiter der Stuttgarter Verkehrsüberwachung, hat das neue Jahr nicht besonders gut angefangen. Denn am ersten Arbeitstag lag die Überwachungsbilanz 2013 für die seit gut einem Jahr bestehende Mischverkehrfläche – die sogenannte Shared Space – in der Tübinger Straße auf seinem Schreibtisch. „Innerhalb dieses nur rund 200 Meter langen Bereichs zwischen Sophienstraße und Querspange haben wir im vergangenen Jahr 5930 Verwarnungen wegen Falschparkens aussprechen müssen. Das ist ein trauriger Rekord, der reif für das Guinnessbuch der Rekorde sein dürfte“, sagt Elser.

 

Dem Verkehrsexperten ist nach gut einem Jahr intensiver Kontrollen auch klar, dass „der leidige Zustand überwachungstechnisch nicht zu verändern ist“. Für ihn wird die erst im November 2012 eröffnete und weitgehend schilderfreie Mischverkehrsfläche, auf der alle Verkehrsteilnehmer Rücksicht aufeinander nehmen sollen, „von vielen Autofahrern schlichtweg als Parkplatz missbraucht“.

Die Info-Blätter lagen zerknüllt auf dem Boden

Dabei werde am Anfang der Zone deutlich auf das eingeschränkte Halteverbot und Tempo 20 hingewiesen. Aber offenbar ohne Erfolg. Auch die im Frühjahr 2013 hinter die Scheibenwischer gesteckten Infoblätter hätten kaum Beachtung gefunden. „Die meisten lagen zerknüllt auf dem Boden“, berichtet Elser.

Nach einem erfahrungsreichen Jahr hält der städtische Chefkontrolleur die Überwachungsmöglichkeiten für ausgeschöpft. „Wir haben diesen Abschnitt der Tübinger Straße 2013 mit einem immensen Personalaufwand täglich von 8 bis 22 Uhr überwacht, aber dennoch keine Verbesserung erreicht.“ Das dort zusätzlich eingesetzte Personal fehle an anderen Orten. „Es gibt noch viele Stellen in der Stadt, die jederzeit völlig zugeparkt sind“, betont Elser.

Das Argument, dass viele Autofahrer irrtümlicherweise in der neuartigen Mischverkehrsfläche Tübinger Straße parken würden, lässt Elser nicht gelten. Es gebe nämlich kaum Beschwerden. Von den fast 6000 verwarnten Autofahrern hätten nur etwa zehn Einspruch erhoben. „Dass innerhalb dieser verkehrsberuhigten Zone nicht geparkt werden darf, ist bekannt, die Regelung wird bewusst missachtet.“ Laut Elser kalkuliert die aus Stuttgart und dem Umland stammende Kundschaft ganz kühl: „Wer dort dreimal illegal parkt und nur einmal erwischt wird, rechnet sich aus, dass er meistens billiger als im Parkhaus davonkommt.“ Die Verwarnungsgebühr von 15 Euro hält der Kontrolleur für zu niedrig. Erst nach einer Stunde steige der Strafzoll auf 25 Euro. „Im Vergleich mit vielen unserer europäischen Nachbarn rangieren wir damit ganz unten auf der Bußgeld-Preisliste.“

Situation rund ums Gerber soll überdacht werden

Um die Verhältnisse zu bessern, sind für Elser jetzt auch die Stadt- und Verkehrsplaner gefragt. Die Gestaltung der Mischverkehrsfläche müsse hinterfragt werden. Rückmeldungen aus dem Rathaus hat Elser allerdings bis jetzt noch nicht erhalten. Ob an Alternativlösungen gearbeitet werde, ist ihm nicht bekannt.

Im Rathaus gibt es Lob für die „fleißigen Verkehrskontrolleure“. „Die Überwachung leistet das, was sie leisten kann“, sagt Hermann Karpf, der Referent von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU). Nach den bisherigen Erfahrungen zeichne sich allerdings ab, dass die Situation rund um das neue Einkaufszentrum Gerber städtebaulich und verkehrsplanerisch durchaus noch einmal überdacht werden müsse. Schließlich solle die Mischverkehrsfläche noch bis zur Paulinenbrücke verlängert werden. „Es bleibt zu hoffen, dass bis zur Eröffnung des neuen Einkaufszentrums im Herbst eine deutlich verbesserte Gesamtlösung für das neu gestaltete Innenstadtquartier gefunden ist“, sagt Hermann Karpf.

Die Grünen im Gemeinderat hatten schon im Sommer gefordert, die Einführung der Mischverkehrsfläche besser zu begleiten. Die Autofahrer müssten sich erst noch an die neue Situation gewöhnen, hieß es damals bei der SPD.