Die Flammen fressen sich durch die Wälder Chakassiens. Kritiker sagen, dass die Politik aus alten Fehlern nichts gelernt habe.

Moskau - Der breite Graben, den Bagger gerade ausgehoben haben, ist für das Feuer kein Hindernis. Wind, der mit Geschwindigkeiten von 30 Metern pro Sekunde weht, treibt die Funken vor sich her. Innerhalb von Sekunden lecken sich die Flammen auch an den Lärchen auf der anderen Seite des Schutzwalls empor. Wann sie die nächste, nur aus ein paar Gehöften bestehende Ortschaft überrollen, ist bloß eine Frage der Zeit.

 

Die Bilder, mit denen russische TV-Sender seit ein paar Tagen ihre Nachrichtensendungen aufmachen, lassen auf Filme mit Endzeitstimmung schließen, sind aber grausige Realität. Wald- und Steppenbrände toben in Südsibirien und im Gebiet hinter dem Baikalsee, eine Region von der mehrfachen Größe Deutschlands.   Besonders schlimm traf es die Teilrepublik Chakassien, wo die Fahnen auf Halbmast wehen. Mehrere Tausend Hektar Steppe stehen dort bereits in Brand. Bisher kamen 16 Personen in den Flammen um, acht weitere befinden sich in sehr kritischem Zustand.

Mehr als 5000 Personen wurden obdachlos

Insgesamt suchten mehr als 600 Personen Krankenhäuser auf, 79 davon mussten stationär behandelt werden, vor allem wegen Rauchvergiftung. Mehr als 5 000 Personen wurden obdachlos. Auch bei den Wald- und Steppenbränden in Transbaikalien gab es drei Tote, darunter ein dreijähriges Mädchen. Über beide Regionen verhängten die Gouverneure den Ausnahmezustand. Der Katastrophenschutzminister Wladimir Putschkow besuchte die Krisenregion. Die Opfer des Brandes würden großzügig entschädigt, versprach er. Präsident Wladimir Putin ließ ausrichten, die Pläne für den Wiederaufbau der niedergebrannten Siedlungen persönlich zu koordinieren. So wie im Katastrophenjahr 2010, als halb Russland in Flammen stand.

Betroffen waren damals vor allem zentrale Gebiete im europäischen Teil. Dort standen im Juli und August mehr als 180 000 Hektar in Flammen. 2500 Ortschaften brannten nieder. Nach offiziellen Angaben gab es 50 Tote. Moskau, in dessen Umland neben Wald auch die zu Sowjetzeiten trockengelegten Torfmoore brannten, litt fast 40 Tage und bei Temperaturen von weit über 30 Grad unter beißendem giftigem Rauch, der sich mit Auto-Abgasen vermischte. Im Stadtzentrum herrschte selbst gegen Mittag Halbdunkel. Umfassende organisatorische Konsequenzen gelobten Kreml und Regierung damals. Derartiges werde sich nicht wiederholen.

Nichts gelernt aus alten Fehlern

Umweltschützer sind sich da nicht so sicher. Die Brandkatastrophe in Sibirien, deren Höhepunkt noch nicht erreicht ist, wie selbst offizielle Stellen einräumen mussten, lässt aus ihrer Sicht nur einen Schluss zu: Aus den damaligen Fehlern wurde nichts gelernt. In der Tat: Katastrophenschutz fällt weitgehend in die Kompetenz der Regionen, und diese setzen, weil finanziell höchst unterschiedlich ausgestattet, auch die Direktiven aus Moskau unterschiedlich um. So sollte nach der Brandkatastrophe von 2010 das aus Sowjetzeiten stammende Frühwarnsystem mit Waldläufern reanimiert werden. Auch sollten in Taiga und Steppe flächendeckend Wasserentnahmestellen und Wege, die zu ihnen führen, angelegt werden.

In Chakassien indes hatten nicht einmal die Dorfbrunnen genug Wasser, wie Einwohner berichten. Wehrlos mussten sie mit ansehen, wie ihr Gehöft in Flammen aufging.   Erschwerend kommt der Klimawandel hinzu: Im Winter fällt weniger Schnee, im Frühjahr weniger Regen. Auch steigen die Temperauren oft schon im April auf Frühsommer-Werte.  

Die Duma dagegen sieht den Faktor Mensch als Hauptursache. Brandschutzvorschriften und Strafen für Sünder sollen daher drakonisch verschärft werden, vor allem für das Abbrennen trockenen Grases,   was auch den Flächenbrand in Chakassien ausgelöst hat. Mit der Asche düngen die Bauern Felder und Gemüsegärten. Auch im Umland von Moskau, wo ebenfalls schon etwa 80 Brandherde registriert wurden, gibt es diese Praxis. Bei Ostwind riecht es sogar im bisher ökologisch unbedenklichen Oligarchen-Ghetto an der Rubljowka-Chaussee beißend nach Rauch.   Auf Anrufe besorgter Moskowiter reagiert die Stadtregierung gelassen. Von der Wochenmitte an soll es ausgiebig regnen.