Der Typus des Despoten ist sich im Lauf der Geschichte immer gleich geblieben – meint unsere Kolumnistin. Über Adolf Hitler, Kim Jong Un und Wladimir Putin.

Stuttgart - Zhang Zuolin, ein chinesischer Despot aus dem ersten Drittel des letzten Jahrhunderts, war groß im Rauben und Morden. Seinen Gegnern ebenso wie denen, die er dafür hielt, ließ er die Köpfe abschlagen oder die Gurgel durchschneiden. Er war ein ungebildeter, selbstbezogener, von Gestalt kümmerlicher, sich bereichernder Emporkömmling – der größenwahnsinnige Schrecken all seiner Untertanen. Albert Londres, ein französischer Journalist, hat das beobachtet und aufgeschrieben. Seine erst kürzlich auf deutsch erschienenen, höchst originellen Reportagen erzählen die Geschichte dieses fernöstlichen Usurpators. Dessen Untaten liegen zwar weit zurück, auch der Reporter hat längst das Zeitliche gesegnet, trotzdem gibt es kaum eine aktuellere Story als die des Zhang Zuolin.

 

Ich las sie und dachte an Kim Jong Un, dessen Macht - und Mordlust die eigene Familie nicht verschont. Ich las und dachte an Viktor Janukowitsch, der sich im 21. Jahrhundert einen protzig-kitschigen Palast mit allerlei Disney-Scheußlichkeiten drum herum gönnt und der gegnerische Demonstranten gezielt totschießen lässt. Ich las und dachte an den demokratisch gewählten Tayyip Erdogan, in dessen Land so viele Journalisten im Gefängnis einsitzen wie sonst nirgendwo auf der Welt, dachte an diesen gewählten Regierungschef, der ganze Hundertschaften von Polizisten und Staatsanwälten entmachtet hat, nur damit sie die Korruption in seinem Kabinett und in seiner Familie nicht weiter verfolgen. Ich dachte an Mohammed Mursi, der, kaum dass er Präsident war, das ohnedies fragwürdige Ergebnis seiner Wahl als Freifahrtschein für die Umwandlung Ägyptens in einen Gottesstaat verstand.

Der Archetypus des Menschenschinders

Ich las und dachte an Wladimir Putin, den Lupenreinen, der junge Frauen wegen einer ihn herabsetzenden Albernheit auf Jahre in Straflager schickt, der Konkurrenten wie Michail Chodorkowski Jahrzehnte lang wegsperrt, der kritische Demonstranten inhaftieren lässt und der die Justiz zu Urteilen nach seinem Gusto und Interesse zwingt, der das Völkerrecht bricht, der Teile der Ukraine, eines fremden Staates, unter seine Kuratel bringen will und seinen Machtbereich auszudehnen versucht.

Aber natürlich dachte ich beim Lesen von Londres Reportagen auch an die unvorstellbaren Gräuel des zwanzigsten Jahrhunderts, an Stalin und an Adolf Hitler, der den mörderischen Zhang-Zuolismus modernisierte, der das Töten perfektionierte und industrialisierte. In Zhang Zoulin ist das alles angelegt, er ist so etwas wie der Archetypus des Machtmenschen, des innerlich schwachen und nach außen sich mörderisch aufplusternden Tyrannen – einer von Tausenden, ja Abertausenden in der Geschichte. In ihm wiederholen sich alle Menschenschinder, die vor ihm waren; in ihm sind auch die aktuellen Ausprägungen dieser Spezies vorgezeichnet. Das Grundmuster ist immer das gleiche: ein Mann, oft, nicht immer, kleiner Leute Kind oder sich aus anderen Gründen klein fühlend, bisweilen ungebildet wie Adolf Hitler, aber charismatisch, dazu rednerisch begabt, getragen und inthronisiert von einer Bewegung, gehalten von privilegierten, gewaltbereiten Gefolgschaften und – von allem Anfang an – rücksichtslos um sich schlagend, hysterisch reagierend auf Kritik, prunksüchtig, am Ende größenwahnsinnig und wild entschlossen, die Macht nie wieder abzugeben, egal um welchen Preis.

Demokratie und Rechtsstaat sind Gegengifte

Das Mittel seiner Herrschaft ist die Angst, die er verbreitet. Allen Unmut in der Bevölkerung, lenkt er auf Minderheiten ab, auf wohlfeile Sündenböcke, die es zu bekämpfen und zu vernichten gilt. Denn die politische Ordnung, der Staat mit allen seinen Möglichkeiten und Ressourcen, das ist seine Beute. So war das schon immer. Es stirbt nicht aus. Und hat sich denn gar nichts geändert? Immerhin hält inzwischen, dank moderner Kommunikationstechniken, so etwas wie ein globales öffentliches Auge Wache. Wer den Zhang Zuolin gibt, den hat die Welt im Visier. Und es kann böse für ihn enden.

Außerdem haben die Europäer im Verlauf der Geschichte Gegengifte erfunden: die Teilung der Gewalten mit der Unabhängigkeit der Justiz, die demokratische Legitimierung der Herrschaft auf Zeit, die Bindung allen hoheitlichen Handelns an Recht und Gesetz, ein System gegenseitiger Kontrollen der Verfassungsorgane, Grundrechte wie die Meinungsfreiheit. Das insgesamt verhindert den Aufstieg eines Diktators. Aber nur, solange sich alle an die Regeln halten.

Die Nazis brauchten nur wenige Wochen, und schon war die Weimarer Republik zerstört, waren ihre Institutionen, ja war die ganze Gesellschaft – wie es damals hieß – gleichgeschaltet. Auch der türkische Premier hat offenbar keine Mühe, das, was es, nebbich, in der Türkei an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bisher gegeben hat, im Handumdrehen außer Kraft zu setzen. Und sogar in Ungarn, einem Mitglied der Europäischen Union, ist es dem rechtskonservativen Premier Victor Orbán gelungen, ein Mediengesetz durchzubringen, das sich mit einem freiheitlichen Gemeinwesen nur schwer vereinbaren lässt. Wie kann so etwas geschehen? Ganz einfach, es bedarf nur einer ausreichenden Mehrheit von eingeschüchterten, profitierenden, verblendeten oder fehlgeleiteten Abgeordneten im Parlament – und schon sind wir wieder ganz nah bei Zhang Zuolin.