Männer und Frauen, Homos und Heteros, Kluge und Dumme, Gesunde und Kranke. Ist das Glattbügeln von Unterschieden wirklich hilfreich und notwendig? Diese Frage stellt sich die Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Die Menschen sind verschieden, die Gojim wie die Jiden. Das ist ein jiddisches Sprichwort, das so viel besagt wie: die Menschen sind verschieden, nicht nur zwischen den Religionen und Nationen, nicht nur zwischen Christen und Juden, zwischen Moslems und Buddhisten, zwischen Europäern und Asiaten. Sie sind untereinander verschieden. Keiner ist wie der andere. Wohl wahr, wie so vieles, was die alten Juden schon gedacht haben. Doch zur Zeit gerät die Einsicht in die Vielfalt der Menschen, ihrer Möglichkeiten, ihrer Talente, ihrer Begrenzungen und ihrer Leistungen etwas ins Hintertreffen. Nicht zuletzt bei uns in Deutschland. Gleichsein ist alles. Gleichheit ist Trumpf. Männer und Frauen, Homos und Heteros, Kluge und Dumme, Gesunde und Kranke.

 

Alle sollen gleich sein und gleich behandelt werden. Das ist natürlich ein sehr schöner Gedanke. Dahinter steckt der Wunsch, für Gerechtigkeit zu sorgen in unserer Gesellschaft. Und dieses Ziel setzt sich nicht nur die SPD in ihrem gerade neu geborenen Parteiprogramm. Dahin strebt doch das meiste von dem, was wir hierzulande politisch tun. Und gebietet das nicht auch unser Grundgesetz? Das tut es, in gewissem Sinne, zum Beispiel, wenn es fordert, dass überall in der Bundesrepublik in etwa die gleichen Lebensverhältnisse herrschen sollten. Allerdings liest man da nicht, dass alle Menschen gleich sind. Vielmehr garantiert der Artikel 3 zunächst nicht mehr und nicht weniger als die Gleichheit, „vor dem Gesetz“. Und die bedeutet: wir können als Menschen sehr verschieden sein, es darf aber bei einer Urteilsfindung keine Rolle spielen, ob wir als Gotthilf Häfele oder als Christian Wulff vor dem Richter stehen. Gesetz ist Gesetz.

Gleichheit und Gleichberechtigung, nicht Gleichmacherei

In den weiteren Ausführungen des Grundgesetzartikels geht es nicht um die Gleichheit, sondern um die Gleichberechtigung von Mann und Frau und darum, dass niemand benachteiligt werden darf – wegen seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner Sprache, seiner Rasse, seiner politischen Anschauungen. Aber wie macht man das? Heißt das, jeder Mann habe ein Recht auf einen Posten als Generaldirektor und jede Frau eines auf einen Platz im Aufsichtsrat eines Dax-Unternehmens? Natürlich nicht. Aber ein Recht, es möglicherweise dorthin zu schaffen und nicht wegen einer krummen Nase am Aufstieg gehindert zu werden, das hat man schon.

Die Dinge sind also schwierig, eben weil die Menschen so verschieden und Frauen eben nun mal keine Männer sind. Es hilft ja nicht, sie – wie im wahnsinnig ungerechten Unterhaltsrecht – im Falle einer Trennung wie Männer zu behandeln, solange die Kinder ausschließlich in ihren Bäuchen wachsen. Dass sie Mütter werden, macht sie schwächer, bindet sie stärker an die Familie, führt zu Unterbrechungen ihrer Laufbahn und behindert ihr Vorankommen weitaus mehr als das Fehlen der vielleicht in dieser Woche zu beschließende Quote für die Aufsichtsräte. Viel eher als diese Quote, die zwar plakativ wirkt, aber die Situation allenfalls ganz am Rande verbessert, hülfen ausreichend Betreuungsplätze. Sie gehen nicht nur eine Handvoll Frauen an, sondern die Mehrzahl. Aber sie sind, obgleich gesetzlich zugesagt, nicht so schnell zu bauen und verantwortungsvoll zu betreiben. Im Gegensatz zur Quote in den Aufsichtsräten kosten sie auch mächtig viel Geld. Das ist freilich immer so, wo das Ungleiche beachtet und berücksichtigt wird, wo der Staat fordert und fördert und nicht einzuebnen versucht. Das gilt auch für die gerade modische Gleichmacherei und Bachelorisierung im Bildungswesen: alle Lehrer gleich, alle Schüler gleich. Runter mit den Niveaus. Das gefällt, das klingt zeitgemäß, das verspricht Gerechtigkeit und ein Ende der bevorzugten Chancen für die gebildeten Schichten, es bedeutet Schluss mit den Benachteiligungen für die unteren sozialen Ränge, worüber ja gebetsmühlenhaft öffentlich geklagt wird.

Baden-Württemberg öffnet schulisch die Schleusen

Nun sollen also, auch hier in Baden-Württemberg, die Schleusen geöffnet werden. Aber sind sie denn wirklich geschlossen, liegt es nur am differenzierten und gegliederten Schulsystem, dass manche Kinder nicht voran kommen? Und wird nun alles besser, wenn die Unterschiede – auch zwischen klug und weniger klug, zwischen gesund und weniger gesund – keine Rolle mehr spielen und nicht in besonderen Institutionen und mit besonderen Lehrern austariert werden? Oder ist vielleicht doch bisher alles gar nicht so schlimm gewesen?

Da gibt es etwa den im Hohenlohischen geborenen und bei Stuttgart aufgewachsenen Joschka Fischer, der die Schule abbrach, eine Lehre schmiss, nie ein Examen machte, aber Außenminister der Bundesrepublik Deutschland wurde. Da gibt es den Niedersachsen Gerhard Schröder, Sohn eines Hilfsarbeiters und einer Putzfrau, der über den zweiten Bildungsweg das Abitur bestand, Jura studierte und bis zum Bundeskanzler voran kam. Da gibt es die vielen Rechtsanwälte, Ärzte, Schriftsteller, Ingenieure, Unternehmer und erfolgreichen Journalisten, die von Einwanderern abstammen und die nichts und niemand aufhalten konnte. „Es steigen immer wieder Intelligenzen aus dem Volke auf“, meint ein anderes jüdisches Wort. Auch ohne Gleichmacherei haben sie hierzulande eine Chance.