Spionage hat auch ihre guten Seiten. Die Spionage von Regierung zu Regierung ist ein Mittel der Prophylaxe. Es wirkt beruhigend und befördert die Vernunft, wenn jeder von jedem alles weiß – meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Das waren Zeiten, damals in den finsteren Mauerjahren, als die Spione noch aus der Kälte kamen. Einen gefährlicheren Nachkriegsjob konnte man sich gar nicht vorstellen. Der Super-Bond musste ja nicht nur hin und wieder das Ohr an diverse Telefone halten, sondern höchstpersönlich ins Feindesland traben, dort jemand sein, der er nicht war, oder allenfalls zur Hälfte, wie Günter Guillaume, dem Willy Brandt und die DDR gleichermaßen am Herzen lagen. Manch einer hielt das nicht durch, landete im Gefängnis oder wie die Rosenbergs auf dem elektrischen Stuhl. Die Glücklicheren durften sich auf der Glienicker Brücke zu Potsdam gegen Glückliche von der anderen Seite austauschen lassen. Der Mond schien helle auf dunkle Trench-Coats, die obligaten Schlapphüte warfen kuriose Schatten. Stiefel knallten auf dem Asphalt. Gebt mir Unseren, hier habt Ihr Euren. Großes Theater, großes Kino, große Bücher.

 

Es war die reine Lust. Sofern es einen nicht selbst betraf. Und nun ist das alles zwar nicht mehr so bildhaft einzufangen. Weshalb uns die Kollegen vom Fernsehen nur Kabelsalat und Lichtergeblinkel zeigen – und das auch noch jeden Abend mit immerdenselben Bildern – wenn der reizende Herr Snowden mal wieder eine Schublade öffnet. Es ist zum Heulen. Auch in Agenten-Filmen sieht man nur Computer flimmern und keinen Richard Burton an der Mauer sterbend dahinsinken. Das Schriftliche verliert sich im Algorhythmischen. Auf Erden findet fast nichts Sichtbares statt. Alles hängt in einer Cloud. Wer will sich davon amüsieren lassen? Aber ausgestorben ist das Metier natürlich nicht. Ganz im Gegenteil. Und es hat ja auch seine sinnvollen Seiten.

Spionage wirkt deeskalierend und vernunftbefördernd

Fangen wir mal beim Damals an, bei den guten alten Glienicker-Brücken-Zeiten. Schon während des Kalten Krieges, hinter dem ja immer ein heißer dritter Weltkrieg drohte, ging mir gelegentlich der ketzerische Gedanke durch den Kopf, wie gut es doch sei, das alle betroffenen Regierungen alles voneinander wissen konnten. Jeder vermochte den anderen richtig einzuschätzen. Davon ging ich aus, wenn wieder einmal ein englischer Atomforscher aufflog oder der rätselhafte erste Präsident des deutschen Verfassungsschutzes, Otto John, in die DDR entschwand. Keiner musste aus lauter Angst vor dem atomaren Erstschlag des übermächtigen Gegners ganz schnell und für alle tödlich-vorbeugend auf das rote Knöpfchen drücken. Wer wirkungsvoll und wahrheitsträchtig spionierte, erfuhr, dass man hüben und drüben des Eisernen Vorhangs auf Zehenspitzen ging, dass die angeblich so eroberungswilden Russen ziemlich pleite waren, dass man sie deshalb, ohne Krieg zu führen, mit dem Nato-Doppelbeschluss in die Knie zwingen konnte. Gelobt sei also die Spionage. Sie wirkte – und wirkt – vernunftbefördernd und deeskalierend. Zumindest dort, wo Vernunft möglich ist und nicht gerade irgendein Wahn herrscht.

Politische Spionage – die ökonomische lassen wir hier außen vor, da müsste man ganze Bibliotheken vollschreiben! – also die Spionage von Regierung zu Regierung, von Land zu Land, ist ein Mittel der Prophylaxe. Man will erfahren, ob der andere Böses im Schilde führt, ob er wirklich so freundschaftlich gesinnt ist, wie er vorgibt oder uns in anstehenden Verhandlungen hinters Licht führen will; man muss auch wissen, und da denke ich gerade heftig an die Erdogan-Türkei, ob sich auf dem Territorium des Bebachteten Fanatiker, Drogendealer, Radikalinskis, Schleuser, Terroristen, Dschihadisten, Islamisten oder sonstige Isten herumtreiben, ob sie dort durchreisen oder dableiben, ob sie etwas aushecken, das über die Grenzen springt und am Ende auch bei uns Menschenleben kostet.

Sterile Aufgeregtheit über den Lausch-Rausch der NSA

Das gilt es zu verhindern. Und schon sind wir bei denen, die solche Untaten begehen oder ermöglichen könnten, legen also die Spionage von Regierung zu Regierung kurz bei Seite und widmen uns dem Belauschen der Bürger. Die Amis haben das mit uns gemacht, nicht zuletzt, weil der tausendfach todbringende Turmfalke Mohammed Atta aus Hamburg gekommen war. Aber abgesehen von Hans-Christian Ströbele und der Schriftstellerin Juli Zeh verfielen nicht viele Leute in ähnlich sterile Aufgeregtheit über den Lausch-Rausch der NSA. Warum nicht? Weil Amerika weit weg ist, weil der amerikanische Staat auf deutsche Bürger keinen exekutiven Durchgriff hat, weil man ziemlich sicher ist, dass sich die US-Schnüffler bei Gott nicht für irgendwelche deutschen Spießer, auch nicht für Frau Zeh und noch weniger für den in all seinen Facetten sattsam bekannten Herrn Ströbele interessieren, weil es durch Missverständnis allenfalls auf Reisen Ärger geben kann und vor allem: weil wir in einem Rechtsstaat leben.

Das war zu Zeiten der Stasi und der Gestapo völlig anders. Dazumal hat ein gnadenloser Unrechtsstaat die Inlandsschnüffelei benutzt, um die eigenen Bürger auszuspähen, zu piesacken, zu erpressen, zu terrorisieren, leider sehr häufig auch einzusperren und umzubringen. Das ist dann der Ernstfall. Wir aber dürfen lachen, homerisch bitte sehr, dass nun nicht nur die Amis wissen, was Angela Merkel ihrem Liebsten spätabends auf den Anrufbeantworter haucht, sondern dass auch unsere BND-Horcher erfahren, was US-Außenminister dem UN-Generalsekretär ins Ohr flüstern. Und sage niemand, er habe das nicht längst geahnt.