Die Nation ist fußballkrank. Sonst gäbe es nicht so viel Respekt für den Steuerbetrüger Uli Hoeneß. Sogar Bundeskanzlerin Merkel hat sich angesteckt, schreibt unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Glückliches Deutschland. Andere Völker leiden unter Bomben und Granaten, unter Flucht und Vertreibung, unter dem kleinen Napoleon aus Moskau und seinen großen Machtgelüsten. Wir aber haben nur mit dem Fußball-Virus zu kämpfen. Die Frage, ob die Bayern oder der BVB die Tabelle anführt, raubt uns den Schlaf. Der Gedanke an die blamable Rasenschlacht zwischen unserer Elf und den Chilenen treibt uns das Wasser in die Augen. Der Niedergang des VfB löst Depressionen aus. Und dann die Sache mit Uli. Mein Gott, dieses Idol, dieser geniale Kicker, dieser großartige Bayern-Macher, dieser Menschenfreund und wirklich kein Sozialschmarotzer, dieses Finanz-Genie – nein, halt, zurück auf Los! Ach, das tut so weh. Es ist einfach wahnsinnig traurig.

 

Die Nation weint. Die Nation leidet mit. Die Nation stand mit ihm vor Gericht. Die Nation wird auch mit ihm ins Gefängnis gehen. Oh Uli, unser Uli, warum hast Du uns verlassen? Deshalb ist es gut, dass wir nun rundum informiert werden, wie es an diesem schrecklichen Ort zugeht, und was den Hoeneß – also auch uns, die wir immer mit allen guten Wünschen an seiner Seite sind – dort erwartet. Die Medien leisten da geradezu Übermenschliches. So tröstet uns die „Süddeutsche“ mit einem Foto der Generalansicht der Landsberger Justizvollzugsanstalt samt grünen Sportstätten. In der Bildzeitung sehen wir, welchen Komfort die Zellen dort bieten. Das Blatt belehrt uns auch über den Tagesablauf: Frühstück von 6 Uhr 15 bis 6 Uhr 30 – zu dieser Zeit werden wir dann ebenfalls ins knackige Morgenbrötchen beißen und ihm ein paar mitfühlende Gedanken ins triste Verließ schicken. Besuch gibt’s nur zwei mal zwei Stunden pro Monat. Wie gemein. Das Essen kann er sich nicht vom Feinkost-Käfer kommen lassen. Aber Gott sei Dank: die Gefängniskost wird gelobt.

Die Fangemeinde nimmt ihn liebevoll in die Arme

Bis es so weit ist, dürfen wir ihn aber noch allabendlich in den Nachrichten und Talkshows mit den immer gleichen Einblendungen sagen hören, das Geld sei nicht das Wichtigste im Leben, sondern die Gesundheit. Autsch. Das tut uns Fans ein bisschen weh. Denn es ist ja noch gar nicht so lange her, dass er sich auf diese Weise bekannte. Die Zockerei reicht aber viel weiter zurück. Sei’s drum. Der Mann ist ja kein Politiker – da wären wir schon etwas pingeliger –, er ist ein Fußballer. Und Fußball ist nun mal heilig.

Deshalb verweist Giovanni die Lorenzo, Chefredakteur der „Zeit“, schon vorsorglich auf Uli Hoeneß’ Recht auf Rehabilitierung nach der Entlassung. Es wird alles folglich nicht so heiß gegessen wie gekocht. Und jetzt schon, da er gerade mal zu dreieinhalb Jahren Knast verurteilt ist, nimmt die Gemeinde ihn liebevoll in die Arme. Er beißt ja nicht. Er hat alles auch gar nicht so gemeint. Er wollte doch nur spielen. Und jetzt hat er sogar den Antrag auf Revision des Urteils zurückgenommen – gegen den Rat seiner Anwälte. Ist das nicht wunderbar? Eine Heldentat.

Sogar die Bundeskanzlerin hat sich angesteckt

Jawoll. Seht her, ein Mann. Da steht er und kann nicht anders. Uli hat die Herrschaft über sein Leben zurückgewonnen. Und ein unglaublich bunter Strauß von Respektsbekundungen erlöst ihn aus dem nachttiefen Tal der Sünde wider die Steuergesetze. Soviel Beliebtheit macht ihm so schnell keiner nach. Und wer geht da alles vor ihm in die Knie? Bewundernd? Anbetend? Wer? Du glaubst es kaum: sogar die Bundeskanzlerin. Dabei dachte man immer, das Fußballfieber sei eine Männerkrankheit. Und nun das! Angela, die reine Magd, aufschauend zu Uli Hoeneß, nur weil er im sehr eigenen Interesse die Revision seines Urteils abgesagt hat. Das nötigt ihr nicht nur Respekt, sondern sogar „hohen Respekt“ ab, obwohl der Delinquent ihrer und unserer Bundesrepublik rund 30 Millionen Euro schuldet. Herr hilf, es hat sie erwischt. Sie ist schwer infiziert. Wie aber konnte das geschehen? Vielleicht, weil sie der einzige Mann in der Regierung, ja sogar in der europäischen Politik ist? Also gleichsam verhaltensgeschlechtlich prädestiniert, sich anzustecken?

Aber es gibt noch andere bedauernswerte Patienten unter den Märzgefallenen. Wolfgang Schäuble etwa, unser oberster Steuereintreiber und Schatzmeister. Der Rücktritt von der Revision verdiene „Respekt“, sagt tatsächlich auch er. „Respekt“, das bekundet laut Bildzeitung ebenso der Präsident des Bundes der Steuerzahler, zu denen doch alle diejenigen gehören, die brav den letzten Einkommenscent angeben oder angeben müssen. Zu „Respekt“, bekennt sich natürlich auch Horst Seehofer, aber der gilt nicht. Er ist ein Bayer. Doch Gregor Gysi? Seit wann haben Großverdiener wie Hoeneß bei den Linken einen Stein im Brett? Seit wann verdienen verurteilte Millionäre bei ihnen „Respekt“? Seltsam. Da könnte man, in diesem Klima der Hoeneß-Hybris, auf Populismus tippen. Schließlich will auch die Linkspartei Wahlen gewinnen. Oder aber die ideologischen Barrieren haben den Virus nicht abgeschirmt, und Gregor Gysi hat sich angesteckt.

Und so fußballt und hoeneßt es in unserem Land rauf und runter, Tag und Nacht, bei den Gescheiten wie den Dummen, den Regierenden wie den Regierten. Mit Ausnahme der Justiz hat König Fußball sogar ein paar vernunftbegabte Hochmögende im Griff. Er ist eben nicht nur ein König, sondern eine Kirche, ein mächtiger Mythos. Hört ihr das Halleluja? Und hört ihr auch die Stimme von Ludwig Thomas Münchner Dienstmann auf seiner Wolke im Himmel? „ Luja sog i“, jubiliert er, „luja....“