In der Politik geht es schon turbulent genug zu. Deshalb braucht es keinen Clown, um sie wirklich spannend zu machen – meint unsere Kolumnistin.

Stuttgart - Abends durch die Programme gezappt, von Volksmusik zu Quiz, von Krimi zu Fantasy, von Talk zu Traumschiff. Morgens, beim Hören meines Lieblingssenders, schwer genervt von einer zwischen Bach und Brahms eingeklemmten Nichtmusik, einem banalen Trallala, das noch nie etwas von der Kunst des Kontrapunkts vernommen hat. Beim Frühstück dann in der Zeitung den Veranstaltungskalender vor Augen, mit immer weniger Kultur und immer mehr Comedy. Und nun auch noch Stefan Raab als Moderator im Fernsehduell zwischen Kanzlerkandidat und Kanzlerin. Was für eine Kateridee.

 

In all diesen Fällen des bewusst inszenierten Niveauverlusts – den Raab-Vorschlag hat Edmund Stoiber auf dem Gewissen – führen die Verantwortlichen an, man müsse die Leute, die jungen vorweg, eben dort abholen, wo sie sind. Aha. Und da buttert man das Billige also noch rein, wie bei den fertigen Fleischgerichten, statt abzuhelfen.

Die Botschaft: „Wir sind lustig!“

Das heißt aber noch lange nicht, dass wirklich goutiert wird, was das Fernsehen – auch das öffentlich-rechtliche – zu besten Sendezeiten bietet. Oft ist der moderne Arbeitsmensch doch nur zu müde, um abzuschalten. Auch halte ich es für ausgeschlossen, dass die morgens zwischen die großen Klassiker gezwängten öden Dudeleien junge Menschen plötzlich für das sonst anspruchsvolle Programm einfangen. Da hört man besser gleich den Pop auf anderen Wellen. Und schon gar nicht ist zu erwarten, dass Stefan Raab als Moderator, wie der Erfinder dieses Gedankens hofft, die unpolitische Jugend schlagartig für Politik begeistert und zu den Wahlurnen treibt.

Inzwischen bestätigen Umfragen diese Skepsis. Eine Mehrheit, auch der Jungen, lehnt den Plan ab. Aber bezeichnend für das Niveau unserer Gesellschaft und auch der Spitzenkandidaten bei der nächsten Wahl ist es doch, dass seine Verwirklichung überhaupt erwogen wurde. Denn die Botschaft ist klar. Sie lautet: He, Leute, kommt her, macht mit, wählt überhaupt, wählt uns, wir sind gar nicht so langweilig, wie ihr meint, wir sind lustig, mit uns könnt ihr Spaß haben, und die Politik ist auch nicht so kompliziert, wie ihr bisher geglaubt habt, sie ist ein Scherz. Also, ziert euch nicht, hier herrscht nicht der Ernst des Lebens, hier ist der große Comedian Stefan Raab mit von der Partie, hier ist Comedy.

Nun will ich gar nicht bestreiten, dass Politik bisweilen zur Komödie wird. Aber das ist etwas ganz anderes als Comedy. Das Komödienhafte in der Politik, viel öfter aber noch das Tragödienhafte liegt in ihr selbst begründet. Shakespeare hat ihr Wesen in die genialsten Theaterstücke gegossen. Politik ist Drama pur, ist aufregend, ist hochspannend, ist jeden Tag neu, ist Liebe und Hass, ist Himmel und Hölle, ist Teufel und Tod: Möllemann, der sich aus den Wolken stürzt. Wulff, den die Leidenschaft ins Verderben stößt. Guttenberg, ein Kaiser ohne Kleider. Schäuble, ein schwer Verletzter, dem Kohl die Kanzlerschaft nicht gönnte und der jetzt doch auf seine Weise in Europa regiert. Joachim Gauck, der schon fast Vergessene, nun aber überraschend an der Spitze des Staates. Über allem Angela Merkel, eine Frau in ihrem Panzer aus den immergleichen Worten und vorsichtigen, aber machtbewussten Taten. Eine Eiserne.

Mehr Komödie, mehr Tragödie gibt es nicht

Und dann: Schröders Geniestreich, die Agenda 2010, die ihn und seine Partei von der Macht vertrieb, der Republik aber den wirtschaftlichen Aufschwung verschaffte. Oder: die Energiewende, ein Piratenakt der Kanzlerin, um die Grünen ihres Themas zu berauben. Und schließlich Stuttgart 21. Mehr Komödie, mehr Tragödie gibt es nicht. Und niemals weiß man in der Politik, wie es ausgeht. Darin gleicht sie dem Fußball. Doch anders als beim Sport, spielen wir, die wir in einer Demokratie leben, in diesem Stück alle mit. Da braucht es nun wahrlich keinen Clown von außen, um dieses Riesentheater noch lebendiger und aufregender zu gestalten, als es ohnedies ist. Ganz im Gegenteil. Stefan Raab als Moderator wie überhaupt die ganze Verramschung der Politik in den Talkshows, mit immer denselben Leuten und ihren ausgelutschten Tiraden, nehmen der Sache ihre wahre Bedeutung und ihren Ernst.

Man muss es der gescheiten Kanzlerin wirklich übel nehmen, dass sie sich auf diesen populistischen Quatsch eingelassen hat. Lieber sollte sie, so sie es kann, ab und an aus ihrem Panzer aussteigen, ihre Vorhaben erklären, ihre Politik nach außen lebendiger werden lassen. Und Peer Steinbrück? Er hat abermals eine Chance vertan, als er einknickte, nachdem er vernünftigerweise zuerst Nein gesagt hatte. Wäre er dabei geblieben, er hätte sich positiv und verantwortungsvoll von seiner Gegnerin abheben können. So aber, indem er seine Verweigerung aufgab, steht er nicht nur als wankelmütig da. Er hat sich auch zu einer durchsichtigen Camouflage hergegeben, statt zu sagen, es sei Komödie genug, was er erlebt und erleidet und dass es keines Stefan Raab bedürfe, um den Wettstreit aufzulockern. In der Tat. Er selbst und die Kanzlerin, zwei wehrfähige Turnierkämpfer – das ist doch die Show.