Unsere Kolumnistin Sibylle Krause-BurMger ist verwundert, wie sehr sich die Leute auf die Rechtfertigungen des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff stürzen.

Stuttgart - Christian Wulff, der einstmals verehrte und später an die unwiderstehliche Bettina verlorene Schwiegersohn der Nation, lässt uns nicht los. Wir sollen uns weiter mit ihm befassen, sollen sehen, von welch wunderbarer Reinheit er in Wahrheit ist, wie er von den Medien, den teuflischen, unschuldig verfolgt, aber von der Justiz, der lieben, rechtsstaatlichen, reingewaschen und einer erneuerten Ehre anheim gegeben wurde. Obschon politisch bereits mausetot, ist er nun wiedererstanden, versucht sich – zumindest moralisch - keck als Erstgeborener zur Rechten des pastoralen Ossis als einzig legitimer Amtsinhaber niederzulassen. Er ist der Besserkönnende und Besserwessi, er hat doch so viel Gutes getan, hat sogar die Nation mit dem Islam versöhnt. Und was war der Dank? Nichts als Unrecht ist ihm geschehen. Bitte, liebe Landsleute, schaut Euch das an. Er hat es aufgeschrieben, unser Parzival, der reine Tor, hat es in Buchform festgehalten, wie er ganz oben und danach ganz unten in der Hölle war. Man soll es mitfühlen, miterleben, mit ihm leiden, anschließend wahnsinnig empört sein und das Schwiegersöhnchen wieder in die Arme nehmen.

 

Das Wulff-Buch stürmt die Bestersellerliste

Offenbar gibt es hierzulande ganz viele Schwiegermütter, die mit Wonne in die alte Rolle zurückfallen. Endlich haben sie den verloren Geglaubten zurück. Sie kaufen sein Buch in Massen, betrachten erstaunt die zumindest juristisch festgestellte Unschuld des entlasteten Schönlings und katapultieren das Werk in dieser Woche doch tatsächlich auf Platz eins der Bestsellerliste des „Spiegel“. Nach dem jahrelangen Hosianna kam erst einmal das Kreuziget-ihn, und nun wedeln schon wieder die Palmen ums Haupt des Geretteten im lauen Wind dieses schönen Sommers. Es ist nicht zu fassen.

Vergeben seine Unwahrheit im niedersächsischen Parlament wegen des Hauskredits, den er aus allzu großer Leidenschaft für Bettinen, die eine angemessene Unterkunft brauchte, aufgenommen hatte; vergeben die Geschmacklosigkeit, mit der er die junge Neue voll altem Männerstolz ausgerechnet in „Bild“ präsentierte; vergeben, dass er sich von nicht ganz koscheren reichen Leuten zu Ferien einladen ließ; vergeben der Anruf, gesprochen als Bundespräsident auf den Anrufbeantworter des Chefredakteurs der „Bild“-Zeitung – peinlich, peinlich - , um einen unangenehmen Artikel zu verhindern. Natürlich gibt er das alles inzwischen zu, Fehler waren es, ja, ja, aber juchhuhh, justiziabel ist es eben nicht. Also Schwamm drüber.

Muss sich Steinbrück mit Wulff gemein machen?

Eben noch ein Sünder, muss man ihn nun fast um Verzeihung bitten. Die „Zeit“ - und da könnte man sich unter Journalisten ein bisschen fremdschämen - rühmt sich inzwischen, dass sie doch sehr moderat mit ihm umgegangen ist. Und Peer Steinbrück, der das Buch für die Wochenschrift besprochen hat, bedauert mittlerweile, dem Verfolgten nicht zur Seite gesprungen zu sein. Denn auch er hat erlebt, was die bösen Journalisten so treiben, auch er war ganz oben und dann ganz unten. Auch er hing am Kreuz der Medien, weshalb er nun im nachhinein viel besser versteht, was dem armen, armen Christian widerfahren ist. Ihn, den Peer Steinbrück, haben sie vor Fernsehpublikum sogar zum Weinen gebracht – nicht über das Elend in der Welt, über das man gar nicht genug Tränen vergießen kann, sondern über sich selbst. Und das ist der Mann, der einmal die Kavallerie in Richtung der Schweizer Banken schicken wollte, der Mann, der vor seiner Kanzlerkandidatur die brillantesten Vorträge hielt, der Mann, der verdammt gescheite Bücher schreiben kann - , sehr viel gedankenreicher als das Rechtfertigungsopus des Christian Wulff. Muss er sich wirklich mit dem gestürzten Bundespräsidenten gemein machen? Sein Schicksal und das des Ex-Präsidenten haben nichts mit einander zu tun.

Christian Wulff hat große Fehler gemacht. Deshalb musste er vom höchsten Staatsamt zurücktreten. Er konnte nicht bleiben, auch wenn er das inzwischen anders sieht. Er war einfach nicht das brave Schwiegersöhnchen, für das ihn viele gehalten haben. Peer Steinbrück aber hat sich nichts zu schulden kommen lassen.

Er ist im Wahlkampf angegriffen worden, auch ungerechterweise. Das ist normal. Er hat verloren. Auch das ist normal. Dass einer nah am Wasser gebaut hat, mag auch normal sein. Aber es qualifiziert ihn nicht unbedingt für das Amt des Bundeskanzlers, in dem man Nerven braucht wie Garbenstricke, also das, was man auf schwäbisch eine „Kuttel“ nennt. So eint die beiden Politiker vielleicht nur, dass sie für ihre Lieblingsämter jeweils nicht der richtige Mann waren.

Und nun Uli Hoeneß? Oder Alice Schwarzer?

Aber das alles ist nun passé. Und jetzt sollen wir es noch einmal nachlesen – wenigstens was die Causa Wulff angeht, die doch hunderttausend Mal öffentlich durchgekaut worden ist? Sollen uns noch einmal einlassen auf das Klein-Klein dieser Affäre, auf Sylt-Rechnungen und Oktoberfestvergnügungen, auf diesen Mann, der außer seiner angeblichen Opferhaftigkeit nichts mehr wahrnimmt, der das Amt nach unten riss, der nur noch sich sieht, als ob es sonst nichts Wichtiges auf der Welt gäbe?

Haltet Euch also zurück, liebe Buchkäufer, es kommt gewiss noch einiges nach. Wetten, dass der Uli Hoeneß in seiner Knasteinsamkeit schon die Griffel spitzt?

Und wetten, dass auch Alice Schwarzer, trotz justiziabler Schuld, schon an einem „J’accuse“ bastelt?