Seit 2014 kehren immer mehr Islamisten aus Syrien und dem Irak zurück, die sich vermutlich dem IS angeschlossen haben. Deutschland gilt schon lange als mögliches Ziel von Terroranschlägen.

Berlin - Die Aussage des französischen Premierministers Manuel Valls ist drastisch. Der Islamische Staat (IS) plane Attacken in ganz Europa, sagte Valls: „Wir wissen, dass Operationen vorbereitet werden, nicht nur in Frankreich, sondern gegen andere europäische Länder.“ Man werde „noch lange mit dieser Bedrohung leben müssen“. Konkreter wurde Valls nicht. Aber auch wenn die Bundesregierung offiziell von keiner veränderten Gefahrenlage sprechen will, so liegt doch auf der Hand, dass Deutschland im Zielspektrum der IS-Terroristen liegt und mit Anschlägen gerechnet werden muss, selbst wenn keine konkreten Hinweise vorliegen. Dies weiß man allerdings nicht erst seit dem Terror in Paris.

 

Auch Deutschland war dort Ziel. Die drei Selbstmordattentäter wollten eigentlich ins Stade de France eindringen. Sie wollten dort während des Fußball-Freundschaftsspiels Frankreich – Deutschland ein Blutbad anrichten. Im mutmaßlichen Bekennerschreiben des IS werden beide Länder, also auch Deutschland, als „Kreuzfahrer-Nationen“ bezeichnet. Auf der Tribüne saß neben dem französischen Präsidenten François Hollande Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). 1000 der 80 000 Tickets waren an deutsche Fans verkauft worden. Der Hauptstoß galt Frankreich, wegen dessen militärischen Engagements in Syrien. Aber dass nebenbei auch an Deutschland ein Signal ausgehen sollte, gilt in Berlin als ausgemacht. Vielleicht auch deshalb die harte Rhetorik der Spitzenpolitiker, von denen Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Warnung vor einem „neuen Krieg“ am weitesten ging.

Mehr als 400 Syrien-Kämpfer sind wieder in Deutschland

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat bisher gleichwohl nicht von einer veränderten Gefährdungssituation gesprochen. Die Lage sei zwar „ernst“, aber die Gefährdungslage unverändert – nämlich hoch. Sein Sprecher sagte am Montag, man verfolge eine Vielzahl von Hinweisen und Informationen. Alle Quellen würden sorgsam geprüft, damit „gegebenenfalls adäquate Maßnahmen ergriffen“ werden könnten. Trotz der Äußerung Valls gebe es aber keine Veranlassung, eine „konkrete Warnung“ auszusprechen.

In Sicherheitskreisen verwundert diese Einschätzung nicht, denn für die Experten hat sich mit Paris im Grunde nichts geändert. Die Lage hat sich aus deren Sicht nicht erst mit den Anschlägen zugespitzt, sondern schon vor einem Jahr. 2014 machten die Sicherheitsbehörden verstärkte Reisebewegungen potenzieller islamistischer Kämpfer mit deutschem Pass nach Syrien aus. Mehr als 400 sollen inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt sein, bei denen man befürchten muss, dass sie vom IS militärisch trainiert wurden. Etwa 160 Gefährder sind bekannt, von denen man sicher annimmt, dass sie in Syrien oder dem Irak gekämpft haben. Mehrere Tausend sollen es in ganz Europa sein. Zum Vergleich: während des gesamten Bundeswehreinsatzes in Afghanistan waren es nur rund 60 Personen, die dort in Terrorcamps ausgebildet worden sein sollen. „Wir sprechen beim IS also von einer ganz anderen Dimension als damals bei Al-Kaida“, sagte ein Kenner der Szene der StZ.

Mehr als 500 gewaltbereite Salafisten in NRW

In Nordrhein-Westfalen ist man wegen der dort ansässigen starken islamistischen Gruppen besonders aufmerksam. „Wir stellen fest, dass das Grundrauschen in der salafistischen Szene nach diesem Anschlag wieder zugenommen hat“, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD). Verdeckte Maßnahmen seien deshalb noch einmal erhöht worden. Besonders im Internet sei eine verstärkte Kommunikation zu registrieren.

Von den mehr als 3000 registrierten Salafisten an Rhein und Ruhr seien geschätzt 500 bereit, „ihre krude Ideologie mit Mitteln der Gewalt durchzusetzen“, sagte Jäger. Die Zahl der gewaltbereiten Salafisten sei in den letzten Monaten um etwa ein Drittel gestiegen. Laut Verfassungsschutz sind bisher allein aus NRW 200 Personen ausgereist, um sich dem IS anzuschließen. Obwohl es keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne in Deutschland oder Verbindungen der Täter von Paris nach NRW gebe, müsse die Bedrohungslage „sehr ernst“ genommen werden, sagte Jäger.

Unterdessen wurde bekannt, dass im sauerländischen Arnsberg ein 39 Jahre alter Algerier festgenommen wurde. Der Mann soll Tage vor den Attacken in einer Flüchtlingsunterkunft gegenüber Mitbewohnern aus Syrien geäußert haben, dass in Paris etwas passieren werde, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Es werde geprüft, ob der Mann sich nur wichtig machen wollte oder ob er wirklich von den geplanten Anschlägen gewusst habe. Der 39-Jährige sitze wegen „Nichtanzeigens einer Straftat“ in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt sei informiert.

Die Festnahme dürfte die Frage, inwieweit der Flüchtlingszustrom das Sicherheitsrisiko erhöhe, weiter befeuern. Dennoch hält man es in Sicherheitskreisen nicht für sinnvoll, das Flüchtlingsthema mit der Terrorgefahr zu verknüpfen, so wie es Bayerns Finanzminister Markus Söder getan hat. Der IS habe es gar nicht nötig, seine Kämpfer in die Flüchtlingskolonnen einzureihen, heißt es. Allerdings sei die Sicherung der Außen- und Binnengrenzen in der EU gleichwohl ein sehr wichtiges Thema. Die Terroristen könnten nicht erst seitdem die Flüchtlingszahlen steigen ungehindert in die EU einreisen.

Unterdessen geht die Diskussion über Obergrenzen beim Flüchtlingszustrom weiter. Zwar hatte CSU-Chef Horst Seehofer seinen Finanzminister wegen dessen Äußerungen gerüffelt. Man müsse die Flüchtlingsfrage „sauber trennen“ von der Bekämpfung des Terrorismus, so Seehofer. Zugleich hielt Seehofer aber am Ziel fest, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen.