Fachbeamte intervenieren bei Bundesumweltminister Norbert  Röttgen, weil sie bei der Prüfung der Reaktoren nicht beteiligt werden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Atomaufseher des Bundes halfen ihren Kollegen in Baden-Württemberg mal wieder auf die Sprünge. Wenige Wochen vor der Landtagswahl erkundigten sie sich bei ihnen nach drei Vorfällen im Kernkraftwerk Philippsburg, auf die ein Insider anonym hingewiesen hatte. Alle drei, hatten die Kontrolleure von Landesumweltministerin Tanja Gönner (CDU) und die EnBW als Betreiber entschieden, seien nicht meldepflichtig. Doch die Zweifel der Fachleute von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) waren offensichtlich berechtigt. Zumindest eine Panne aus dem Jahr 2009 stufen die Stuttgarter jetzt, nach der verlorenen Wahl, doch als meldepflichtiges Ereignis ein. Den versäumten Rapport muss die EnBW auf ihr Geheiß demnächst nachholen.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass die Bundesaufseher letztlich recht behielten. Schon vor zehn Jahren wurden die schweren Sicherheitsverstöße in Philippsburg erst durch ihr Eingreifen angemessen bewertet; die Landesaufsicht hatte sie zunächst heruntergespielt. Während die Minister in Berlin wechselten - von Jürgen Trittin (Grüne) über Sigmar Gabriel (SPD) zu Norbert Röttgen (CDU) -, blieben die Fachleute der teils in Bonn angesiedelten Abteilung Reaktorsicherheit die gleichen. Maßgeblich waren die Ministerialbeamten Dieter Majer, heute Unterabteilungsleiter "Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen", und Gerrit Niehaus, heute Leiter der Arbeitsgruppe RS I 3, "Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken". Vor allem Niehaus gilt in Fachkreisen als "absolutes Ass" in den hochkomplexen Atomthemen.

Fachbeamte greifen zu ungewöhnlichen Mitteln

Seit der Zeitenwende von Fukushima, sollte man meinen, müssten die Experten eigentlich unangefochten sein. Schließlich scheint es nur noch Kernkraftskeptiker oder -gegner zu geben. Doch gerade jetzt spitzen sich schon länger schwelende Differenzen im Ressort Röttgens drastisch zu. Bei der Überprüfung der deutschen Kernkraftwerke während des Moratoriums sieht sich die atomkritische Arbeitsebene um Niehaus weitgehend ausgeschlossen - und das mit Billigung des als atomfreundlich geltenden Abteilungsleiters Gerald Hennenhöfer. Die Fachbeamten haben daher zu einem höchst ungewöhnlichen Mittel gegriffen und sich mit einem Protestschreiben direkt an den Minister gewandt. Der schweigt bis jetzt zu den Turbulenzen im eigenen Haus, die in der Fachwelt - etwa der Reaktorsicherheitskommission oder den Landesaufsichtsbehörden - zunehmend irritiert erörtert werden. Es passe schlecht zu Röttgens offiziellem Kurs, hört man dort, dass seine besten Fachleute gleichsam "kaltgestellt" würden.

Angeeckt sind Niehaus & Co. offenbar mit der Konsequenz, mit der sie auf die Katastrophe in Japan reagieren wollen. Schon wenige Tage danach empfahl die Arbeitsgruppe in einem internen Papier drastische Folgerungen. Auf fünf Seiten, die das Fernsehmagazin "Kontraste" öffentlich machte, fordert sie eine grundlegende Überprüfung der deutschen Meiler im Lichte von Fukushima und, soweit überhaupt möglich, eine massive sicherheitstechnische Aufrüstung. Erforderlich wären dafür wohl Investitionen in Milliardenhöhe. Höchst bemerkenswert sei diese Konsequenz, lobte der frühere Chef der Reaktoraufsicht, der als atomkritisch geltende Wolfgang Renneberg: Bisher habe das Bundesumweltministerium alles getan, um die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Sicherheitsanforderungen nicht zu stellen. Man müsse aufpassen, warnte Renneberg, dass das Papier nicht "verwässert" und in "geschlossenen Kommissionen" entschärft werde.

Ministerialen dürfen richtig mitreden

Seine Sorge war berechtigt. Die Atomlobby machte umgehend mobil, die CDU-Ministerpräsidenten intervenierten bei Kanzlerin Angela Merkel - schon war der Forderungskatalog vom Tisch. Wie erahnt wurde ein geschlossenes Gremium mit der Aufarbeitung von Fukushima beauftragt - die Reaktorsicherheitskommission, kurz RSK. Als Röttgen und der RSK-Chef Rudolf Wieland Ende März ihre Prüfliste vorstellten, sahen sich die Skeptiker bestätigt. Es handele sich um eine "schwammige Auflistung von Themen", die weit hinter den Forderungen der Fachbeamten zurückbleibe, rügte die Karlsruher Grünen-Abgeordnete und Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl. Der angebliche Stresstest gerate zum "Weichspülprogramm".

Auch eine weitere Befürchtung von Niehaus' Team erwies sich als begründet. "Die Bundesaufsicht erhält ohne Einschränkungen alle gewünschten Unterlagen und zieht die RSK zu übergeordneten Fragen hinzu", hieß es vorsorglich in dessen Papier. Es kam genau umgekehrt. Das Sagen hat die eigentlich dem Ministerium unterstehende Kommission, die Ministerialen dürfen nicht einmal richtig mitreden. Bei den entscheidenden Redaktionssitzungen sind sie nicht mit dabei, bestätigte Röttgens Staatssekretärin indirekt in einer Antwort an Kotting-Uhl. Es sei "mehr als seltsam", befand die Grüne, dass die Experten vor der Tür bleiben müssten. Auch zentrale Dokumente wie der umfassende Fragenkatalog der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) werden ihnen vorenthalten - offenbar auf Drängen von Ländern wie Baden-Württemberg, die Auftraggeber der GRS sind. Intern ist als Begründung für den Ausschluss zu hören, die Reaktorsicherheitskommission solle nicht durch "Aufpasser" brüskiert werden.

Abteilungschef Hennenhöfer ist empört

Auf der Arbeitsebene des Ministeriums herrsche nun "helle Empörung", verlautet aus Fachkreisen. Ohne eine unmittelbare Beteiligung könne sie den Prüfprozess nicht kritisch begleiten. Empört sei auch der Abteilungschef Hennenhöfer - aber nicht über den Ausschluss seiner Leute, sondern über deren Intervention beim Minister. Wie Röttgen mit dem Hilferuf umgeht, bleibt zunächst offen; noch gibt es von ihm offenbar keine Reaktion darauf. Auf StZ-Anfrage sagte einer seiner Sprecher lediglich, zur "internen Willensbildung im Ministerium" äußere man sich grundsätzlich nicht.

Bisher konnte sich Hennenhöfer, schon zu Zeiten der Umweltministerin Merkel einmal Chef der Atomaufsicht, auf die Rückendeckung Röttgens verlassen. Bei seiner erneuten Berufung 2009 hatten die Umweltverbände den Juristen wegen seiner Tätigkeit für den Eon-Konzern scharf attackiert: nun übernehme ein Atomlobbyist die Kontrolle der Kernkraftwerke. Doch der Minister ließ die Vorwürfe scharf zurückweisen. An den fachlichen Qualitäten des obersten Aufsehers bestünden so wenig Zweifel wie an seiner "strikten Sicherheitsorientierung". Angesichts des Eklats fragt man sich im Ministerium schon, wie Hennenhöfer und Niehaus weiter zusammenarbeiten sollen. Bis zur Pensionierung des Spitzenbeamten (Jahrgang 1947) zu warten könne schwierig werden. Vorher wird in der deutschen Atomaufsicht freilich noch ein Posten frei, bei dessen Wiederbesetzung kritischer Sachverstand gefragt sein dürfte. Im Oktober erreicht der Abteilungschef im Stuttgarter Umweltministerium, Oskar Grözinger, das Rentenalter.

Zweigleisige Aufsicht

Länder: Die Atomaufsicht ist in Deutschland Sache der Bundesländer mit Kernkraftwerken. Die Zuständigkeit liegt meist - wie in Baden-Württemberg - bei den Umweltministerien. Sie überwachen, ob das Atomgesetz, Genehmigungen und Auflagen eingehalten werden.

Bund: Die Länder handeln im Auftrag des Bundes, der im Umweltressort eine Abteilung für Reaktorsicherheit unterhält. Sie soll dafür sorgen, dass rechtliche und Sicherheitsvorschriften einheitlich gelten. Überlegungen, die Aufsicht beim Bund zu zentralisieren, stießen auf Widerstände und wurden nicht realisiert.