Bei der Sicherheitskonferenz in München drehen sich fast alle Debatten um die Kriege in Syrien und der Ukraine. Russland hat in beiden Konflikten die Schlüsselrolle. Putins Boten fahren eine Doppelstrategie.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

München - Seit viereinhalb Stunden schon reden sich die politischen Hochkaräter bei der Münchner Sicherheitskonferenz die Köpfe heiß – insbesondere darüber, wie das Elend im Nahen Osten beendet werden kann. Hat das gerade erst erzielte Abkommen der sogenannten Syrien-Kontaktgruppe überhaupt eine Aussicht auf Erfolg?

 

Kurz vor seinem Abgang vom Podium sticht der russische Außenminister Sergej Lawrow mit einer feinen Nadel in den ohnehin nur schwach gefüllten Ballon der Hoffnung. Ihm kämen mittlerweile Zweifel, ob das Treffen der Gruppe in der Nacht zu Freitag erfolgreich gewesen sei, sagt er – insbesondere was die geplante Waffenruhe angehe. Washington habe ja bereits verkündet, dass die Luftschläge der internationalen Koalition nicht ausgesetzt werden sollen. „Offensichtlich geht es nur darum, dass die russischen Luftangriffe gestoppt werden.“ Und das – so schwingt in seinen Worten mit – ginge ja wohl gar nicht. Aus der Traum vom Frieden in Syrien?

Seit fünf Monaten engagiere sich Russland mit seiner Luftwaffe in Syrien, schildert Lawrow. Grund seien die vielen Milizionäre aus der russischen Föderation, die sich in den Bürgerkrieg einmischen, aber nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren dürfen, weil sie dort eine Bedrohung darstellen. Seither habe man immer versucht, mit den US-Streitkräften abzustimmen, es aber lediglich geschafft, Konflikte zu identifizieren. Nicht gelungen sei es etwa, den Luftraum aufzuteilen. „Das Pentagon ist offensichtlich nicht zu weiteren Schritten der Zusammenarbeit bereit“, rügt er.

Immer neue gegenseitige Vorwürfe

Der neben ihm sitzende britische Außenminister Philip Hammond dreht den Spieß um: „Russland hat die moderat bewaffnete Opposition bombardiert“, erwidert er. Wenn es damit nicht aufhöre, werde die Opposition an dem gerade eingeleiteten Befriedungsprozess nicht teilnehmen. „Das kann man auch nicht erwarten“, so der Brite. „Ich weiß nicht, ob Russland deeskalieren möchte – dies ist aber entscheidend für die Frage, ob die Feindseligkeiten eingestellt werden.“

Der kurze Zwist ist symptomatisch für die verzwickte Gesamtsituation – und für die Debatten bei der Sicherheitskonferenz in München: Immer wieder betonen die Staatenlenker die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns, und dann verfallen sie doch in den Modus gegenseitiger Vorwürfe. „Die Nato und die EU betrachten Russland als Feind und verweigern die Zusammenarbeit“, klagt Lawrow. „Die alten Instinkte scheinen noch da zu sein.“ Die ideologische Konfrontation gehöre wieder zum Alltag. Mit einer „Mischung aus Propaganda und Realpolitik“ werde versucht, die Probleme zu lösen. Stattdessen brauche es gemeinsame Antworten; man müsse sich daran gewöhnen, im Team zu arbeiten.

Wie teamfähig ist Moskau? Im Syrien-Konflikt beharrt es auf alten Positionen: Ziel sei die syrische Einheit – man dürfe keinen Zerfall des Landes erlauben. Und: „Sie dürfen Assad nicht verteufeln“, sagt Lawrow. Er sei nicht alleine schuldig. Es sei die Verantwortung derer, die diesen Terror unterstützen. Ohne Einmischung von außen hätte sich Syrien weiter entwickeln können. Wer nun immer neue Vorbedingungen – Assads Ablösung nämlich – formuliere, werde der Verantwortung genauso wenig gerecht „wie diejenigen, die die Terroristen sponsern“.

Der US-Außenminister fordert: Assad muss weg

Dieser Satz ist insbesondere auf US-Außenminister John Kerry gemünzt, der zuvor verkündet hatte, dass der Wandel „nie mit Assad an der Spitze des Staates“ zu erreichen sei und dabei in großer Gesellschaft ist. Der Amerikaner bemängelt seinerseits, dass sich die russischen Luftangriffe bisher zum großen Teil auf die legitimen Oppositionsgruppen konzentrieren – sie sollten sich „andere Ziele“ suchen. Wenn Assads Partner glaubten, dass sie den Krieg mit noch stärkerer Aggression gewinnen, „haben sie die Lektion der vergangenen fünf Jahre nicht gelernt“. Die Syrer würden ihren Widerstand nicht aufgeben.

Kerry mahnt, das Zeitfenster zu nutzen, das die Syrien-Kontaktgruppe geöffnet hat. Die selbst gesetzte Frist von einer Woche bis zum Eintreten der Waffenruhe erklärt er damit, dass erst noch die Bedingungen für die Kombattanten ausgearbeitet werden müssen. „Wenn wir hier scheitern, wird der weltweite Zuspruch für den Dschihad noch zunehmen“, fürchtet der US-Außenminister. Im Kampfgebiet ist der „Islamische Staat“ auf dem Rückzug: 40 Prozent ihres eroberten Territoriums im Irak haben die Dschihadisten binnen eines Jahres wieder verloren und 20 Prozent in Syrien. Zur Strategie gehört es, die wirtschaftlichen Einnahmequellen zu zerstören: die Ölproduktion und die Bankgeschäfte. Mit ersten Erfolgen: Kerry zufolge hat der IS den Sold der Kämpfer schon um 50 Prozent kürzen müssen. Einige bekämen gar kein Geld mehr.

In nahezu jedem Redebeitrag zeigt sich, dass die bedeutenden Konfliktherde fast untrennbar miteinander verwoben sind, weil Moskau jeweils an den Fäden zieht. Somit hat auch der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew einen großen Auftritt. Die Beziehungen zwischen Europa und Russland seien verdorben, klagt er. Auf vielen Feldern sei der Dialog lahmgelegt – „jeden Tag werden wir zur Bedrohung erklärt“. Die Kultur der gegenseitigen Rüstungskontrolle werde vernachlässigt. „Ich kann es noch einmal deutlich sagen: Wir sind abgerutscht zu den Zeiten eines neuen Kalten Kriegs“.

Moskau will die Sanktionen wegreden

Ein zentraler Anlass für diese düstere Bestandsaufnahme ist der Ostukraine-Konflikt, der massives Misstrauen geschürt hat. Wie Lawrow wirft Medwedew der Ukraine eine fehlende Bereitschaft vor, das vor einem Jahr geschlossene Minsker Abkommen umzusetzen. Kiew müsse die Vereinbarungen wie den Sonderstatus für die Donbass-Region in seiner Verfassung vollständig implementieren, fordert der Premier. Er wiederholt zwar nicht die vor Tagen in einem Interview geäußerte Warnung vom Weltkrieg, will aber wissen: „Brauchen wir einen dritten Weltschock, um zu verstehen, dass wir zusammenarbeiten müssen?“

Dass Russland trotz aller Differenzen mehr Gemeinsamkeit fordert, ist aber auch dem wirtschaftlichen Druck zu verdanken. Massiv beklagt Medwedew die „willkürlichen Sanktionen“ der Europäischen Union gegen Russland. Die Regeln internationaler Wirtschaftsorganisationen würden ausgehebelt. „Sind die Widersprüche so tief?“, fragt er. Die Maßnahmen machten es für alle nur noch schlimmer.

Die direkten Nachbarn Russlands, so zeigt sich, sind kaum weniger beruhigt als vor einem oder zwei Jahren. Im Gegenteil: Angesichts der Bestrebungen im Westen, mit Moskau auf den alten Pfad der Verständigung zurückzukehren, fürchten sie, dass sich ihr Fenster einer verstärkten Sicherheit schließen könnte. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite warnt daher EU, UN und Nato, den Harmoniebemühungen nachzugeben, denn die russische Haltung in der Ukraine und Syrien sei eindeutig. „Der Aggressor sitzt im Weltsicherheitsrat“, giftet sie. Die Geschichte lehre aber, dass man der Unterdrückung nicht nachgeben dürfe. Statt vor einem Kalten Krieg „stehen wir eher vor einer Art heißem Krieg“, fügt Grybauskaite hinzu.

Steinmeier sieht keinen Kalten Krieg

Dies mag Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ungern stehen lassen: „Wir sind bestimmt nicht im Kalten Krieg“, betont er. Medwedew habe er auch vielmehr so verstanden, dass dieser vor einer Situation warne, die zum Kalten Krieg führe. Ohnehin helfe diese Debatte nicht weiter, sagt er unwirsch.

Doch auch der geübte Mediator Steinmeier kann die Sorgen der russischen Nachbarn nicht ausräumen. Für Polen sei es das wichtigste Anliegen, dass die Nato ihre militärische Präsenz an ihrer Ostflanke verstärke, versichert der polnische Präsident Andrzej Duda. Dies sei die „natürliche Konsequenz der Öffnung gen Osteuropa“.

Bei Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg stößt er wenigstens zum Teil auf offene Ohren. Dieser zeigt sich entschlossen, die Anwesenheit des Bündnisses in Osteuropa zu verstärken. Erst am Mittwoch haben die Verteidigungsminister verabredet, zusätzliche Truppen und Geräte dort zu stationieren. Nach der bewährten Devise „Abschreckung und Dialog“ erhört Stoltenberg aber auch die russischen Bitten, speziell den Nato-Russland-Rat neu anzuschieben. „Wir müssen das gegenseitige Inspektionsregime aktualisieren“, mahnt er. Mit Lawrow hat der Generalsekretär bereits am Freitag für eine Zukunft des Kontaktgremiums ausgelotet – noch ohne Ergebnis. Vermutlich werden spätestens beim Nato-Gipfel Anfang Juli in Warschau Ergebnisse sichtbar.

Poroschenko attackiert Russland scharf

Zu viel Kooperation mit den Russen an ihm vorbei, das ist vor allem für Petro Poroschenko eine Horrorvorstellung. Der ukrainische Präsident gehört zu den Verlierern im aktuellen globalen Machtspiel. Deswegen überrascht es nicht, dass von ihm die schärfsten Attacken gegen Moskau vorgetragen werden. Seine Furcht ist es, dass der Kreml einen Keil in die Europäer treiben wolle.

Für beide globale Brandherde macht Poroschenko eine Person verantwortlich: „Herr Putin, das ist Ihre Aggression“, ruft er mit Zorn in der Stimme dem Präsidenten in der Ferne zu. Es sei auch dessen Krieg und kein Bürgerkrieg in der Ostukraine, wenn sich 5000 russische Soldaten in der Region aufhielten. Und „es ist Ihr Flächenbombardement in Syrien“, setzt er hinzu. „Wir leben in zwei komplett unterschiedlichen Universen“, bewertet Poroschenko die abweichenden Darstellungen. Medwedews Rede bezeichnet er als „russische Propaganda“, die ein wesentlicher Bestandteil hybrider Kriegsführung sei. Es gebe nur einen Weg, diese Aggression zu beenden – die Solidarität des Westens.

Auch abseits der Bühne reden die Spitzenvertreter von Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland im sogenannten Normandie-Format über einen Weg aus der Sackgasse. „Die Intensität der Kampfhandlungen ist zurückgegangen“, schildert Steinmeier. Von der Umsetzung des Minsker Abkommens sei man aber noch ein ganzes Stück entfernt. Deshalb sollen bis zum nächsten Treffen konkrete Vorschläge zur Einhaltung des Waffenstillstands und zur Vorbereitung der Lokalwahlen in der Ostukraine vorgelegt werden. Er setzt darauf, „dass in Kiew und Moskau allen Verantwortlichen klar ist, dass wir nicht mehr ewig Zeit haben für die Umsetzung des in Minsk Vereinbarten.“