Vor einem Jahr hat sich der Heimatverein Waiblingen der Siechenhauskapelle am östlichen Stadtrand angenommen. Der 542 Jahre alte Bau gibt noch so manches Rätsel auf und hat bei einem ersten öffentlichen Besichtigungstermin viele Besucher angelockt.

Waiblingen - Das ganze Jahr über ist die Holztür der Siechenhauskapelle in Waiblingen fest verschlossen. Am Samstag aber hat der Heimatverein die kleine Kirche, die als eines der ältesten Bauwerke der Stadt gilt, ausnahmsweise für Besucher geöffnet. Die strömten zuhauf in die Beinsteiner Straße, um endlich mal einen Blick in die 542 Jahre alte Kapelle zu werfen. Dank ihrer Lage vor den Toren der Stadt hat sie den verheerenden großen Brand im Jahr 1634 unversehrt überstanden.

 

Schießhaus, Werkstatt, Waschküche

Einst stand das Kirchlein in unmittelbarer Nachbarschaft zum Siechenhaus – dem Ort, an dem Aussätzige, die wegen ihrer Lepraerkrankung aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren, lebten. Das 1559 erbaute Siechenhaus ist Anfang der 1970er-Jahre abgerissen worden – zum großen Bedauern von Reinhold Kießling, der beim Heimatverein seit vier Jahren in der Projektgruppe Siechenhauskapelle aktiv ist. Die Kapelle selbst sei im Lauf der Jahrhunderte auf unterschiedlichste Weise genutzt worden, erklärte Kießling den Zuhörern: als Schießhaus, als Aufbahrungsstätte für Selbstmörder, als Werkstatt, Waschküche und Treffpunkt der Hitlerjugend. Bis vor einem Jahr diente der Bau rund 40 Jahre als Vereinsheim der DLRG. Dann übernahm der Heimatverein Waiblingen das Ruder.

Die Kapelle von außen. Foto: Gottfried Stoppel
Die vielen Nutzer haben ihre Spuren in der Kirche hinterlassen. Sie haben die Wände angepinselt und mit Holzbrettern verkleidet, sie haben Treppen und Toiletten eingebaut und Balken für eine Zwischendecke eingezogen. Andererseits hat die ständige Nutzung das Gebäude vor dem Schicksal vieler anderer Kapellen, dem Abriss, bewahrt. Letzterer habe auch der Siechenkapelle in Geislingen (Landkreis Göppingen) gedroht, erzählte Jörg Mühlhäuser vom dortigen Kunst- und Geschichtsverein am Samstag. Mittlerweile, so Mühlhäuser, sei die Gefahr aber gebannt. An den Wänden des Gebäudes habe man sechs gut erhaltene Weihekreuze sowie Malereien gefunden, die das jüngste Gericht und Bilder aus der Passionsgeschichte zeigen.

In Geislingen wurden Wandmalereien entdeckt

Auch in der Waiblinger Kapelle könnten sich unter der rund 80 Jahre alten Farbschicht, die nun zu sehen ist, Wandmalereien verstecken, sagt Reinhold Kießling: „Aber wir sind noch ganz am Anfang.“ Was jedoch seinen Reiz habe, denn „es gibt in Waiblingen kein anderes Denkmal mehr, das noch nicht saniert ist“. Am Beispiel der Siechenhauskapelle ließen sich in Zukunft Schritt für Schritt die Veränderungen im Zuge einer Restaurierung zeigen.

Wann diese beginnt, steht allerdings noch in den Sternen. Die Holzverschalung ist inzwischen entfernt, nun sei das Landesdenkmalamt gefragt, sagt Kießling. Das Amt habe bereits in den 1970er-Jahren Proben genommen, erzählt Kießling und deutet auf mehrere quadratische Löcher in den Wänden. Das Ergebnis? „Die Unterlagen sind verschollen.“

Ziemlich sicher ist jedoch, dass die Kapelle 1473 erbaut wurde und den wohl ältesten Dachstuhl der Stadt besitzt. Bereits neun Jahre später erhielt die Kapelle einen Anbau mit Empore und wurde unterkellert. Möglicherweise seien in dem Anbau Tafeln von Stiftern befestigt worden, sagt Kießling, der sich auch eine andere Erklärung für die Erweiterung des Kirchleins vorstellen kann. Und zwar die, dass die Leprakranken von der Empore im Anbau aus am Gottesdienst teilhaben konnten. An diesem nahmen wohl keine Gesunden, sondern nur ein Pfarrer und Ministranten teil. Sollten sich in der Wand, die den Chorraum vom Anbau trennt, Mauerspalten – sogenannte Hagioskope – finden, so wäre das eine Sensation, sagt Kießling. Und der Beweis dafür, dass die Leprakranken in Waiblingen nicht wie andernorts im Freien stehen und durch die Wandschlitze spähen mussten. „Diese Spalten müssen wir mit dem Denkmalamt suchen“, sagt Kießling. Außerdem gelte es nun, die Kirchenarchive nach weiteren Quellen zu durchforsten.