Der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel diskutiert mit Kirchentagsteilnehmern über die geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada – und hat einen schweren Stand.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Sollte Sigmar Gabriel Illusionen gehabt haben, das Kirchentagspublikum sei nicht so globalisierungs- und kapitalismuskritisch wie einst, wird er am Freitagnachmittag gleich eines Besseren belehrt. Als der Wirtschaftsminister die Alte Kelter in Fellbach betritt – lässig das Jackett über die Schulter gelegt – steht fast der ganze Saal. Gabriel blickt in diesem Moment auf ein Meer von schwarzen Schildern mit leuchtenden Slogans: „Stoppen Sie TTIP“, „Stoppen Sie CETA“ steht darauf. Die Besucher drücken so schon einmal aus, was sie von dem Plan der EU halten, zwei Freihandelsabkommen – eins mit den USA, eins mit Kanada – zu schließen: gar nichts.

 

Der Aufgalopp gerät damit fast zum Spießrutenlauf für den SPD-Chef. Erst muss er sich von der Initiative Campact dicke Wälzer überreichen lassen mit 400 000 Unterschriften, die die Aktivisten gegen CETA, den kleinen Bruder von TTIP, gesammelt haben. Dann liest ihm der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, die Leviten.

Angst vor dem Verlust hoher Umweltstandards

„Ist Handelspolitik Interessenpolitik eines Landes, oder will sie ein menschenwürdiges Leben für alle erreichen?“, fragt der Theologe. Für sein Plädoyer, den Armen Vorrang zu geben, erntet er donnernden Applaus. Der bayerische Landesbischof geißelt, dass Entwicklungspolitik oft nur reparieren könne, was die Wirtschaftspolitik anrichte. Er kritisiert den Einfluss der Lobbyisten auf die TTIP-Verhandlungen. Und er schürt die Befürchtung, dass die ökologisch-soziale Marktwirtschaft in Gefahr geraten und Standards im Verbraucherschutz aufgeweicht werden könnten. Womöglich kämen hormonbehandeltes Fleisch und gentechnisch veränderte Lebensmittel nach Deutschland, würden großindustrielle Agrarverbände den Markt beherrschen und die hiesige Landwirtschaft zerstören. Beim gegenwärtigen Stand könne er keine Zustimmung zu TTIP empfehlen, schließt Bedford-Strohm.

Da tobt der Saal. Nur einen Augenblick wirkt Gabriel genervt, doch der Wirtschaftsminister hat schon Routine im Umgang mit Kritikern. Auch in Fellbach wird deutlich, dass der gelernte Pädagoge mit rhetorischem Geschick den Leuten die Welt erklären will. „Dann ist ja alles klar. Machen wir uns einen schönen Nachmittag und gehen in die Sonne“, sagt der SPD-Chef erst. „Ich habe die Arschkarte gezogen“, meint er zur Rollenverteilung auf dem Podium und erläutert doch seine Position. Auffällig dabei ist, dass Gabriel keines der üblichen Argumente für TTIP bringt. Er sagt nichts von Arbeitsplätzen, Wachstum und Investitionen. Das käme hier wohl nicht an. Vielmehr mahnt der Niedersachse, nicht mit deutscher Arroganz zu urteilen, sondern erst das Verhandlungsergebnis abzuwarten. Und er kommt Skeptikern entgegen. Ihre Einwände hätten die Politik klüger gemacht. Die von ihnen gerügten privaten Schiedsgerichte seien mit ihm nicht zu machen, sagt der SPD-Chef, der diesen Streitpunkt durch einen Europäisch-Amerikanischen Handelsgerichtshof aus der Welt schaffen möchte. Der Minister verspricht ferner, dass keine Standards gesenkt würden, weshalb auch keine gentechnisch veränderten Lebensmittel nach Europa kämen. Ferner macht er sich den Vorwurf zu eigen, dass die Verhandlungen zu intransparent gelaufen seien. Das sei ein „gigantischer Fehler“ der EU-Kommission gewesen.

Den Protestanten reicht Gabriel insofern die Hand, als er die Forderung des EKD-Ratsvorsitzenden aufnimmt, das Abkommen darauf zu überprüfen, ob es den armen Ländern schadet. Am Ende hat der Minister ein wenig Verständnis gefunden. Er freue sich über vieles, was Gabriel gesagt habe, schließt Bedford-Strohm. Seinen Segen möchte er TTIP aber noch nicht erteilen.