Am Wochenende noch bedrohten rechtsextreme Horden hier Flüchtlinge, am Montag ist der SPD-Chef Sigmar Gabriel ins sächsische Heidenau gekommen, um ein Zeichen zu setzen: „Der Mob gehört nicht zu Deutschland.“

Heidenau - Ein kleines Mädchen spielt mit Legosteinen auf einem abgewetzten Spielteppich aus Kunststoff. Es ist ein grauer Teppich, wie er in vielen Kinderzimmern liegt. Darauf sind Straßen und Wege aufgedruckt. Das kleine, schwarzhaarige Kind ist ganz ins Spiel vertieft und sieht nicht, dass gerade Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und seine Entourage an ihr vorbei laufen. Nur einige Meter von dem spielenden Kind entfernt sind hinter Vorhängen Feldbetten aufgestellt. Früher war dies das zweite Stockwerk des „Praktiker“-Baumarkts. Nun leben hier Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Balkan. Bald werden es 700 Flüchtlinge sein. Die Luft ist schlecht, und es fehlt an sanitären Einrichtungen. Die Helfer des Roten Kreuzes versuchen, das triste Leben in der Halle so erträglich wie möglich zu gestalten. „Eating-Time“ steht auf einer Kreidetafel. Die Essensausgabe ist geregelt, die Betreuer tun ihr Möglichstes. Es handelt sich um eine Notunterkunft im sächsischen Heidenau. Der Ort ist in den Schlagzeilen, seit am Wochenende rechtsextreme Horden mit massiven Ausschreitungen die Flüchtlinge bedrohten.

 

Gabriel will den Bürgermeister nicht alleine lassen

Gabriel hat nach schlimmen Szenen der vergangenen Tage sein Reiseprogramm geändert. Der Wirtschaftsminister macht eine zweitägige Sommertour durch die neuen Länder, die unter dem Motto „Industrie 4.0“ steht. Gabriel besichtigt Firmen und trifft mit Bürgern zusammen. An den Beginn stellt er aber die Reise ins Flüchtlingsheim. Er will ein Zeichen setzen. Als er den Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz trifft, der der CDU angehört und wegen seines Verständnisses für die Flüchtlinge Drohungen erhalten hat, sagt der Vizekanzler: „Wir dürfen den Bürgermeister dieser Stadt nicht alleine lassen.“ Gabriel geht es um Rückendeckung. Wenige Stunden nach den Gewalt-Exzessen will er Flagge zeigen.

Der Bürgermeister, ein freundlicher und kontaktfreudiger Mann, sagt, er freue sich über den Besuch. Er hoffe, dass auch die Kanzlerin in den nächsten Tagen vorbeischaue. In der Hauptstadt tobt der Streit, ob es nicht höchste Zeit sei, dass auch Angela (CDU) ein Flüchtlingsheim besucht. Doch der Bürgermeister hat andere Sorgen. Der Mittfünfziger erklärt geduldig, dass Heidenau mit seinen 16 000 Einwohnern keine Hochburg der Rechtsradikalen sei, auch wenn im Stadtrat ein NPD-Vertreter sitzt. Aus Sicht des Bürgermeisters hätten die Rechtsextremen Heidenau einfach als Aktionspunkt gewählt. An den Ausschreitungen hätten auch Gewalttäter von auswärts teilgenommen.

Für Gabriel sind die Krawallmacher Mob und Pack

Doch Gabriel spürt schnell, wie groß die Sorgen der Menschen beim Thema Flüchtlinge sind. Als der Minister auf Passanten zugeht, erfährt er, wie aufgeladen die Stimmung ist. Eine Einwohnerin ist mit dem Fahrrad gekommen, um Gabriel zu sehen. „Ich habe Befürchtungen, weil es alles junge Kerle sind“, meint sie. In der Nähe sei doch ein Gymnasium. Doch es sind auch andere Stimmen zu hören. Eine Dame berichtet, sie habe eine große Tasche mit Kleidern mitgebracht, werde aber nicht vorgelassen. Eine ältere Frau wendet sich an Gabriel, sie wisse, dass die Menschen Hilfe bräuchten: „Wenn wir aber jedes Jahr 800 000 Flüchtlinge haben, wie soll das dann in einigen Jahren sein?“ fragt sie. Gabriel antwortet, ein starkes Land wie Deutschland könne das verkraften und erklärt, dass die jungen Menschen auch eine Chance seien für das Land. Die Frau schaut skeptisch, überzeugt scheint sie nicht. Gabriel sagt, die Politik müsse Überzeugungsarbeit leisten. Bei gewalttätigen Ausschreitungen werde der Staat aber „keinen Millimeter“ zurückweichen. Die Randalierer bezeichnet er als Mob, der nicht zu Deutschland gehöre. Diese Leute würden auf den Widerstand des Rechtsstaats treffen. Die Gesellschaft müsse klar machen, dass sie mit Steinewerfern nichts zu tun haben wolle.

Im Innern des provisorischen Flüchtlingsheims ist von der aufgeheizten Stimmung wenig zu spüren. Als Gabriel auf einige Männer mit dunklem Teint zugeht, bildet sich sofort eine Gruppe. Ein junger Mann berichtet, er sei aus dem Jemen gekommen und mehr als ein Jahr unterwegs gewesen. In seiner Heimat sei er Programmierer gewesen, erzählt er in gutem Englisch. Die Männer wollen von Gabriel wissen, wie lange es noch dauere, bis über ihre Asylanträge entschieden sei.