Sillenbuchs Bezirksvorsteher Peter Alexander Schreck offenbart seinen schlechten Gesundheitszustand – als Reaktion auf Kritik, die unter anderem aus den Reihen des Bezirksbeirates und der örtlichen Vereine gekommen ist.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart - Die rote Mappe hat es in sich. Peter-Alexander Schreck schiebt sie vor sich auf dem Tisch hin und her. Der Sillenbucher Bezirksvorsteher ist nervös. Er hat die wichtigsten Sätze am Computer auf eine Seite getippt, ausgedruckt und in die Mappe gelegt. Die Sätze sind wie ein Gerüst, an dem sich Schreck entlanghangeln will. Als würde er fürchten, abzustürzen.

 

Ihm selbst ist das, was auf dem Papier steht, nicht neu. Seit sechs Jahren weiß Schreck, dass er Multiple Sklerose (MS) hat, eine unheilbare Krankheit, die schubweise verläuft. Ansonsten wusste das keiner – weder seine Mitarbeiter im Rathaus, noch die Bezirksbeiräte oder sein Vorgesetzter, Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle. Sie alle sind erst seit Kurzem eingeweiht. Vielleicht hätte Schreck seine Krankheit weiterhin für sich behalten. Aber jetzt ergreift er die Flucht nach vorne. Er muss. Das hat mit den Vorwürfen gegen ihn und seine Amtsführung zu tun.

Dazu soll sich der 53-Jährige an jenem Abend äußern, an dem er im Trauzimmer seines Rathauses sitzt. Neben ihm sein Chef, Werner Wölfle. Die Jalousien sind zugezogen, dabei hat Schreck nichts zu verheimlichen. Im Gegenteil, er will mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit.

„Es tut mir leid und ich bedauere es sehr, dass ich meine Krankheit, nicht schon früher kommuniziert habe“, sagt er. Es klingt, als würde er es ablesen. „Viele Irritationen wären vermeidbar gewesen, wenn ich das früher gemacht hätte.“

Schrecks Arbeit ist im Bezirk nicht unumstritten

Irritationen wegen Schrecks Arbeitsweise gibt es seit einigen Jahren. Bevor die Fraktionssprecher im Bezirksbeirat von der Krankheit wussten, haben sie Schrecks Amtsführung durchaus kritisch gesehen. Das beweist zum Beispiel ein vertrauliches Gespräch, zu dem sie sich am 15. Februar 2012 mit dem Bezirksvorsteher getroffen haben. Die vorbereitenden Unterlagen liegen der StZ vor. Es ging um Themen wie Schrecks Präsenz im Bezirk, ein besseres Sitzungsmanagement und eine stärkere Lobbyarbeit für Projekte.

In dem Papier sind Sätze zu lesen wie „Hinweise unsererseits sollen zur Optimierung der Sitzung beitragen. Alle Unterlagen sollen vollständig, in guter/lesbarer Qualität rechtzeitig zugeschickt werden“ und „Insbesondere beim Bürgerzentrum wünschen wir uns einen nachdrücklicheren Einsatz“. Die Fraktionssprecher gehen sogar so weit, dass sie Beispielsätze notiert haben, wie Schreck auf Bürgeranfragen in der Sitzung antworten könnte. Die Bezirksbeiräte nennen das alles Coaching.

Ob man bei Lokalpolitikern, Bürgern oder Vereinsvorsitzenden nachhakt, die Vorwürfe wiederholen sich. So ist herauszuhören, dass sich Schreck – der seit zehn Jahren im Amt ist – von den Bürgern entfremdet hat. Kritisiert wird, dass er viele Einladungen für Veranstaltungen ausschlage, gar nicht erst reagiere oder einen Vertreter schicke. „Es ist richtig, dass er wenig präsent ist“, sagt dazu Klaus Müller, der Vorsitzende des Turn- und Sportvereins Heumaden. „Wenn er mal keine Zeit hat, versteht man das ja, aber es häuft sich halt.“

Vereine zeigen sich enttäuscht

Der Heumadener Sportverein verzichte inzwischen darauf, den Bezirksvorsteher einzuladen, sagt Müller. Das hält der Obst- und Gartenbauverein Sillenbuch genauso. Er sei nicht auf Schreck angewiesen, sagt der Vorsitzende Achim Zwierzynsky. „Ich wollte ihm am Anfang helfen, mit den Leuten in Kontakt zu kommen, aber er sucht die Öffentlichkeit ja nicht“, so Zwierzynsky. Frust herrscht auch bei der evangelischen Kirchengemeinde Heumaden-Süd. Als sich der Pfarrer Joachim Schäfer am 30. September nach 20 Jahren verabschiedet hat, war niemand vom Bezirksrathaus dabei. „Ich war enttäuscht, gerade bei einer Persönlichkeit wie Herrn Schäfer“, sagt Brigitte Wörz, die zweite Vorsitzende des Kirchengemeinderats. „Aber man kennt es, dass Herr Schreck oft nicht da ist“, meint sie.

Aus Sicht des Bezirksvorstehers liegt die Erklärung für seine chronische Abwesenheit in der roten Mappe. „Mein Handicap ist meine Krankheit“, sagt Schreck, während er den Kugelschreiber bearbeitet. „Es ist mir wichtig, dass es bekannt wird und die Leute mein eigentliches Motiv kennen und nicht irgendwas unterstellen.“ Er sagt, es falle ihm schwer, längere Zeit zu stehen.

Wölfle sieht Handlungsbedarf

Zu Werner Wölfle, Schrecks Vorgesetztem, haben sich die Vorwürfe inzwischen herumgesprochen. Offizielle Klagen gebe es keine, „mein Postfach für Sillenbuch ist leer“, sagt der Bürgermeister. „Der Flurfunk funktioniert aber auch.“ Seiner Meinung nach gibt es „Handlungsbedarf“. Er fragt sich, wie es weiter gehen soll. Vor allem seit er weiß, dass Schreck krank ist.

Für den Bezirksvorsteher selbst steht fest, dass er im Amt bleiben will . Ein Rückzug aus gesundheitlichen Gründen und weil er der Aufgabe womöglich nicht mehr gewachsen ist? „Der Gedanke liegt mir fern“, sagt er. Schreck ist überzeugt, dass sich nun alles zum Guten wenden wird. Nun, da alle wissen, dass er MS hat. „Mein Problem war bisher dieses Hinter-dem-Berg-halten.“

Die rote Mappe hat ihren Dienst getan. Sie hat Schreck geholfen, flüssig und mit fester Stimme zu erklären, was ihn umtreibt, er hat versucht, damit alle Vorwürfe zu entkräften. Kurz zuvor, als Schreck seine tagtäglichen Aufgaben beschreiben sollte, hatte er Schwierigkeiten. Das ist ihm selbst in mehreren Anläufen nicht gelungen. Dazu stand aber auch kein Gerüst auf dem Blatt in der roten Mappe.