Viele Medien halten sich nicht mehr strikt an jahrzehntealte ethische Grundsätze der Berichterstattung. Wir erklären, warum in der StZ die Nationalität von Straftätern nur unter bestimmten Umständen genannt wird.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - In der Silvesternacht sind in Weil am Rhein zwei Mädchen vergewaltigt worden. Die mutmaßlichen Täter wurden verhaftet, in der Stuttgarter Zeitung werden sie als „drei Jugendliche und ein Mann“ benannt. Beim SWR ist hingegen von „vier Syrern zwischen 14 und 21 Jahren“ die Rede. Auch andere Medien – „Bild“ sowieso, aber auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ – nennen die Nationalität der mutmaßlichen Vergewaltiger. Warum hat die StZ-Redaktion auf die Information verzichtet, dass es sich bei den Verdächtigen um junge Männer mit syrischer Staatsangehörigkeit handelt?

 

Die Antwort findet sich im Deutschen Pressekodex, einer Sammlung ethisch-journalistischer Grundsätze, zu deren Einhaltung sich alle seriösen Medien selbst verpflichtet haben. Unter Punkt 12.1 heißt es: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Ein begründeter Sachbezug muss laut Pressekodex bestehen

Besteht zwischen der Vergewaltigung der beiden Mädchen und der Nationalität der mutmaßlichen Täter ein „begründeter Sachbezug“? Aus den wenigen Fakten, die die Staatsanwaltschaft über den Fall preisgegeben hat, ist keiner erkennbar. Nicht einmal die Staatsangehörigkeit der Opfer ist bekannt, geschweige denn das Motiv der Täter. Jeder Zusammenhang, der zwischen dem Ereignis als solchem und der Nationalität der Beschuldigten hergestellt werden könnte, wäre bloße Spekulation. „Redaktionen tun gut daran, den Deutschen Pressekodex streng auszulegen“, sagt Edda Eick, Referentin beim Deutschen Presserat, „denn sie sind in ihrer Berichterstattung schutzbedürftigen Gruppen verpflichtet.“ Im konkreten Fall sollte vermieden werden, dass syrische Männer unter einen Generalverdacht geraten.

Anders müssen Journalisten möglicherweise die Geschehnisse von Köln behandeln. Sollten dort tatsächlich Nordafrikaner bandenmäßig organisiert gewesen sein, ihr kriminelles Vorgehen quasi aus ihren Heimatländern importiert haben, wäre eine Kausalität zwischen der Nationalität und der Tat gegeben. Edda Eick spricht von einem „Grenzbereich“. Auch bei der Suche nach einem Straftäter hält die Referentin des Presserats ethnische Beschreibungen wie „südländischer Typ“ für „noch akzeptabel“. Pauschale Aussagen seien unmöglich: „Journalisten haben die Pflicht, jeden Fall einzeln zu bewerten.“

Der Deutsche Presserat will den Kodex vielleicht überarbeiten

Doch versteht der Laie, warum die StZ zu einer anderen Bewertung kommt als der SWR oder die FAZ? Wohl kaum. Womit das Dilemma beschrieben ist, in dem sich zurzeit alle Nachrichtenredaktionen befinden: Werden in der Berichterstattung über Straftaten die Nationalität oder gar die Religion der Beschuldigten genannt, setzen sie sich dem Vorwurf aus, dass sie Stereotypen von bestimmten Gruppen zeichnen und damit rechtsradikale Tendenzen fördern. Wird auf solche Angaben verzichtet, entsteht bei manchem der Eindruck, dass die Presse einen Teil der Wahrheit bewusst verschweigt, um kriminelle Asylbewerber zu schützen oder mögliche Schattenseiten der Zuwanderung auszublenden.

Fest steht, dass es durch die digitalen sozialen Netzwerke für die klassischen Medien schwierig geworden ist, jahrzehntealte ethische Grundsätze strikt einzuhalten: Über das Internet wird ohnehin fast jedes Detail öffentlich. Vor diesem Hintergrund wird der Deutsche Presserat im Frühjahr diskutieren, ob der Kodex überarbeitet werden sollte.