Big Brother für die Wissenschaft: Die deutsche Physikerin Christiane Heinicke wird 365 Tage von Kameras überwacht in einer Raumstation leben, um eine Marsmission zu simulieren. Die karge Landschaft liegt auf Hawaii – aber fernab von Strand und Palmen.

Stuttgart - Der Wohnungsvertrag ist gekündigt, mit Verwandten oder Freunden telefonieren kann Christiane Heinicke in den kommenden Monaten nicht. Denn die 29 Jahre alte Physikerin erprobt für 365 Tage das Leben auf dem Mars. An diesem Freitag schließt sich hinter ihr die Tür zur Station am Fuße des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii. Sie ist dann zwar nicht auf dem Roten Planeten, aber trotzdem weitgehend abgeschottet von der Außenwelt. Verlassen darf sie den Kuppelbau nur noch im Raumanzug. Die Frau aus Sachsen-Anhalt ist die erste Deutsche, die Quartier in der Station bezieht.

 

In der Nachbildung einer Raumstation werden drei Männer und drei Frauen in einer Wohngemeinschaft leben und zugleich wissenschaftliche Untersuchungen anstellen. Das Projekt wird von der US-Weltraumbehörde Nasa und der Universität Hawaii betrieben. Hauptziel ist herauszufinden, wie sich die Gruppendynamik in einer solchen Isolation entwickelt – und wie sie sich steuern lässt. Dazu wird die Crew permanent von Kameras überwacht. Eine Art Big Brother für die Wissenschaft.

Sorgen macht sich Heinicke deswegen nicht. „Die Daten werden verschlüsselt und sind nur ausgewählten Wissenschaftlern zugänglich“, erzählt sie. „Aber wir sind schon wie Labormäuse.“ Denn für die Untersuchungen werden die Insassen mit Armbändern ausgestattet, die Schritte zählen, den Puls messen und den Schlaf überwachen. Ihre Familie sei anfangs wenig begeistert von dem Plan gewesen. „Du bist verrückt“, hätten ihre Eltern gesagt. „Sie waren dann aber doch stolz, als ich mich für die Mission qualifiziert habe.“

Langsame Kommunikation mit der Außenwelt

Heinicke, derzeit Single, ist in Bitterfeld zur Schule gegangen und hat dann zunächst im thüringischen Ilmenau, später in Schweden studiert. Für ihre Promotion kehrte sie nach Thüringen zurück. Zuletzt forschte sie an der Aalto Universität in Finnland über Meereis. 2013 gewann sie den Klaus-Tschira-Preis für verständliche Wissenschaft. Mit dem Leben in einer Marsstation liebäugelt sie schon länger, hatte sich auch für ein ähnliches Projekt der Mars-Society in der Arktis beworben.

Es ist die vierte Mission in der Station auf Hawaii. Voriges Jahr war die Französin Lucie Poulet vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit dabei. Die nun anstehende Mission ist mit 365 Tagen die bisher längste. „Je länger die Missionen werden, desto besser können wir die Risiken der Raumfahrt verstehen lernen“, sagt Projektleiterin Kim Binsted.

Telefonate sind von der Station aus nicht möglich, die Kommunikation über Internet geht nur zeitversetzt. Für ihre Erkundungen außerhalb der Station hat sich Heinicke gute Bergstiefel eingepackt – wegen des scharfkantigen Lavagesteins. Sie will experimentieren, wie sich durch Verdunstung Wasser aus dem Gestein gewinnen lässt. Eine Frage, die bei einer echten Marsmission überlebenswichtig sein könnte. Das Leben in der Station wird sich sehr an der Sonne orientieren, sagt Heinicke. Denn sie wird mit Solarenergie betrieben. Ihre neuen Mitbewohner hatte Heinicke schon bei einer Trekking-Tour in den Rocky Mountains kennengelernt. „Da hatte man nicht mehr die Energie, eine Maske aufzusetzen und gezeigt, wie man ist“, berichtet sie. „Ich erwarte nicht, dass jemand komplett durchdrehen wird.“

Über ihr Leben in der Marsstation will sie der Außenwelt regelmäßig in einem Blog berichten. Und wenn Heinicke in einem Jahr wieder zurückkehrt, dann möglicherweise nur vorübergehend. „Vor kurzem hat die Mars Society mich für ihr MA365-Team nominiert. Es könnte mich also im übernächsten Sommer doch noch nach Devon Island in der kanadischen Arktis verschlagen“, schreibt sie auf ihrer Internetseite. Und wäre sie bei einer echten Marsmission gern mit von der Partie? „Ich wäre dabei“, sagt Heinicke ohne zu zögern. „Aber nur, solange es ein Rückflugticket gibt.“