Yasemin Yüzbasi und Mehmet Canbaz sind als islamische Seelsorger in den Krankenhäusern unterwegs. Der Klinikverbund Südwest hat die Ausbildung der Ehrenamtlichen bezahlt.

Sindelfingen/Böblingen - Aus ihrer Haltung als fromme Muslima macht Yasemin Yüzbasi kein Geheimnis. Mit ihrem Kopftuch und der langen verhüllenden Kleidung ist die Sindelfingerin schon von weitem als solche zu erkennen. Im Alltag bringt ihr das manches Mal abschätzige Blicke ein. Doch in ihrem neuen ehrenamtlichen Job öffnet ihr das Kopftuch Türen: Seit Juli ist die 38-Jährige als muslimische Seelsorgerin in der Sindelfinger Klinik unterwegs.

 

Immer freitags ist Yüzbasi im Krankenhaus und auf Abruf zusätzlich bei Notfällen. Sie geht durch die Stationen, besucht Patienten am Krankenbett. Hinweise, wo Muslime liegen, die besondere Ansprache benötigen, erhält sie wie auch die Kollegen der evangelischen und katholischen Seelsorge von den Schwestern und Pflegern. „Ich bete mit den Menschen, rezitiere den Koran“, berichtet die Seelsorgerin von ihrer Arbeit. Manchmal gehe es aber nur darum, an einem Bett zu sitzen und zuzuhören.

„Eigentlich kennt der Islam keine Krankenseelsorge. Das ist Aufgabe der Familie“, sagt Yüzbasi. Doch das moderne Leben hat auch die festen Gefüge vieler muslimischer Familien gelockert. Wenn die Kinder weit weg wohnen oder wenig Zeit haben, bleiben ältere Patienten häufig allein. Dann springen die Ehrenamtlichen ein.

Ehrenamtliche wurden ausgebildet

Yüzbasi und ihr Kollege Mehmet Canbaz, Seelsorger in der Böblinger Klinik, bringen beide reichlich Erfahrung mit. Als Mitbegründerin des Frauenvereins Nisa, der sich überwiegend um ältere muslimische Frauen kümmert, ist Yüzbasi seit 15 Jahren aktiv. Canbaz ist Krankenpfleger und betreibt in Böblingen einen muslimischen Pflegedienst. Beide wurden für ihre ehrenamtliche Aufgabe gründlich vorberietet – mit einem Kurs des Mannheimer Instituts für Integration und interreligiösen Dialog. 190 Stunden Unterricht, 25 Stunden Arbeit mit Supervision und ein 55-stündiges Praktikum in einem Krankenhaus umfasste der Kurs. Die Unterrichtsinhalte setzen sich aus islamischer Theologie – auch und gerade im Vergleich zur christlichen Seelsorge – und Psychologie zusammen. Der Klinikverbund Südwest bezahlte den größten Teil der Ausbildung. Im Gegenzug verpflichteten sich Yüzbasi und Canbaz, in den kommenden zwei Jahren mindestens vier Stunden pro Woche als ehrenamtliche Seelsorger zu arbeiten.

Offiziell sind nur fünf Prozent der Patienten in den Kliniken in Böblingen und Sindelfingen Muslime. „Doch wir gehen davon aus, dass die Zahl viel höher ist. Die Angabe der Religion ist freiwillig. Viele verzichten darauf“, sagt Ursula Kächele, die Pressesprecherin des Klinikverbunds.

Ursula Schmitz-Böhmig, die evangelische Klinikseelsorgerin in Sindelfingen, ist froh über die neuen Kollegen. „Bisher haben die Schwestern uns gerufen, zum Beispiel, um die Angehörigen eines Verstorbenen zu betreuen. Doch bei Muslimen finden wir nicht immer den richtigen Zugang. Jetzt können wir uns an die islamischen Kollegen wenden.“

Und Yüzbasi berichtet von einem aktuellen Fall. „Ein halbwüchsiger Junge einer türkischen Familie lag im Sterben. Wie das bei uns so üblich ist, kam die ganze Verwandtschaft, um sich zu verabschieden. Das waren an die 100 Leute.“ Das habe zu einem Tohuwabohu vor der Intensivstation geführt. „Als mein Kollege und ich den Leuten in Türkisch die Regeln erklärten, hat sich alles beruhigt. Die Leute gingen geordnet in kleinen Gruppen ins Krankenzimmer.“ In Notsituationen sei es für Menschen wichtig, in ihrer Muttersprache angesprochen zu werden.

Doch was ist mit albanischen oder arabischen Patienten ohne Türkischkenntnisse? Dann verständige man sich mit Blicken und Koranzitaten, sagt Canbaz. „Unser Glaube verbindet uns auch ohne Worte.“