Die Maichingerin Isolde Speer nimmt über ihre frühere Krankheit kein Blatt vor den Mund. In ihrem Buch schildert sie, wie sie sieben Phasen der Depression überwand.

Sindelfingen - An einer Wand im gemütlichen Wohnzimmer hängen selbstgemalte Bilder aus Pastellkreide. Sie offenbaren die Leiden von Isolde Speer, die hinter ihr liegen – hoffentlich. Eines davon zeigt ein Herz mit Venen und Schlagadern in blauen und roten Farben und kündet vom operativen Eingriff vor vier Jahren, als sie eine neue

 

Herzklappe eingesetzt bekam. Ein anderes Werk zeigt auf dunklem Grund ein gelbes Licht am Ende eines Tunnels – die Illustration für ihr Buch, in dem sie ihr Leben mit der endogenen Depression sehr berührend schildert. „Sieben Mal durch die Hölle“ heißt es. Sieben Mal ist die Maichingerin von der Krankheit überfallen worden. Nun will sie, dass die Öffentlichkeit davon erfährt.

Die letzte Depressionsphase liegt zwölf Jahre zurück

„Wenn jemand zugibt, dass er eine Depression hat, hat das immer ein Geschmäckle“, sagt die 57-Jährige. Einen Burn-Out dagegen könne man eher vertreten. Dieses Syndrom werde als Beleg für zu viel Stress und zu viel Arbeit gesehen. „Ich aber möchte, dass über Depression geredet wird. Und ich möchte Mut machen, dass ein Betroffener da wieder rauskommen kann, so wie ich“, sagt die verheiratete Frau und Mutter von drei erwachsenen Töchtern.

Ihr ursprüngliches Motiv sei eigentlich gewesen, überhaupt einmal ein Buch zu schreiben. Es hätte auch ein Kinderbuch sein können, doch dann tippte sie ihre Krankheitsgeschichte in ihren Laptop. Überall im Haus schrieb sie, dort, wo sie sonst ihre Familie versorgt, in der Küche, im Garten, im Wohnzimmer. Bereits in der Schule habe sie gerne Aufsätze verfasst, das Schreiben sei ihr immer schon leicht von der Hand gegangen, sagt Speer.

Neun Monate hat Speer an ihren Erinnerungen gearbeitet und berichtet, wie sie mehrmals von der Krankheit heimgesucht worden ist. Das erste Mal war im Oktober 1973, die siebte Depressionsphase liegt nun fast zwölf Jahre zurück. Und stets hat ihr Leiden einige Monate gedauert. Sie bekam Medikamente, suchte Psychiater auf. In der Tübinger Nervenklinik wurde sie schließlich einer Elektrokrampftherapie unterzogen. Ihr Gehirn wurde dazu unter Strom gesetzt. „Bei mir hat es sofort geholfen. Das war wie ein Aufwachen ins Leben.“

In der Familie sei von dieser Krankheit noch niemand betroffen gewesen, erzählt die Maichingerin, die als Erzieherin zehn Jahre lang in der Nikolauspflege in Stuttgart gearbeitet hat. Sie hatte es im dortigen Internat mit blinden und sehbehinderten Jugendlichen im Alter zwischen 17 und23 Jahren zu tun. Vielleicht sei der Stress der Auslöser für eine ihrer depressiven Phasen gewesen. „Es ist wohl immer viel zusammengekommen“, meint die 57-Jährige, möglicherweise sei aber auch eine Veranlagung bei ihr vorhanden. Die genaue Ursache kenne sie jedoch bis heute nicht.

In einer schnörkellosen Sprache und in knappen, aussagekräftigen Sätzen schildert sie ihre Erlebnisse und Empfindungen, als sie sich das Leben nehmen wollte, wie sie in Kliniken eingewiesen wurde und den Alltag auf den Klinikstationen. Ihr Mann und ihre Töchter fingen sie immer wieder auf, gaben ihr Hoffnung und Halt.

Die sonst lebenslustige Frau spielte in einem Posaunenchor Trompete und hat für ihr Engagement vom Evangelischen Jugendwerk eine Urkunde erhalten, die bei ihr im Wohnzimmer an einer Wand hängt. Nachdem sie das Buch fertig hatte, wollte sie einen Verlag finden, doch sie erhielt mehrere Absagen. Ihr Werk passe nicht ins Programm. Einmal wurde ihr vorgehalten, dass ihr Buch kein Ratgeber sei, ein anderes Mal sollte sie einen Druckkostenvorschuss von 16 000 Euro bezahlen.

Dann stieß sie im Internet auf den Verlagsservice „Books on Demand“. Die Kosten dort waren geringer, die Auflage aber ebenso. Bis jetzt habe sie hundert Bücher vornehmlich im Freundeskreis verkauft, berichtet Speer. Es könnten stets aber Exemplare nachbestellt werden.

Inzwischen hat sie auch schon Lesungen gehalten. Hin und wieder erhält sie Anrufe von Frauen, die ein ähnliches Leiden haben. Nachdem ihre frühere Krankheit mit dem Erscheinen des Buches im vergangenen Jahr bekannt wurde, hat die Maichingerin viel Zuspruch erhalten. In ihrer Gymnastikgruppe waren ihre Bekannten erstaunt darüber, dass sie mit dem Tabuthema gebrochen „und dass ich mich geoutet habe“, sagt sie. „Sie haben zu mir gesagt, dass sie stolz auf mich sind“, freut sich Isolde Speer. Doch bei der Veröffentlichung ihrer Depressionsgeschichte soll es nicht bleiben. „Am liebsten“, meint sie selbstbewusst, „würde ich gerne als nächstes einen Kriminalroman schreiben.“