Ein 22-Jähriger lässt sich offenkundig auch davon nicht zu Gesetzestreue bewegen, dass ihm fünf Jahre Haft drohen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Eine halbe Stunde nach Prozessbeginn lautet das vorläufige Urteil: „Tut mir leid.“ So gesprochen vom Vorsitzenden Richter Joachim Holzhausen. Das Verfahren ist auf unbestimmte Zeit vertagt, weil gegen Abwesende nicht verhandelt werden darf. Vier mal hatte Holzhausen den Angeklagten über die Lautsprecheranlage in den Verhandlungssaal des Stuttgarter Landgerichts gebeten. Die Hoffnung, dass sich kurz darauf die Tür öffnet, schien allerdings ohnehin gering.

 

Ob der Mann vor Gericht erscheint, gegen den wegen einer ganzen Reihe von Straftaten verhandelt werden soll, war schon zuvor fraglich. Er ist verschollen. Die Staatsanwältin Amira Kaiser beantragt, ihn mit Haftbefehl suchen zu lassen. Das Gericht wird über dieses Ansinnen später entscheiden. Laut Strafprozessordnung gilt als einer der Gründe für eine Verhaftung, „wenn der Angeklagte sich verborgen hält“.

Der Richter hat auch in den Gefängnissen suchen lassen

Daran dürfte wenig Zweifel bestehen. Der 22-Jährige hat zwei Termine bei der Jugendgerichtshilfe verstreichen lassen. Auf Anschreiben und Anrufe antwortete er nicht. Kurz vor Weihnachten hatte seine Verteidigerin Margrete Haimayer zum letzten Mal mit ihm telefoniert. Der 22-Jährige wollte wissen, ob er die Haftstrafe aus einem anderen Prozess später antreten dürfe, weil er jüngst Vater geworden sei. Die Rechtsanwältin suchte später vergeblich nach ihm. Genauso wie der Richter: Holzhausen hat in den Gefängnissen in Adelsheim und Stuttgart nachfragen lassen, ob der Gesuchte womöglich dort einsitzt. Die Antwort war ein Nein. Gleiches gilt für alle anderen Haftanstalten im Land.

Die aktuelle Anklage ist keineswegs die erste gegen den 22-Jährigen und wird wohl nicht die letzte sein. „Es sind relativ viele Verfahren anhängig“, sagt die Staatsanwältin – weitere Verfahren. Wegen der Taten, über die an diesem Tag verhandelt werden sollte, stand der Angeklagte bereits vor dem Amtsgericht Böblingen. Das hatte den Fall in die höhere Instanz verwiesen, weil der Angeklagte womöglich nach dem Strafrecht für Erwachsene verurteilt wird. Damit wäre eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren zu erwarten und die Urteilsgewalt von Amtsrichtern überschritten. Ein Urteil nach Jugendrecht ist auch bei Volljährigen noch möglich, wenn ihre geistige Entwicklung verzögert ist.

Allem Anschein nach hat der junge Mann sich auch von fünf Jahren drohender Haft nicht zu gesetzestreuem Verhalten bewegen lassen. Ein Verfahren wegen heftiger Streitereien mit seiner Lebensgefährtin wurde eingestellt. Außerdem hat ein Wirt den 22-Jährigen wegen Zechprellerei und Beleidigung angezeigt.

Härtester Vorwurf ist ein schwere räuberische Erpressung

Im Vergleich zu den in der Anklageschrift aufgelisteten Taten ist derlei nebensächlich. Der härteste Vorwurf der Staatsanwaltschaft ist eine schwere räuberische Erpressung samt Körperverletzung. Im Februar 2016 soll der Angeklagte sich mit einem Mann getroffen haben, der ihm ein Mobiltelefon abkaufen wollte „oder aber ggf. auch Betäubungsmittel“, wie es in der Anklageschrift heißt. Der Käufer habe 730 Euro in bar bezahlt. Statt eines Telefons oder Drogen soll er Prügel und eine Dosis Pfefferspray ins Gesicht gesprüht bekommen haben.

Im Dezember 2015 hatte der 22-Jährige laut Staatsanwaltschaft einem gutgläubigen Goldschmied einen knapp 160 Gramm schweren Messingbrocken für 1300 Euro verkauft. Er habe behauptet, es sei ein Goldnugget. Hinzu kommen zwei illegale Tonaufnahmen. Im Januar 2016 durchsuchte die Polizei ein Hotelzimmer, in das der 22-Jährige sich eingemietet hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, das Gespräch mit den Ermittlern heimlich aufgezeichnet zu haben. Tags darauf soll der Angeklagte eine Unterhaltung mit einem Rezeptionisten im selben Hotelzimmer ebenfalls mitgeschnitten haben. Aufzeichnungen sind nur mit Zustimmung der Gesprächspartner legal. In allen drei Fällen war der Tatort Sindelfingen.

Der Prozess gegen den 22-Jährigen soll eröffnet werden, sobald der Angeklagte gefunden ist. Die bisher anberaumten Termine sind abgesagt.