Der Fotograf Jimi Riegg will mit einer schrägen Protestaktion den Abriss eines historischen Bauernhauses im Herzen von Sindelfingen verhindern. Der Eigentümer protestiert gegen den Protest – wenn auch eher leise.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Die Bauklötzchen haben sich irgendwie zusammengefügt, dem Zufall gleich, mit dessen Hilfe einem Fotografen das perfekte Bild gelingt, wenn er bei genau dem richtigen Licht in genau dem richtigen Augenblick mit genau den richtigen Kameraeinstellungen den Auslöser drückt. Deshalb will Jimi Riegg jetzt verhindern, dass ein weiteres historisches Haus im Herzen Sindelfingens fällt, auf dass ein weiterer Neubau mit dem Charme einer frisch verschlossenen Operationsnarbe in die Höhe wächst.

 

Jimi Riegg heißt bürgerlich Jochen. Unter diesem Vornamen lehrt er an der Hochschule der Medien in Stuttgart, aber wenn er fotografiert, wird er zu Jimi – oder wenn er ein Haus besetzt, „ordentlich schwäbisch besetzt“, wie er es nennt. Was heißt: Er hat es schlicht für ein paar Monate gemietet und im ersten Stock ein Bettlaken aufgespannt. „Dieses Haus ist besetzt“ ist auf den Stoff gepinselt. Anführungszeichen umrahmen das Wort besetzt.

Bisher hat Stadtplanung Riegg nur als Fotomotiv interessiert

Stadtplanung und Architektur hatten Riegg bisher nur als Fotomotiv interessiert. Aber in den vergangenen Monaten „habe ich mich in dieses Haus verliebt“, sagt er. „Wenn so etwas Schönes kaputtgemacht wird, blutet mir das Herz.“ Das Haus hat die Adresse Ziegelstraße 5, der Straßenname symbolische Bedeutung. Einst reihte sich hier ein Ziegelbau an den anderen. Heute ist die Nummer 5 einer von noch dreien.

Die zweite Symbolik erkennt nur Riegg. Sie offenbarte sich ihm bei einer Londonreise, in der Brick Lane, zu deutsch: Ziegelstraße. Danach tüftelte er monatelang an einer Fotoausstellung in Bricks, in Ziegeln. Er zerschnitt seine Schnappschüsse aus London, zog die Teile auf Holzplatten und arrangierte sie neu. Das Ergebnis ist seit ein paar Monaten in jenem Haus an der Ziegelstraße zu sehen. Die Idee reifte erst, nachdem er sich dort eingemietet hatte. Die Finissage soll gleichzeitig zur Demonstration für den Erhalt des Baus werden.

Einst war das Haus eine Scheune, die zum bäuerlichen Wohnhaus nebenan gehörte. Erbaut wurde das Ensemble um das Jahr 1900. Hinten ist sogar ein kleiner Kuhstall erhalten, samt Tränke. Ein ruhiges Stückchen Garten gehört zum Grundstück. Im Inneren ragen die Balken des Fachwerks über zwei luftige Stockwerke samt einer Empore bis unters Dach. Auf dem Boden liegen massive Dielen. Mit handwerklichem Geschick und innenarchitektonischem Geschmack ließe sich hier eine schmucke Loftwohnung einrichten.

Der Eigentümer hält das historische Haus für eine Bruchbude

Christian Zeisler hat einen gänzlich anderen Blick auf den Bau. „Das ist eine Bruchbude“, sagt er. Zeisler ist Geschäftsführer der Baugenossenschaft Sindelfingen, des Eigentümers. Sein harsches Urteil dürfte zum Teil dem Unmut geschuldet sein, der in seiner Stimme schwingt, wenn er über Rieggs Protest spricht. „Das ist legitim, aber ich habe damit gewisse Schwierigkeiten“, sagt Zeisler. „Wir sind nicht gerade dafür bekannt, dass wir historische Bausubstanz einfach wegreißen.“ Dem folgt eine Aufzählung geschichtlich bedeutsamer Häuser, die zweifelsfrei genossenschaftlich gehegt werden, statt sie für Neubauten zu opfern.

Aber den alten Bauernhof „werden wir definitiv abreißen“, sagt er. Die Architekten tüfteln noch daran, wie die Neubauten aussehen werden. Fest steht allerdings schon, was in ihnen entstehen soll: Wohnungen, genossenschaftsgemäß zu vergleichsweise moderaten Mieten und Pflegeplätze für Schwerbehinderte. Letztere „werden wir gemeinsam mit dem Roten Kreuz einbauen“, sagt Zeidler, „und bezahlbaren Wohnraum braucht Sindelfingen dringend“.

„Zu dem Schluss kann man ja kommen“, sagt Riegg – aber seiner Ansicht nach bitte nach öffentlicher Diskussion. Die anzustoßen, hat er versucht, indem er sein Anliegen in der Bürgerfragestunde des Gemeinderats vortrug. Die Reaktion stimmte ihn wenig hoffnungsfroh: „Ich hatte den Eindruck, das interessiert gar niemanden.“