Bald endet Dietmar Herzogs Zeit als erster Artist in Residence der Stadt Sindelfingen. Er ist Teil des Kulturspektakels Biennale. Noch fünfmal führt der Konzeptkünstler durch die Altstadt-Kunstschau.

Sindelfingen - Hoch über den Dächern der Sindelfinger Altstadt hat Dietmar Herzog sein Sommerdomizil bezogen. Seit Juni wohnt der Ulmer Künstler in einer städtischen Wohnung – nun noch wenige Wochen. Am 13. September führt er zum letzen Mal Kunstinteressierte zu Installationen an historischen Bauten. Die Kunstprojekte in der Altstadt sind Teil des Kulturspektakels Biennale.

 

Elf Künstler haben zehn Altstadbauten – überwiegend Fachwerkhäuser – gestaltet. Herzog selbst hat das sogenannte Wergo-Haus am Corbeil-Essonnes-Platz mit riesigen weißen Lettern auf sattem Rot in eine Werbefläche für die Biennale verwandelt. Der in Stuttgart lebende Koreaner Sang Yong Lee verfremdet das Stadtmuseum mit leuchtend blauen Tüchern. Die wichtigste Vorgabe an die Künstler: ihre Installation sollte die Geschichte des historischen Baus aufgreifen. Diese erzählt Herzog bei seinen Führungen. „3300 Kunstinteressierte haben bisher an den Rundgängen teilgenommen. Und es gab fast nur positive Stimmen“, sagt Herzog nicht ohne Stolz.

Von der Donauquelle bis zur Meereinmündung geradelt

Verärgert ist der Artist in Residence – der erste seiner Art überhaupt in der Stadt – hingegen über etwas anderes: „In den Programmheften und auf vielen Plakaten endete die Biennale am 2. August mit der letzten Aufführung des Sindelfinger Jedermanns. Dabei stehen die Installationen in der Altstadt noch bis Mitte Oktober.“ Doch das sei vielen Bürgern wegen der falschen Ankündigung nicht klar. Dank verschiedener Veröffentlichungen musste der Künstler aber keinen Rückgang bei den Teilnehmerzahlen seiner Führungen verzeichnen.

Kunst, die sich an Orten festmachen lässt, ist eines der Themen, mit denen sich Herzog in den vergangenen Jahren beschäftigt hat. So radelte er vor fünf Jahren an der Donau entlang – von der Quelle bis zur Mündung ins Schwarze Meer. Auf jeder der 100 Kilometer langen Teilstrecken hielt Dietmar Herzog viermal an – exakt alle 25 Kilometer –, machte dort ein Foto und schrieb ein Gedicht. Die Ergebnisse dokumentierte er in einem Buch.

Die exakte Planung und das genaue Maßnehmen bestimmen die Arbeitsweise von Herzog. Diese verdankt der Mathematik-Fan seinem Erstberuf als Vermessungstechniker. Die Liebe zur Kunst entwickelte er nebenbei. Mit 15 Jahren begann er, Porträts aus Büchern abzuzeichnen. Später absolvierte er an der Volkshochschule einen Kunstkurs nach dem anderen. Schließlich studierte er an der Stuttgarter Akademie für Bildende Künste. Praktisch alle Maltechniken habe er damals ausprobiert. Doch sein eigentliches Interesse fand der Künstler erst spät. Er war weit über 30, als er sich der Literatur zuwandte, zunächst den Werken großer Dichter von Goethe über Schiller bis zu James Joyce. Deren Werke setzte er künstlerisch um – unter anderem mit großen Installationen, vor einigen Jahren auch auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof.

Aus dem Vermesser wurde ein Künstler, dann Literat

Vor vier Jahren dann entdeckte er die Lust am eigenen literarischen Schaffen. Nun schreibt er Gedichte und Kurzgeschichten und versucht, „diese mit der Bildenden Kunst zu verknüpfen“. Mittlerweile hat er sich so etabliert, dass er von seiner Kunst leben kann. Existenzängste wie in den Anfängen seines Künstlerdaseins quälen ihn nicht mehr. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass immer etwas dazukommt.“

Was nimmt er mit aus Sindelfingen? Vor allem die Erkenntnis, dass die Stadt aus mehr besteht als dem Daimlerwerk, dem Marktplatz und der Städtischen Galerie. Obwohl er vor 20 Jahren einige Zeit in Leonberg lebte und glaubte, Sindelfingen zu kennen, wusste er nichts von der „historischen Altstadt“. Er ist fasziniert von den restaurierten Bauten – und der „hohen Kneipendichte“. Unglaublich sei, „wie viele engagierte und interessierte Menschen es dort gibt“. Neue Freunde hat Dietmar Herzog in Sindelfingen gefunden. Vielleicht kommt er ja für ein neues Projekt zurück.

Führungen
Dietmar Herzog führt am 5. und 12. September um 21 Uhr, am 6. und 13. September um 11 Uhr und am Freitag, 11. September, um 17 Uhr durch die Altstadt. Teilnehmer treffen sich am Gasthaus Drei Mohren, Lange Straße.