Bei Radwegen gebe es noch einen enormen Nachholbedarf, kritisieren Vertreter von Fahrradverbänden. Der Landrat Roland Bernhard und der Sindelfinger Rathauschef Bernd Vöhringer geloben Besserung. Sie wollen den weiteren Ausbau voranbringen und alte Routen sanieren.

Sindelfingen - Radstrecken, die im Nirwana enden, zu enge Spuren, unebene Wege und zu schlechte Hauptverbindungen – das und noch viel mehr kritisierten Vertreter von Fahrradverbänden bei einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend in der Sindelfinger Stadthalle. „Lange Zeit wurde nur durch die Autofahrerbrille geplant“, stellte Hermann Wagner vom Böblinger Kreisverband des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) fest. Daran habe sich nicht viel geändert. Der Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer widersprach: Man wolle eine fahrradfreundliche Stadt werden und lege deshalb im nächsten Frühjahr ein Konzept für den Ausbau und die Sanierung der Routen vor.

 

Vöhringer verwies auf die in Sindelfinger mitunter schwierige Haushaltslage, die durch die schwankenden Gewerbesteuereinnahmen entstehe. Dennoch seien erneut 150 000 Euro im Etat vorgesehen, um die Radwege zu ertüchtigen. „Mit dem Geld müssen wir aber in erster Linie den Bestand sanieren“, erklärte der Rathauschef. Neue Strecken in der Innenstadt seien bei der bereits existierenden Verkehrsführung schwer zu verwirklichen.

In den vergangenen Jahrzehnten sei viel falsch gemacht worden, lautete zusammengefasst das Fazit der Radwegekritiker im Publikum. Und Hans Lutz, der Präsident des Württembergischen Radsportverbands, bemerkte: „Zwischen Böblingen und Sindelfingen fehlen über der Autobahn 81 die notwendigen Verbindungen. Man kommt nicht dorthin, wohin man möchte.“

„Beide Städte haben einen großen Nachholbedarf“, konstatierte Roland Schmitt vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club Böblingen-Sindelfingen. Die Beläge seien holprig, zahlreiche Radwege viel zu schmal. Zudem fahre man manchmal 50 Meter auf einem Gehweg, um danach hundert Meter auf einem Radweg zurückzulegen, der wiederum in einen kombinierten Fuß- und Radweg übergehen. Bisweilen müssen man dann auch noch ein Stück auf der Straße fahren. „Da wird es einem ganz schwindlig“, meinte Schmitt. Außerdem diene eine solche Streckenführung nicht gerade der Verkehrssicherheit. Besonders ältere Mensachen würden es sich zwei Mal überlegen, ob sie mit dem Rad zu Einkaufen fahren.

Der Kreis gibt jährlich eine Million Euro für Radwege aus

Ein großes Problem seien auch die vielen Baustellen, bei denen die Radfahrer oft völlig aus dem Fokus rückten, bemängelte Schmitt weiter. „Wenn Umleitungen eingerichtet werden, denken die Planer an die Autofahrer und die Fußgänger. Meistens aber nicht an die Radler. Die können sehen, wo sie bleiben.“

„Wir brauchen einen Bewusstseinswandel“, forderte ein Zuhörer, Radfahrern müsse mehr Bedeutung beigemessen werden. Das müsse in die Köpfe der Verkehrsplaner hinein. Bei Vöhringer und Bernhard stieß er auf offene Ohren. „Wir benötigen ein integriertes Konzept“, stimmte der Landrat zu, „die Interessen von Fußgängern, Rad- und Autofahrern sollten gleichermaßen berücksichtigt werden.“ Der Kreis wolle jährlich rund eine Millionen Euro ausgeben, um die überörtlichen Verbindungen zu verbessern, sagte Bernhard.

Gemeinsam werden zusammenhängende Routen geplant

Die Vernetzung der Radwege sei ein wesentlicher Punkt, sagte Anna Hussinger von der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen (AGFK) Baden-Württemberg, die zu der Diskussion eingeladen hatte. Als fahrradfreundliche Stadt seien bisher Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen), Offenburg, Tübingen und Lörrach ausgezeichnet worden, als fahrradfreundlicher Landkreis der Kreis Göppingen. Auch der Kreis Böblingen ist unter den 56 AGFK-Mitgliedern, die gemeinsam zusammenhängende Routen planen.

Wegen der topografischen Lage sei das bisweilen schwierig, erklärte Bernhard. „Zum Beispiel müssten die Radwege von und nach Stuttgart verbessert werden“, meinte er. Aus dem Kessel komme man leichter mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ergänzte Hussinger. Damit aber die Radler auf Busse oder Bahnen umsteigen können, sollten mehr Abstell-Stationen an den Haltestellen eingerichtet werden, forderte nicht nur Hussinger, sondern auch Schmitt vom ADFC. „Wenn mehr die kombinierte Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Rad nutzen, kommt das nicht nur der Umwelt zugute, sondern auch den Autofahrern, die nicht so oft im Stau stehen“, resümierte der VCD-Chef Wagner.