Bernardino Di Croce schreibt die Geschichte der Italiener in Baden-Württemberg. Das Buch ist ein Beitrag für die württembergischen Literaturtage im Herbst, die in der Region stattfinden. Die Welt der Arbeiter ist ihr Motto.

Sindelfingen - Eiscafés und Pizzerias sind aus unseren Städten nicht mehr wegzudenken. Italiener gelten kaum noch als Ausländer. Dolce vita und mediterranes Lebensgefühl ist längst in die deutschen Fußgängerzonen eingezogen. Doch vor knapp 60 Jahren, als Bernardino Di Croce als 16-Jähriger erstmals ins Schwabenland kam, war dies noch ganz anders. „Anfangs saßen nur wir Italiener draußen in der Eisdiele. Und der Besitzer ermahnte uns ständig, nicht zu laut zu sein“, erinnert sich Di Croce. „Heute sind die Deutschen italienischer als die Italiener und sitzen sogar im Winter vor den Restaurants.“

 

Im Dezember 1955 hatte die Bundesrepublik mit Italien das sogenannte Abwerbeabkommen abgeschlossen. Es war das erste von mehreren Verträgen, die die junge Republik später auch mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien schloss. Das Ziel: Arbeitskräfte für die boomende westdeutsche Wirtschaft zu akquirieren. Und die Länder im Süden, die viele Einwohner, aber wenig Arbeit hatten, profitierten vom Geld, das die Migranten in die Heimat zur Familie schickte.

Nach sechs bis neun Monaten mussten die Italiener wieder zurück

Bernardino Di Croce, Jahrgang 1943, gehörte zu den ersten Gastarbeitern. Ende der 50er Jahre folgte er seinem Vater, der auf dem Bau schuftete. „Wir bekamen anfangs nur Saisonverträge für sechs bis neun Monate. Dann mussten wir wieder nach Italien zurück, um einen neuen Vertrag zu schließen.“ Trotz dieser Widrigkeiten hat Di Croce Karriere gemacht. Er war lange Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall. „Ich habe eigentlich nie schwer arbeiten müssen, anders als die meisten Arbeitsmigranten.“

Di Croces Kinder haben drei Pässe

Seine und deren Geschichte schreibt der 73-Jährige, der seit 30 Jahren in Sindelfingen lebt, nun auf. Es ist nicht das erste Buch, das der Sindelfinger mit italienischem Pass zum Thema Migration verfasst hat. Aber dies ist ein besonderes Projekt, den Auftrag dazu erhielt er von Horst Zecha, dem Chef des Sindelfinger Kulturamts für die baden-württembergischen Literaturtage, die dieses Jahr in Böblingen und Sindelfingen stattfinden. „Nun ist unsere Region ja nicht als Literaturhochburg bekannt, sondern eher für ihre Wirtschaftskraft“, sagt Horst Zecha. Große Namen wie Daimler prägten die Städte. „Das wollten wir ganz bewusst zum Motto der Literaturtage machen. Und da ist man ganz schnell beim Thema Migrantenliteratur und bei Herrn Di Croce.“ Eine Lesung Di Croces aus seinen Werken schwebte Horst Zecha vor. Doch den Italiener packte der Ehrgeiz: „Das schreiben wir neu auf“, schlug er vor. 60 Jahre Geschichte der Italiener in Württemberg ist sein Thema. Bei der Integration vieler seiner Landsleute sieht der Sindelfinger trotz aller Erfolge durchaus noch Verbesserungsbedarf. „Es fehlt vor allem bei den Älteren am Interesse an der deutschen Kultur. Die bleiben lieber unter sich in den italienischen Clubs.“ Dies sei auch eine Folge der jahrelangen Saisonarbeitsverträge, meint Di Croce.

Sich selbst sieht er als Weltbürger. 1965 heiratete er in Kanada eine Deutsche. Seine Kinder haben drei Staatsbürgerschaften: die deutsche, italienische und kanadische.

Stipendium für begabte Migrantenkinder?

Literaturtage
Seit 1983 finden die baden-württembergischen Literaturtage – das Literaturfestival des Landes – jährlich in einer anderen Stadt statt. Dieses Jahr richten sie die Städte Böblingen und Sindelfingen gemeinsam mit der Volkshochschule Böblingen-Sindelfingen aus. Sie finden vom 9. Oktober bis 5. November statt. Das Motto lautet „Schreibarbeit“.

Stipendium
Bernardino Di Croce hat beim jüngsten Treffen der ausländischen Vereine mit dem Oberbürgermeister Bernd Vöhringer die Schaffung eines Sindelfinger Stipendiums angeregt. Es soll speziell an Kinder aus Sindelfinger Migrantenfamilien gehen, denen damit ein Studium oder eine besondere Ausbildung ermöglicht werden soll. Di Croce sieht viele Kinder von Zuwanderern weiterhin benachteiligt, vor allem bei der Bildung. „Immer noch besuchen zu wenige Migrantenkinder das Gymnasium und die Universität. Viele Eltern wollen, dass die Kinder möglichst schnell Geld verdienen.“ Ein Stipendium könnte begabte Jugendliche unterstützen. Diese Stipendiaten seien dann die idealen Vermittler zwischen den Kulturen, sagt Di Croce. Horst Zecha, der Sindelfinger Kulturamtschef, ist skeptisch. Die Idee eines Stipendiums hält er für gut. „Die gab es schon einmal beim Stadtjubiläum 2013.“ Doch der Gedanke, diese ausschließlich an Migranten zu vergeben, sei für die Integration nicht unbedingt förderlich, meint Zecha.