Die Kinderspielstadt im Glaspalast hat 553 Bürger und 73 Betriebe. Der Stadtrat tagt in einer fensterlosen Umkleidekabine. Nicht alle seine Beschlüsse stoßen auf Zustimmung in der Bürgerschaft.

Sindelfingen - Elternfreie Zone“ heißt es diese Woche im Sindelfinger Glaspalast. Zumindest von 9.30 Uhr bis 17 Uhr. In dieser Zeit haben Erwachsene – außer einigen Betreuern – keinen Zutritt. Denn in der Halle regieren die Kinder. Bereits zum elften Mal haben sie die Spielstadt Simsalon ausgerufen. 553 Bürger zwischen acht und zwölf Jahren hat die Stadt, 73 Betriebe und Ämter, eine Feuerwehr, ein Kino, ein Museum, ein Rathaus und einen Stadtrat.

 

Dieser tagt täglich mindestens einmal in einem fensterlosen Umkleideraum der Sporthalle. Es riecht nach Fußschweiß. Doch das beeinträchtigt nicht den Arbeitseifer des siebenköpfigen Gremiums. Viele wichtige Punkte sind zu bearbeiten: Es gibt Beschwerden über die verdreckten Straßen in Simsalon und über die hohen Essenspreise. Die Arbeitslosen fordern vehement Stütze vom Amt. Und dann überlegt man noch, eine Castingshow „Simsalon sucht den Superstar“ zu organisieren.

Der Oberbürgermeister heißt Alex

Bereits am Sonntag wurden die sieben Mitglieder des Stadtrats gewählt. Einen richtigen Wahlkampf hat es gegeben – mit Plakaten und Reden. Stimmenkönig wurde Alex Bauer. Damit ist der Elfjährige der Oberbürgermeister von Simsalon. Seine Stellvertreterin Charlotte Jonda lag sechs Stimmen hinter OB Alex.

Während die Stadträte sich die Köpfe heiß reden, meistern die Bürger draußen in der Holzstadt ihren Alltag. Die Arbeiter der Holzwerkstatt zum Beispiel sind mit Pflasterarbeiten beschäftigt. Der Dönerladen hat einen neuen Fußboden angefordert. Nebenan in der Drechslerei entstehen Kerzenständer. Im Krankenhaus versorgen die Sanitäter Schnittwunden und Verstauchungen. Allerdings wird nur behandelt, wer eine Krankenversicherung hat. Diese müssen die Betriebe für ihre Mitarbeiter abschließen. Dafür ziehen sie ihnen einen Simsa – so heißt die offizielle Währung – vom Stundenlohn ab. 20 Simsa die Stunde verdient jeder Arbeiter und Angestellte in Simsalon, egal wo er arbeitet. Davon gehen drei Simsa an das Finanzamt.

Ohne Brandschutzversicherung droht die Firmenpleite

Auch eine Brandschutzversicherung sollte tunlichst jeder Betrieb abschließen. Denn Brände gibt es ständig in der Stadt. „Drei am Tag“, sagt Marcel Schmid. Der Jugendleiter der Sindelfinger Feuerwehr leitet auch in Simsalon die städtische Löschtruppe. Zu ihr gehören Peer und Roman, acht und neun Jahre alt. Soeben sind sie von einem Einsatz im Müllhof zurückgekehrt. „Wir haben eine Personenrettung gemacht“, berichten sie. „Natürlich gibt es kein richtiges Feuer. Das simulieren wir“, sagt der Kommandant Schmid. Alles andere jedoch ist wie im richtigen Leben. „Wenn es in einem Betrieb brennt, der keine Versicherung hat, muss er die Kosten tragen. Das kann schnell zur Firmenpleite führen“, sagt Adelheid Schlegel, die Geschäftsführerin des Stadtjugendrings (SJR).

1994 organisierte der SJR die erste Spielstadt. Seither findet sie alle zwei Jahre in den Herbstferien statt. Jedes Mal gibt es ein Rennen um die 500 Teilnehmerplätze. „Dieses Jahr war am ersten Anmeldetag um 7.30 Uhr bereits alles voll“, sagt Schlegel. 170 Helfer zwischen 15 und 65 Jahren machen mit: Mitarbeiter der Stadt, Ehrenamtliche der Vereine, Verbände und Kirchen.

Jeder Spielstadttag endet stets mit der großen Bürgerversammlung. Der Stadtrat gibt dort seine Beschlüsse bekannt: „Es werden sieben Mülltonnen aufgestellt.“ Die Bürger jubeln. „Die Preise für Essen werden auf 15 Simsa begrenzt.“ Noch größerer Jubel, aber auch Pfiffe. „Der Dönerstand schließt über Mittag, damit auch die anderen Essensstände zum Zuge kommen.“ Dafür wird der Stadtrat ausgebuht.