Was heute in Vergessenheit geraten ist: Sindelfingen war der Geburtshelfer der Tübinger Universität. Mit dem Geld des Sindelfinger Stifts wurde die Alma mater gegründet. Mit einem Stipendium will die Stadt an diese Verbindung erinnern.

Sindelfingen - Ihren Ruf als reichste Stadt Deutschlands hat Sindelfingen in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts begründet. Damals sprudelten die Steuermillionen des Mercedes-Benz-Werks und bescherten der Stadt Prachtbauten wie den Glaspalast oder ein Freibad, von dem sogar größere Städte träumen. Was viele Zeitgenossen nicht wissen: Bereits im Mittelalter erlebte Sindelfingen – damals nur ein kleines unbedeutendes Städtchen – eine wirtschaftliche Blütezeit. Diese verdankte sie den wohlhabenden Chorherren.

 

Um das Jahr 1050 herum war ein Doppel-Kloster gegründet worden – eines für Mönche, eines für Nonnen –, das schon wenige Jahre später nach Hirsau umgesiedelt wurde. Aus dem Kloster wurde ein Chorherrenstift. Dort lebten nach mönchsähnlichen Regeln vermögende Adlige. Der Unterschied zu den Ordensbrüdern: sie legten kein Armutsgelübde ab. Ihr Vermögen blieb in eigenem Besitz, kam aber natürlich der Kirche und dem Stift zu Gute. Die Chorherren wohnten in eigenen Häusern rund um die Martinskirche, wo sie sich zu festgelegten Gebetszeiten trafen.

Das Chorherrenstift, das anfangs dem Grafen von Calw unterstand, war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in dem kleinen Städtchen. Mehrere Bauerngüter, Mühlen sowie Ortschaften gehörten dem Stift und bescherten ihm enorme Einnahmen.

Graf Eberhard im Bart siedelt des Stift um

Solche Pfründe weckten Begehrlichkeiten. Im 15. Jahrhundert schließlich gehörte Sindelfingen nach mehreren Machtwechseln zu Württemberg. Dieses war geteilt. Im sogenannten Uracher Teil mit der Hauptstadt Tübingen regierte Graf Eberhard im Bart, der spätere erste Herzog von Württemberg. Er wollte unbedingt nach dem Vorbild anderer Städte wie etwa Prag, Wien und Heidelberg eine Universität in Tübingen gründen. Dafür brauchte er jedoch Besitz und regelmäßige Einkünfte, wie sie beispielsweise ein Stift bot. Da es in Tübingen jedoch keines gab, verlegte Graf Eberhard im Bart 1476/77 kurzerhand das Sindelfinger Chorherrenstift nach Tübingen. Im Oktober 1477 gründete er die Universität. Der erste Rektor wurde der frühere Sindelfinger Chorherr Johannes Vergenhans, genannt der Naukler.

Die Stadt verlor mit dem Abzug des Stifts seinen wichtigsten Wirtschaftsfaktor und erheblich an Bedeutung. Heute sieht man dies in Sindelfingen eher gelassen und mit einem gewissen Stolz. „Sindelfingen ist der Geburtshelfer der Tübinger Uni“, sagt Horst Zecha, der Leiter des städtischen Kulturamts. Diese Verbindung wollte er zum 750-Jahr-Jubiläum Sindelfingens wieder aufleben lassen. Er fragte beim Leiter der Volkshochschule (VHS) Christian Fiebig an, ob dieser sich nicht beteiligen wolle. Denn die VHS kooperiert bereits seit Jahren mit der Tübinger Uni und überträgt Vorlesungen aus Tübinger Hörsälen nach Böblingen und Sindelfingen.

Fiebig hatte die Idee, die Verbindung von Stadt und Universität durch ein Stipendium wiederzubeleben. Unterstützt werden sollen Sindelfinger, die in Tübingen studieren, oder Studenten in Tübingen, die über ein Sindelfinger Thema promovieren.

Erstmals in diesem Jahr soll das Stipendium ausgeschrieben werden. Eine Jury aus Vertretern der Universität und der Stadt Sindelfingen soll aus den Bewerbern einen geeigneten Kandidaten suchen. An Kosten von 15 000 bis 20 000 Euro pro Jahr rechnet Zecha: „Diese Idee wurde von der Verwaltungsspitze begrüßt.“ Noch fehle ein Gemeinderatsbeschluss. Doch der Kulturamtchef ist zuversichtlich, dass die Räte zustimmen. „So ein Stipendium ist etwas Nachhaltiges und sichert uns immer wieder aktuelle Forschungsergebnisse.“