„Singapur unheimlich“: die aktuelle Schau in der Ifa-Galerie widmet sich den Brüchen in der vermeintlich harmonischen Gesellschaft der asiatischen Megastadt.

Stuttgart - Stickig heiß ist es in den drei Kinoboxen in der Ifa-Galerie am Charlottenplatz. Vor allem der 41-minütige Film „Earth“ von Ho Tzu Nyen lohnt und erfordert jedoch ein längeres Verweilen. Langsam zoomt die Kamera näher heran an die unbeweglich daliegenden Figuren, entfernt sich wieder, um einen anderen Bereich des Tableaus in den Fokus zu nehmen. Das Bild wechselt zu Schwarzweiß, bis Lichtkegel einzelne Bereiche in Farbe tauchen. Handelt es sich nur um ein Foto?

 

Nein, die Brust des Schläfers hebt und senkt sich. Vom Lichtstrahl getroffen, erwacht er, weckt den nächsten und der seinen Nachbarn. Anspielungen an das Chiaroscuro eines Caravaggio oder die Figurenkomposition des „Floßes der Medusa“ von Théodore Géricault finden sich ebenso wie an Filme von Andrei Tarkowski. Gegenwart oder Vergangenheit? Die Zeit scheint aufgehoben. Hat eine Katastrophe stattgefunden? Befinden sich die fünfzig Darsteller in einer Hypnose, aus der sie periodisch erwachen? Wenn Hos Film etwas zu Singapur sagt, so spricht er von einem Ort, der sich seiner selbst nicht gewiss ist.

Brüche und Unsicherheiten sichtbar machen

„Singapur unheimlich“ hat Jason Wee, der Kurator, die Ausstellung benannt. 50 Jahre nach der Unabhängigkeit, im Todesjahr des ersten Premiers Lee Kuan Yew, der das Land 31 Jahre lang mit harter Hand regierte, fragen sich viele Bewohner, wo sie stehen. Die Steueroase vor der Südspitze Malaysias ist reich, die Staatsführung macht auf Harmonie. Englisch ist Amtssprache, neben Chinesisch, Malaiisch und Tamil. Die Bevölkerung besteht vorwiegend aus Einwanderern: zu rund vierzig Prozent sind die Einwohner keine Staatsbürger. Mit der Ausstellung möchte Wee die Brüche und Unsicherheiten sichtbar machen, die sich hinter der schönen Fassade verbergen. Zu sehen sind Arbeiten von elf Künstlerinnen und Künstlern in verschiedenen Medien wie Fotografie, Zeichnung, Skulptur oder Video. Ein Bücherregal lädt ein zur weiteren Erkundung.

Wee leitet in Singapur den Kunstraum Grey Project und gibt eine Lyrikzeitschrift heraus. Die Wärme gibt einen Begriff davon, wie sich Kunst in einem solchen unabhängigen Projektraum anfühlt, der, eingerichtet in einer Wohnung, nicht klimatisiert ist. Die großen Museen sind alle angenehm temperiert. Über den National Arts Council – nach dem Vorbild des British Council gebildet – steckt der Staat viel Geld in die Kunst. Mehr als Zensur und Kontrolle trägt dies dazu bei, dass Künstler sich staatstragend verhalten. Die Zahl unabhängiger Projekträume ist seit den achtziger Jahren von fast fünfzig auf sieben oder acht zurückgegangen, sagt Ute Meta Bauer, die frühere Leiterin des Stuttgarter Künstlerhauses, die seit zwei Jahren das Centre for Contemporary Art an der Nanyang Technical University leitet, der zweitwichtigsten Hochschule Singapurs.

Temporäre Behausungen und Sonnendächer am Meeresufer

Wee möchte sich nicht vereinnahmen lassen. Wer die Ifa-Galerie betritt, sieht zuerst eine Fotoserie von Chua Chye Teck über temporäre Behausungen und Sonnendächer am Meeresufer: spontane Skulpturen, die inzwischen nicht mehr da sind, weil der Staat das Gelände platt gemacht und in einen Erholungspark verwandelt hat. Charles Lees Video zeigt das Regenwasser-Kanalsystem der Stadt, das bei Starkregen periodisch außer Kontrolle gerät. Zai Tang hat Tonaufnahmen in der Bukit Brown Cemetery angefertigt, einem alten Friedhof in einer großzügigen Parklandschaft. Vogelstimmen sind zu hören, andere Tierlaute und Gongschläge. Doch die Oase steht als erster Ort in Singapur auf der Liste bedrohter Kulturgüter des World Monument Fund. Eine Autobahn soll gebaut werden, mitten hindurch, und Wohnhäuser. Zai hat eine Schallplatte gepresst, die sich bei jedem Anhören weiter abnutzt, „eine Form des stillen Protests gegen die gnadenlose Maschinerie des Kapitalismus“, wie der Künstler selbst sagt.

Die Modedesignerin Grace Tan und der Architekt Randy Chan haben ein Gebäude mit silbrig glitzernden PVC-Streifen verhüllt. Vince Ong und Jeremy Sharma beschäftigen sich in skulpturalen Objekten mit Materialien und Formen der glänzenden Hochhausfassaden. Geraldine Kang wiederum zeigt Wohnräume von innen: ihr eigenes Schlafzimmer und das ihrer verstorbenen Großmutter, in weiße Farbe getaucht und seltsam verwandelt.

Tan Pin Pin sucht in ihrem zwanzigminütigen Video Orte auf, an denen Menschen durch Unfall oder Selbstmord ums Leben kamen: wie sich nach Zai Tang paraphrasieren ließe, eine Form der stillen Trauer, über die sich die gnadenlose Maschinerie eines rapiden Wandels hinweg setzt wie der Autoverkehr auf der Schnellstraße. „Die Unmöglichkeit des Wissens“, so der Titel des Films, bezieht sich darauf, dass allein der gesprochene Text auf die Todesfälle hinweist, zu denen das sichtbare Bild nichts verrät.

Bis 4. Oktober,Charlottenplatz 17, Di bis So 12 bis 18 Uhr. Der Katalog (197 Seiten mit 42-seitiger Literaturbeilage) kostet 21 Euro.