Im Schocken ist am Dienstag der Zeitgeist zu Gast gewesen. Sizarr waren da. Die drei Musiker aus der Pfalz haben ihre ganz und gar nicht provinzielle Musik vorgespielt. Und sie hatten Tourwein dabei.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Zum Titel dieses Textes vorneweg so viel: „Weltmusik“ und „Pfalz“ denkt man spontan nicht wirklich zusammen, weil die Pfalz als Inbegriff der deutschen Provinz gelten kann. Sizarr kommen aus Landau in der Pfalz; das liegt zwischen Karlsruhe, Speyer und Kaiserslautern. Aber sie machen Musik, als wären sie in London aufgewachsen und dann, weil zu langweilig, nach New York gezogen. Womit wir auch schon beim Thema wären.

 

Ihrem Konzert im Schocken am Dienstagabend eilte bereits der noble Ruf als Liebling der Musikhipster voraus. Das Trio hatte weder Plattenvertrag noch Abitur, da spielte es schon auf dem Berlin Festival und ein Jahr später auf dem Melt – also auf zwei jener Veranstaltungen, bei denen man jenen Menschen vorspielt, die die frohe Kunde der Neuentdeckung dann über ihre stilprägenden Zeitschriften, Blogs und Webseiten hinaus in die Welt tragen.

Knallgelbe Übergröße-Pullis mit Comicfiguren drauf

Im September dieses Jahres folgte das Albumdebüt „Psycho Boy Happy“ und seit Mitte Oktober sind Sizarr auf Tour – zunächst nur durch Deutschland und Österreich. Aber, das zeigen die Platte und auch das Konzert im Schocken, diese drei jungen Herren treffen mit ihrem Sound (und ihrem Look) einen viel breiteren, einen internationalen Zeitgeist. Sie haben – Segen der Provinz und auch des Internets – in aller Ruhe ihren eigenen, an Referenzen gewiss nicht armen Stil finden können. Sogar knallgelbe Übergröße-Pullis mit Comicfiguren drauf stehen ihnen gut.

Wer Sizarr zum ersten Mal hört, muss das alles erstmal einordnen. Die großen Refrains, die ihre Songs durchaus haben, tauchen mehr überraschend auf als dass sie mit viel Brimborium musikalisch vorbereitet werden. Synthesizerlastig ist diese Musik, man denkt an Brian Eno oder poppigere Produktionen der frühen Neunziger. Die Gitarrensounds sind ebenfalls in dieser Zeit zu verorten: verwaschene Akkorde mal im verhallten Sound von U2 anno 1987, mal kurz vor Nirvana in deren ruhigeren Momenten. Darunter liegt ein solides, stets gebrochenes und phasenweise in Dubstep abgleitendes Schlagzeug; manchmal hört man auch ein bisschen Friendly Fires heraus. Gute Arbeit jedenfalls, die Drummer Gora Sou und P-Monney (Gitarre, Synthesizer) da abliefern.

Ein unendlich cooler Sänger

Der fokale Punkt der sehr gut besuchten und schön intimen Sizarr-Show im Schocken ist aber Sänger Deaf Sty. Sein Gesang erinnert an James Blake, nur eine Oktave tiefer und mit einer an den richtigen Stellen schön kratzigen Stimme. Das Besondere: der Sizarr-Frontmann muss nichts herauspressen, er setzt seine stimmlichen Akzente scheinbar völlig mühelos. Dazu kommt eine schier unendliche Coolness. Zumindest auf der kleinen Schocken-Bühne funktionieren das Augen-Zusammenkneifen, das gelegentliche Schmunzeln, der „Ich stehe über allem“-Blick perfekt. Da ist Soul in der Stimme, aber auch Wut; diese Vocals eignen sich für Technotracks ebenso wie fürs Mainstream-Radio.

Zusammengenommen ist diese Band in dem gut einstündigen Konzert eine Wucht, die den Zuhörer ganz unterschwellig mitnimmt. Ihren Hit „Boarding Time“ spielen Sizarr nur als Zugabe, was ihnen als selbstbewusstes Understatement ausgelegt werden darf. Mit anderen Worten: Sizarr werden, auch wegen ihrem famosen Umgang mit der popmusikalisch eigentlich düsteren Zeit Ende der Achtziger / Anfang der Neunziger, vollkommen zu Recht in den Himmel gelobt.

Im Schocken ist der Zeitgeist zu Gast

Die absolut Urban-Culture-tauglichen Künstlernamen der Drei, ihr weltläufiger Musikstil, letztlich auch die erfreulich un-teeniemäßigen Texte prädestinieren Sizarr für eine internationale Tour. Als Support von Kele Okerke und Broken Bells sind die drei Pfälzer schon erste Schritte in diese Richtung gegangen.

Im Schocken war also der Zeitgeist zu Gast. Der kann aber nicht nur international. Denn bei ihren Ansagen hört man Sizarr die pfälzische Herkunft deutlich an – was mit ihrem avantgardistischen Pop ziemlich stark kontrastiert. Als vermutlich erste Band weltweit haben die Drei nach Endes des Konzerts am Merch-Stand Tourwein im Angebot – einen Pfälzer natürlich, wahlweise in Rot oder Weiß. Eine ironische Geste? Muss nicht sein. Bei aller Zeitgeistigkeit zu seiner Herkunft in der Provinz zu stehen, ist anno 2012 einfach cool. Weltmusik aus der Pfalz ist das Beste, was der deutsche Pop derzeit zu bieten hat.