Ewgenij Nikitin ließ sich vor Jahren ein Hakenkreuz auf den Oberkörper tätowieren. Das Tattoo ist heute weg, doch in Bayreuth, wo er am Mittwoch singen sollte, ist der Skandal da. Ein Kommentar von Götz Thieme

Stuttgart - Ewgenij Nikitin ist Bassbariton, wurde 1973 in Murmansk geboren und hat sich vor Zeiten ziemlich wild tätowieren lassen, bis hin zu den Fingerknöcheln. Am Mittwoch sollte er der erste Russe sein, der in Bayreuth die Titelpartie im „Fliegenden Holländer“ singt, zur Eröffnung der Festspiele, vor Angela Merkel.

 

Der Kanzlerin Auge wird nun einen anderen Sänger erblicken. Samuel Youn springt für Nikitin ein, der – und das ist das Corpus Delicti – oberhalb der rechten Brust eben ein nicht ganz kleines Hakenkreuztattoo trägt. Das war in einem Beitrag des ZDF-Kulturmagazins „Aspekte“ zu sehen. Archivaufnahmen zeigten den jungen Nikitin kahlrasiert mit freiem Oberkörper, wie er als Mitglied einer Metalband aufs Schlagzeug donnert. Und deutlich sichtbar: das Hakenkreuz, das heute von einem anderen Tattoobild übertüncht ist, sowie auf der linken Brust das y-förmige Elhaz-Zeichen, die von neonazistischen Gruppierungen auch in Russland verwendete Lebensrune.

Der Regisseur und die Festspielleitung haben die Sendung gesehen und den Sänger, der nach seinen Metalband-Anfängen Karriere gemacht hat (St. Petersburg, London, Wien, New Yorker Met), zum Rapport bestellt. Ergebnis: Nikitin verzichtet auf Rolle, Premiere und Staatsempfang mit Merkel. Man darf vermuten, die Sprachregelung wurde gewählt, um das Wort vom Rauswurf zu vermeiden. Hätte sich der Sänger, der im ZDF-Interview einen besonnen Eindruck macht, wehren sollen?

Warum eigentlich nicht.

Die Festspielleiterinnen haben ein ganz anderes Hakenkreuzproblem als das, was sie unter Nikitins Hemd an Gesinnung zu finden meinen. Nikitin ist weder mit törichten Sprüchen oder dem Hitlergruß auf dem Hügel aufgefallen, noch ist Derartiges von ihm aus den vergangenen Jahren seiner internationalen Karriere bekannt. Die Wolfgang-Wagner-Töchter agieren als Festspielleiterinnen ziemlich töricht. Sie feuern einen der derzeit besten Holländer-Sänger, aus Angst, irgendjemand könnte eine fette Schlagzeile basteln: Hakenkreuze in Bayreuth! Ja, die hat es vor 75 Jahren gegeben, sie knatterten in Reih und Glied, wenn Winifred Wagner den Führer auf dem Hügel freudig begrüßte. Zu dieser Geschichte und den Verstrickungen der Wagner-Familie hätten die Sätze des Festspielsprechers gepasst: „Dazu muss man Haltung beziehen. Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Der Sprecher meinte lediglich den „Fall“ Nikitin. Auch so lassen sich feigenblättrig ganz andere Hakenkreuzprobleme überspielen.