Ein 800 Jahre altes Kruzifix ist jetzt nach der Restaurierung wieder im Storchen-Museum in Göppingen zu sehen. Doch warum ist der Lendenschurz so kurz? Dazu gibt es jetzt eine medizinische Diagnose.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Es ist gewiss der ungewöhnlichste Patient in der jüngeren Geschichte des Christophsbads. Ein mehr als 800 Jahre altes Kruzifix wurde da vor einem Jahr bei Professor Bernd Tomandl in die Röhre geschoben. Eine Auferstehung des Gekreuzigten konnte trotz des Einsatzes modernster Medizintechnik z war nicht beobachtet werden. Doch das ist bei einem Jesus zum einen ja gar nicht mehr nötig. Zum zweiten hat die Untersuchung im Computertomografen doch einiges zum Vorschein gebracht, was das Schicksal der Figur lebendig werden lässt. Dieser Tage nun kehrt sie restauriert und gereinigt ins Museum im Storchen zurück.

 

Scheibchenweise dem Corpus nahe gerückt

Vier Jahre lang hat der Göppinger Restaurator Hermann R. Petersohn an dem guten Stück gearbeitet. „Der romanische Corpus war in einem desolaten Zustand: verschmutzt, vergraut und überzogen von Schmutzablagerungen“, sagt Petersohn. Die Untersuchung bei Tomandl lieferte ihm für die Restaurierung wesentliche Erkenntnisse. „Wir können in den Körper hineinschauen“, sagt Tomandl. Unzählige Schnittbilder hat er in der Röntgenröhre von der 1,55 Meter großen Holzskulptur erstellt. Der Jesus erwies sich dabei erwartungsgemäß als pflegeleichter Patient. Er hielt ganz still. Nach zehn Minuten war alles im Kasten. Auf Strahlenobergrenzen musste keine Rücksicht genommen werden. Nur mit dem Einatmen, was die Computerstimme des Tomografen routinemäßig immer wieder einforderte, klappte es nicht so gut.

Die Ergebnisse der Untersuchung haben Petersohn tatsächlich weiter gebracht. Ohne die Skulptur anbohren zu müssen, weiß er nun, dass sie aus Pappelholz besteht. Er erfuhr, dass sich im Kopf und im Brustbereich zahlreiche Nägel befinden und dass sich ein echter Holzwurm durch die Pappel bohrte. „Manchmal sind die Gänge ganz gerade, dann ist es eine Fälschung“, sagt Tomandl.

Geschenk vom Bankdirektor

Beim Göppinger Jesus, der der Stadt im Jahr 1955 von dem damals in Süßen wohnhaften Bankdirektor Gustav Beeh zunächst als Leihgabe überlassen und von dessen Kindern schließlich geschenkt worden war, ist alles echt, aber nicht mehr alles original. Immer wieder wurde in den Jahrhunderten an der Figur herumgedoktert, allerdings nicht so vorsichtig und rücksichtsvoll wie von Professor Tomandl.

„Es wurde sehr brutal an ihm herumgeschnitzt“, sagt Petersohn. Ziemlich laienhaft habe jemand den Bart gestutzt. Auch die ausgestreckten Hände seien korrigiert worden. Und sogar an die Wäsche sei man dem Gekreuzigten gegangen. „Im 14. Jahrhundert hat jemand den Lendenschurz gekürzt“, sagt Petersohn. Ursprünglich reiche der bei romanischen Figuren nämlich bis zum Knie. Nun ist der Schurz kurz wie eine Windel. „Die Proportionen passen nicht mehr, das fällt optisch sofort auf“, sagt Petersohn. Zudem hätte der Schurz entscheidende Hinweise geliefert. „Anhand des Lendentuchs und seiner Falten hätte man herausfinden können, wo das Kruzifix herstammt“, sagt der Restaurator.

Das Tuch bleibt kurz

Trotzdem: eine Verlängerung des Schurzes kommt für ihn und den Museumsdirektor Karl-Heinz Ruess natürlich nicht in Frage. „Es geht darum, den Ist-Zustand zu erhalten.“ Die lockeren Arme wurden verleimt, Fehlstellen vorsichtig retuschiert und abgeblätterte Farbschollen wieder angebracht. „Das Kunstwerk als solches soll wieder ablesbar sein.“ Ob dies gelungen ist, davon können sich die Besucher des Storchen-Museums künftig wieder selbst überzeugen.