Der Künstler Thomas Putze hat sich am Samstagabend bei einer Vernissage nackt in einer Heiligennische der Schorndorfer Stadtkirche postiert. Er selbst stellte eine der 14 Skulpturen dar, die zum Reformationsjubiläum dort installiert wurden.

Schorndorf - Kann Nacktheit in der Kunst heutzutage noch Aufsehen erregen? Der Stuttgarter Bildhauer und Aktionskünstler Thomas Putze hat das zumindest am Samstagabend in Schorndorf mit seiner Performance geschafft. Sein nackter Auftritt war ein ganz offizieller Beitrag zum Skulpturenprojektes, bei dem 14 seit mehren hundert Jahren leer stehende Heiligennischen bis November von Künstlern mit Skulpturen immer wieder neu gestaltet werden.

 

Nackt stand Thomas Putze am Samstagabend eine gute halbe Stunde in zehn Metern Höhe, während die Besucher nach der Eröffnungsveranstaltung im Inneren der Kirche nach außen strömten. Ihm war in seinem luftigen Outfit die Wirkung der Kälte anzumerken, er wurde wieder nach unten gebracht und in ein Laken gehüllt. Er sei sich des Regelverstoßes bewusst, hatte sich Putze im Vorfeld der Aktion geäußert. Nicht anders sei es Martin Luther bei seinem berühmten Thesenanschlag vor 500 Jahren ergangen. „Ein Alleingang mit ungewissem Ausgang scheint mir der Sache angemessen.“ Eingerieben hatte sich der Aktionskünstler mit Travertinstaub aus einem Cannstatter Steinbruch.

Applaus für den Aktionskünstler

Putzes Auftritt löste Verwunderung, aber keine offenen Anfeindungen aus. Viele zückten ihr Handy, als der Aktionskünstler von einem Hubsteiger wieder nach unten gefahren wurde, gab es Applaus. Die Jury habe gewusst, dass sich Putze selbst zum Ausstellungsobjekt habe machen wollen, sagte die Stadtkirchenpfarrerin Dorothee Eisrich. Die Details der Aktion habe sich der Künstler vorbehalten. Gleichwohl waren die Veranstalter informiert. Bei einem Fototermin für den Katalog Ende Februar war Putze ebenfalls nackt gewesen.

Die Aktionskunst war das I-Tüpfelchen einer Vernissage, die bei den Besuchern der gut gefüllten Stadtkirche viel Anklang fand – nicht nur wegen der musikalischen Begleitung. Johannes Mayr an der Orgel, Patrick Bebelaar am Piano und Frank Kroll am Saxophon spielten moderne und dynamisch furiose Klänge, welche die wegweisende Idee des Projektes abrundeten. Die Redner hielten es nicht anders. Sie beglückwünsche die Stadtkirchengemeinde zu so viel Freimut, sagte die Beauftragte des evangelischen Oberkirchenrates, Christiane Kohler-Weiß. Sie sei überzeugt davon, dass das Gotteshaus das aushalte und wünsche ausdrücklich, „dass der Geist der Freiheit um die Kirche herumweht“. „Kraftvolle Offenheit kann viel bewirken“, sagte Ursula Quast, die Initiatorin und Organisatorin des Projektes. Man könne zwar gesenkten Blickes über den Kirchplatz eilen, für das Projekt hoffe sie „auf neugierig erhobene Köpfe“.

Der Reiz liegt in der Freiheit der Kunst

Der Münchener Theologe Peter Schüz, der auch die einzelnen Bildhauer würdigte, brachte den Zerstörungsprozess des Bildersturms in Erinnerung, der Ursache für die leeren Nischen ist – und der bis in die heutige Zeit andauere. „Wovor man ehrfürchtig die Knie beugte, verwandelt sich in einen unscheinbaren Trümmerhaufen.“ Der Reiz der Kunst in den Nischen sei es, dass Kunst nach eigenen Regeln spiele – genau darin liege ihre Freiheit. Er glaube, dass sich der Blick auf das Projekt im Laufe der Ausstellung wandeln werde, so Schüz.

Die Kunst könne Diskussionen auslösen, man könne „trefflich darüber streiten“, sagte der Erste Bürgermeister, Edgar Hemmerich, als Vertreter des Rathauses, welches die Aktion ebenfalls unterstützt. Es sei der Kern des Projektes, die Künstler zu fragen, welche Thesen man heute vertreten müsse, betonte die Stadtkirchenpfarrerin Dorothee Eisrich. Die Künstler könnten helfen, „manches neu zu sehen, was wir so noch nie gesehen haben“.